Sehr geehrter Herr M. , warum wird ukrainischen Flüchtlingen die Integration erleichtert (Schulwesen, Arbeitserlaubnis), wobei Flucht doch immer das Motiv ist?
Herr M.,
uns geht es im Kern um die Frage, warum ukrainische Flüchtlinge an Schulen und im Arbeitswesen leichter an Integrationsmöglichkeiten gelangen und finanzielle Hilfen bekommen, sowie auch für eine Arbeitserlaubnis weniger Hürden als vorher bestehen, wenn doch auch alle anderen Flüchtlinge/Flüchtlingskinder aufgrund von Krieg hier sind. Wenn Sie die Beschulung in Bremen betrachten, fallen dort bereits z.B. Separierungen ins Auge.
Was ist Ihr Konzept bzw. das Ihrer Partei, einen gerechten Umgang und gleiche Behandlung zu ermöglichen für alle Flüchtlingskinder?
Mit freundlichen Grüßen
der Politik Kurs Q1gA KGS Tarmstedt
Darauf gibt es zwei Antworten: eine rechtliche und eine psychologische. Die rechtliche lautet: Zum 03.03.2022 wurde die sogenannte EU-Massenzustrom-Richtlinie für ukrainische, geflüchtete Menschen in Kraft gesetzt, um eine unkomplizierte Aufnahme dieser Kriegsflüchtlinge in der EU zu gewährleisten. Diese ermöglicht den geflüchteten Menschen aus der Ukraine, die nicht lange vor dem 24.02.2022 oder danach eingereist sind, unter anderem die Teilnahme am deutschen Arbeitsmarkt.
Ab dem 01.09.2022 sind Neuerungen der Verordnung in Kraft getreten. Nach diesen Neuerungen dürfen sich Ukrainer nur noch 90 Tage visumsfrei in Deutschland aufhalten. Dies gilt noch bis zum 30.11.2022. In der Zwischenzeit sollte ein regulärer Aufenthaltstitel beantragt werden. Während dieses visumsfreien Aufenthalts darf keine Arbeit aufgenommen werden.
Die psychologische Antwort lautet: Die Situation der ukrainischen Geflüchteten ist für viele Menschen unbewusst anders als in 2015/2016, als überwiegend Syrer nach Deutschland kamen. Es gibt in der Bevölkerung eine gefühlte geografische, soziale und kulturelle Nähe zur Ukraine. Die vorherrschende Meinung ist, dass Ukrainer Europäer sind und uns näherstehen, was zum Beispiel die Frage der Religion betrifft. Auch kommen aus der Ukraine fast ausschließlich Frauen und Kinder, für sie gilt ein besonderer Schutz. Wir Grüne sind dafür, dass Geflüchtete aus der Ukraine auf diese Weise möglichst schnell in die deutsche Gesellschaft integriert werden, aber wir kritisieren, dass für syrische Geflüchtete die EU-Massenzustrom-Richtlinie nicht angewandt wurde. Das ist eine Ungleichbehandlung nach nicht nachvollziehbaren Maßstäben.
Herr M., uns geht es im Kern um die Frage, warum ukrainische Flüchtlinge an Schulen und im Arbeitswesen leichter an Integrationsmöglichkeiten gelangen und finanzielle Hilfen bekommen, sowie auch für eine Arbeitserlaubnis weniger Hürden als vorher bestehen, wenn doch auch alle anderen Flüchtlinge/Flüchtlingskinder aufgrund von Krieg hier sind. Wenn Sie die Beschulung in Bremen betrachten, fallen dort bereits z.B. Separierungen ins Auge.
Was ist Ihr Konzept bzw. das Ihrer Partei, einen gerechten Umgang und gleiche Behandlung zu ermöglichen für alle Flüchtlingskinder?
Die oben erwähnte EU-Massenzustrom-Richtlinie hat Deutschland durch § 24 Aufenthaltsgesetz in deutsches Recht umgesetzt. Geflüchtete aus der Ukraine können so unbürokratisch ohne Einzelfallprüfung einen humanitären Aufenthaltstitel erhalten. Damit ist der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt für Ukraine-Flüchtlinge grundsätzlich uneingeschränkt möglich. Darauf zielte auch die Entscheidung von Bund und Ländern ab, den Geflüchteten ab dem 1. Juni 2022 Hartz-IV-Leistungen zuzugestehen und sie von den Jobcentern betreuen zu lassen.
In Deutschland gibt es inzwischen mehrere Willkommensklassen für geflüchtete Kinder und Jugendliche. So auch seit April 2022 z.B. die Willkommensklasse für rund 60 geflüchtete Kinder in der „Ohlendorfer Schule“ in Bremen. In dieser Krisensituation, wo viele Tausende junge Geflüchtete schulisch untergebracht werden müssen, sind sie ein zeitlich begrenztes, notwendiges Angebot. Insgesamt aber sollten alle geflüchteten Kinder und Jugendlichen in die Regelschulen integriert werden. Das fördert ihre Sprachkompetenz und hilft bei der Integration. Allerdings verändern Flüchtlingskinder auch die Schulen, Lehrer sind darauf oft nicht vorbereitet. Im Falle der ukrainischen SchülerInnen ist der kulturelle Unterschied nicht so gravierend, bei Kindern aus anderen Ländern ist die gefühlte Distanz viel größer. Hier gibt es rassistische Erfahrungen für Geflüchtete und LehrerInnen, Traumatisierung durch Kriegserlebnisse muss professionell aufgearbeitet werden. Dafür muss das Lehrpersonal psychologisch besonders geschult werden, mehr LehrerInnen auch ausländischer Herkunft können ein Bindeglied sein. Ukrainische LehrerInnen sind dafür ein gutes Beispiel.