Frage an Fabio De Masi von Jörn-Derek G. bezüglich Recht
Abwägung der Corona-Maßnahmen
Guten Tag Herr De Masi,
mit den zu erwartenden ansteigenden Erkrankungszahlen (oder definierten Fälle) im Herbst werden nun von der Bundesregierung und von den Ministerpräsidenten wieder eine Vielzahl einschneidender Maßnahmen ausgerufen, die das soziale und wirtschaftliche Leben fast aller Bürger massiv betreffen werden.
Aussagen von Fachleuten lassen erwarten, dass das Beendigen der „Epidemischen Lage nationaler Tragweite“ wohl gut und gerne erst 2022 erfolgen wird; vor allem hier im Zusammenhang mit dem voraussichtlichen Abschluß der angestrebten Impfmaßnahmen.
Meine grundsätzliche Frage an Sie ist nun:
In wieweit habe Sie (oder ihre Fraktion) die Alternativlosigkeit dieser Maßnahmen und, falls klar erkennbar, der zugrundeliegenden Strategie, überprüft ?
Ich möchte mich bei der Beschreibung eines Alternativmodels an der Great Barrington Declaration orientieren: Risikogruppen-Schutz (bei deren Wunsch), die tatsächliche Belastungsgrenze des Gesundheitssystems als akzeptable Grenze für angemessene Verbotsmaßnahmen, normale Hygienemaßnahmen für alle.
Risikogruppen waren schon seit Ende Januar definierbar und die frühe Heinsberg-Studie hält in wichtigen Punkten bis jetzt.
Also konkret:
Wie haben Sie sich ein Bild gemacht, ob die anfangs durchgeführten und nun, in anderer Reihenfolge, wiederholten Maßnahmen angemessen waren/sind; vor allem unter Beachtung der Vorgaben des Grundgesetzes und des Rechtsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit ?
Gern würde ich erfahren,
• welche Anfragen Sie (oder ihre Fraktion) hierzu an die Bundes/Landesregierung gestellt haben,
• welche Antworten es hierzu gab, und
• welche Studien Sie (oder ihre Fraktion) ggf. selbst beauftragt haben, falls die Bundes/Landesregierung nicht oder nicht ausreichend geantwortet hat
Das Parlament als Vertretung des Souveräns war schon seit Monaten in der Pflicht, hier zu hinterfragen und ggf. zu handeln.
Mit freundlichen Grüßen,
Jörn-Derek Gehringer
Sehr geehrter Herr Gehringer,
vielen Dank für Ihre Zuschrift.
Ich habe den Entwurf zum Dritten Bevölkerungsschutzgesetz der Bundesregierung abgelehnt.
Wir nehmen die drohende Überlastung des Gesundheitswesens sehr ernst. Der fortdauernde verfassungsrechtliche Ausnahmezustand, bei dem tiefe Eingriffe in Grundrechte von den Regierungen in Bund und Ländern beschlossen werden, war verfassungsrechtlich jedoch nur in der Ausnahmesituation im Frühjahr tragbar.
Hierzu empfehle ich einen Beitrag von Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung. Er schreibt dort u.a.:
„Der Deutsche Bundestag hat am 25. März 2020 den Löffel abgegeben. Damals, es ist nun knapp acht Monate her, hat er die "epidemische Lage von nationaler Tragweite" festgestellt. Diese Feststellung war richtig, aber die damit verbundene freiwillige Selbstentmachtung war falsch, gefährlich und anhaltend schädlich. (...) Der Bundestag hat sich in der Corona-Politik dieser Aufgabe entzogen; er hat seine Pflicht verraten; er hat erlaubt, was das Bundesverfassungsgericht verboten hat: dass in bloßen Rechtsverordnungen der Verwaltung "originär politischer Gestaltungswille der Exekutive zum Ausdruck" kommt. (...) Auf diese Weise ist in den acht Corona-Monaten eine untergesetzliche Parallelrechtsordnung entstanden. Das hatte und hat ungute Auswirkungen; zu diesen Auswirkungen gehören auch die zum Teil völlig irrationalen Proteste gegen die staatliche Pandemiebekämpfung.“
https://www.sueddeutsche.de/politik/corona-bundestag-verfassungsrecht-prantl-1.5114908?reduced=true
Das Gesetz sieht nur eine unzureichende parlamentarische Kontrolle vor.
Die Bundesregierung hatte genug Zeit in den ruhigeren Sommermonaten die notwendigen Maßnahmen einzuleiten, um das Gesundheitswesen angemessen auf den Winter vorzubereiten und eine angemessene Beratung im Parlament zu ermöglichen. Es gab neun Milliarden Euro für die Lufthansa, aber 0 Euro für Luftfilter an Schulen.
Es mangelt an klaren Kriterien, bei welcher Gefahrenlage welche Maßnahmen ergriffen werden dürfen und unter welchen Bedingungen sie wieder aufzuheben sind. Außerdem ist zu kritisieren, dass die Regierung vom Bundesgesetz abweichende Bundesverordnungen erlassen darf, ohne dass Bundestag oder Bundesrat ihr Einvernehmen dazu geben müssen.
Koalition und Bundesregierung gefährden so den noch immer bestehenden, aber bröckelnden Konsens in der Bevölkerung, die überwiegend viel Einsicht in die Notwendigkeit wirksamer Infektionsschutzmaßnahmen gezeigt hat.
Ohne die Akzeptanz der Maßnahmen in der Bevölkerung wird die Corona-Epidemie nicht zu beherrschen sein. Vor diesem Hintergrund ist die Beibehaltung des rechtlichen Ausnahmezustands und die Art des Gesetzgebungsprozesses nicht hinnehmbar.
Einige Regelungen sind auch positiv zu nennen, etwa die besondere Abwägungspflicht für Besuchs- oder Demonstrationsverbote, die Lockerung des Arztvorbehalts für Testungen, die Einbeziehung auch veterinärmedizinischer Labore zur Erhöhung der Testkapazitäten und natürlich die weitere Entschädigung von Menschen, die aufgrund von Betreuung von Kindern oder anderen Menschen bei Schließung von Schulen und anderen Einrichtungen Verdienstausfall erleiden.
Den Antrag der LINKEN zum Infektionsschutzgesetz „Demokratische Kontrolle auch in der Pandemie" finden Sie hier: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/239/1923942.pdf.
Wenn Sie sich über meine politische Arbeit informieren möchten, empfehle ich Ihnen meinen Newsletter zu abonnieren – dort berichte ich regelmäßig über meine politischen Aktivitäten https://www.fabio-de-masi.de/de/topic/3.newsletter.html.
Beste Grüße
Fabio De Masi