Frage an Farid Müller von Antke E. bezüglich Familie
Sehr geehrter Herr Müller,
ich habe eine Reihe Fragen, die ein Politikfeld berühren, das im Bundestagswahlkampf nahezu völlig unthematisiert geblieben ist:
Wie erklären Sie sich, dass feministische Politik kein Aspekt öffentlicher Auseinandersetzung oder parteipolitischer Aufmerksamkeit mehr ist?
Spielt die Kategorie Geschlecht wirklich keine Rolle mehr bezüglich der Möglichkeiten, ein Einkommen zu erzielen, der Chancen einflussreicher politischer Partizipation, der Gestaltung öffentlichen Raums oder der Ausprägung der (weiterhin thematisierten) Diskriminierungs- und Gewaltverhältnisse wie Rassismus, Homophobie, Armut?
Denken Sie, dass soziale Lebensformen, die nicht daran ausgerichtet sind Familien zu gründen und Kinder aufzuziehen, oder sich in – bevorzugt heterosexuellen – Paarkonstellationen zusammenzufinden oder die nicht in die normierten Vorstellungen von (entweder) Männlichkeit oder Weiblichkeit passen, in ausreichendem Maße öffentlich repräsentiert sind und an der Gestaltung der Gesellschaft teilhaben können?
Was würde es politisch bedeuten, Homosexualität, Transgender, Transsexualität, Intersexualität nicht als sogenannte Minderheitenprobleme zu behandeln, sondern anzuerkennen, dass sie auf die einschränkende gesellschaftliche Organisation von Geschlecht verweisen, die für alle Menschen bedeutsam ist?
Sind Sie der Meinung, dass Kinderrechte ausreichend geschützt und umgesetzt sind? – inklusive des Rechts, auf Flucht und Migration; des Rechts, außerhalb von Familien zu leben; des Rechts, die geschlechtliche und sexuelle Entwicklung nicht innerhalb der Alternativen männlich oder weiblich, hetero- oder homosexuell fixieren zu müssen?
antke engel (Institut für Queer Theory)
Sehr geehrte Frau Engel,
Das Problem, das Sie ansprechen trifft nach meiner Wahrnehmung auf die meisten emanzipativen Bewegungen zu: Sie scheinen an Stärke zu verlieren und sind auf jeden Fall, wie Sie für feministische Politik zutreffend schreiben, aus dem öffentlichen Fokus gerückt.
Das ist schlecht.
Natürlich gibt es heute zahllose Ungleichbehandlungen, deren Anknüpfungspunkt tatsächliche oder vermeintliche Eigenschaften von Menschen sind - Geschlecht, Herkunft, sexuelle Identität usw.
Und selbstverständlich haben alle diese menschliche Eigenschaften erhebliche Einfluss auf Einkommen, Partizipation und anderes.
Und nein, ich glaube nicht, dass als minoritär konstruierte Lebensformen ausreichend im öffentlichen Bewusstsein verankert sind.
Daher lautet die entscheidende Frage: Was tun?
Konkrete Politik hat ja Möglichkeiten und wir bemühen uns, diese Möglichkeiten auszuschöpfen. Ich möchte dafür drei Beispiele nennen:
1.) Rechtlicher Rahmen
Wir bemühen uns, den rechtlichen Rahmen so zu gestalten, dass Ungleichbehandlungen bekämpft und gleiche Rechte durchgesetzt werden. Als Beispiele mögen dafür das (auszubauende) Lebenspartnerschaftsgesetz und das
(unzureichende) Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz dienen.
2.) Aktives Engagement
Wir werben und engagieren uns für Emanzipation. Dort wo Majoritätsfixierte Rollenbilder wiederholt werden, sorgen wir für Korrektur.
3.) Institutionalisierung
Mit der Arbeitsstelle Vielfalt bündeln wir staatliches Engagement für Gleichstellung und Emanzipationsförderung sowie gegen Rechtsextremismus.
Zu den letzten Frageteilen: Für mich ist der Umgang mit sexuellen Identitäten immer eine systemische Frage - und in diesem Verständnis gibt es keine Minderheit bzw. Mehrheit sondern nur wirksame Akteure.
Und: Wir müssen noch mehr für Kinderrechte tun. Ich finde es z. B. gut, dass wir in Hamburg Schulbildung und Krankenversorgung von Flüchtlingen pragmatisch lösen. Ich plädiere für eine Kindergrundsicherung. Und ich freue mich, dass die Hamburger Bürgerschaft sich kürzlich in einer Anhörung zu Intersexualität auch mit sexuellen Rollenbildern befasst hat.
Leider reicht der Raum hier nicht für eine Antwort, die angemessen und umfassend die vielen von Ihnen dargestellten Probleme erörtern könnte. Ich hoffe dennoch, dass Ihnen meine Antwort einen Eindruck von meiner Grundhaltung dazu vermittelt.
Mit freundlichen Grüßen
Farid Müller