Frage an Ewa Klamt von Tim G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Klamt,
können Sie bitte erläutern, warum Sie zum Visakodex zahlreiche Anträge gestellt haben, welche erkennbar allein den Interessen der deutschen Visumsbürokraten und nicht denen von Bürgern mit Angehörigen im Ausland dienen?
Beispiele:
Sie traten ein für:
- Hohe Gebühren von bis zu 115 Euro (60 Bearbeitung + 30 "Service" + 25 Einladung)
- Mehrjahresvisa nur in besonderen Ausnahmefällen
- Befreiung von der persönlichen Vorsprache nur für VIPs ("bona-fide")
- Lange Wartezeiten auf Termine an bestimmten Botschaften
Warum haben Sie sich nicht für die Verbesserungen eingesetzt, um die ich Sie auch persönlich gebeten hatte, und sich gegen die Aufnahme entsprechender Regelungen z.B. für Mehrfachvisa und Befreiung von der Vorsprache ausgesprochen, welche die Kommission nicht zuletzt aufgrund der von meiner Familie mitgeteilten Erfahrungen in den Entwurf eingebracht hatte?
(Auf die Unsinnigkeit des Begriffs "bona-fide" hatte ich Sie ja explizit hingewiesen, den haben Sie dennoch eingebracht -- glücklicher Weise hier ohne Erfolg.)
Haben Sie jemals mit Spätaussiedlern hier in Niedersachsen über deren Belange in Visumsfragen für die in Russland und Kasachstan zurück geblieben Angehörigen gesprochen? Sie können dies tagtäglich auf dem Flughafen Hannover tun. Meine Schwiegermutter wurde zuletzt bei der Einreise vor Weihnachten dort festgehalten, weil die Bundespolizei den Grenzkodex nicht richtig anwendet und Kreditkarten nicht als Nachweis der Finanzierung anerkennt. Außerdem waren rechtswidrig falsche Eintragungen in den Polizeicomputern gespeichert, welche inzwischen gelöscht werden mussten.
Was tun Sie im EU-Parlament, um die Situation in den Visaverfahren für Angehörige von Spätaussiedlern und anderen Familien mit Angehörigen im Ausland zu verbesseren, vor allem deren Rechtsstellung in der Praxis der Visa- und Einreiseverfahren?
Sehr geehrter Herr Gerber,
Ihre Fragen hinsichtlich des Abstimmungsergebnisses des Europäischen Parlaments über den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Visakodex der Gemeinschaft möchte ich im Folgenden beantworten. Zurückweisen möchte ich jedoch zuallererst Ihre Unterstellungen, die Sie in Ihrem Schreiben gegen mich erheben.
Weiterhin möchte ich Sie darauf hinweisen, dass auf der europäischen Ebene Richtlinien und Verordnungen verabschiedet werden, die für 27 EU-Mitgliedstaaten mit knapp einer halben Milliarde EU-Bürger gelten und dass deren Regelungsinhalte deshalb immer in Kompromissen gefunden werden müssen, und zwar zwischen der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament und den 27 Innenministern der Mitgliedstaaten.
Während der Verhandlungen und Debatten zum Visakodex war das Ziel einer europäischen Visapolitik für die EVD-ED-Fraktion, grundsätzlich eine weit reichende Reisefreiheit für eine Vielzahl von Personen zu ermöglichen. Jedoch muss in einer Europäischen Union mit offenen Grenzen gleichzeitig den sicherheitspolitischen Interessen der 27 Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden und jeglicher Missbrauch bei der Visumerteilung verhindert werden.
Als verantwortliche Abgeordnete der EVP-ED-Fraktion habe ich mich stets für eine ausgewogene Balance zwischen Sicherheit und Einreiseerleichterungen eingesetzt und konnte wichtige Punkte für meine Fraktion in der Abstimmung im Innenausschuss am 8. April 2008 durchsetzen.
Dazu gehört unter anderem der Grundsatz der persönlichen Vorsprache des Antragstellers bei der visumausstellenden Behörde, denn oftmals ist die persönliche Vorsprache die einzige Möglichkeit für Konsularbeamte, einen unglaubwürdigen Vortrag zu erkennen. In besonderen Fällen kann auch auf ein persönliches Gespräch verzichtet werden, unter anderem wenn der Antragsteller bisher nicht gegen Visabestimmungen verstoßen hat oder die Entfernung zur Auslandsvertretung zu groß ist, sofern keinerlei Zweifel an der Redlichkeit des Antragstellers bestehen oder bei Gruppenreisen eine seriöse und vertrauenswürdige Organisation für die Redlichkeit der Reiseteilnehmer bürgt.
Weitere Regelungen legen fest, dass die Mitgliedstaaten den Antragstellern bei der Beantragung eines Visums soviel Hilfe wie möglich anbieten. Dies soll insbesondere dann gelten, wenn deren Wohnort in großer Entfernung von der Auslandsvertretung liegt, die den Antrag bearbeitet. Die Antragsteller sollen die Beantragung eines Visums bei der zuständigen Auslandsvertretung des zuständigen Mitgliedstaats möglichst im "ersten Anlauf" (one-stop-shop) erledigen können. Insbesondere für den Fall, dass es erforderlich ist, einen Antragsteller zu einem Gespräch zu bestellen, soll die Entscheidung über den Antrag im "one-stop"-Verfahren getroffen werden, wenn die Anreise zur Auslandsvertretung vom gewöhnlichen Aufenthaltsort des Antragstellers einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde.
Den Antragstellern können in bestimmten Fällen Erleichterungen bei der Erteilung von Visa gewährt werden, die zum Beispiel eine Senkung oder Erlassung der Visakosten, Vereinfachungen von Teilen des Beantragungsverfahrens, Ausnahmen bei der Verwendung biometrischer Daten und die häufigere Ausstellung von Mehrfachvisa mit längerer Gültigkeitsdauer beinhalten können.
Zu den beschlossenen Regelungen gehört auch die Festlegung genauer Zuständigkeitsregelungen für die Bearbeitung von Visumanträgen. Zur Entlastung der Auslandsvertretungen der Mitgliedstaaten können externe Dienstleister (z.B. kommerzielle Agenturen) beauftragt werden, Visumanträge entgegenzunehmen.
Die EVP-ED-Fraktion konnte sich gemeinsam mit den anderen Fraktionen auf eine Reduzierung der Bearbeitungsgebühr für die Einreichung eines Visumantrags auf 35 Euro (statt 60 Euro im Kommissionsvorschlag) einigen. Befreiungen von der Entrichtung der Bearbeitungsgebühr sind für Kinder bis zu 12 Jahren und für andere Personengruppen vorgesehen.
Besondere und vereinfachte Regelungen sind für Vielreisende vorgesehen. Dabei handelt es sich um Personen, die aus beruflichen oder familiären Gründen gezwungen sind, häufig oder regelmäßig zu reisen (z.B. Geschäftsleute, Staatsbedienstete, die regelmäßig zu offiziellen Besuchen in die Mitgliedstaaten oder zu den Einrichtungen der Gemeinschaft reisen müssen, Familienmitglieder von EU-Bürgern, Familienmitglieder von Drittstaatsangehörigen, die in den Mitgliedstaaten wohnen, und Seeleute und Berufskraftfahrer, die regelmäßig Grenzen überqueren, und Personen, die an Austauschprogrammen oder regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen der Zivilgesellschaft teilnehmen). Die Vereinfachung des Verfahrens kann in der Erteilung eines Mehrfachvisums mit längerer Gültigkeitsdauer (zwischen sechs Monaten und fünf Jahren) sowie dem Verzicht auf ein persönliches Gespräch und einen Teil der einzureichenden Unterlagen bestehen.
Im Vorfeld der Abstimmung über den Bericht von Henrik Lax (Liberaler) konnte ein tragbarer Kompromiss erarbeitet werden, der in der Abstimmung im Innenausschuss von allen Fraktionen des Europäischen Parlaments mitgetragen wurde. Mit der Abstimmung des Berichts im Innenausschuss hat der zuständige Berichterstatter Henrik Lax vom Ausschuss das Mandat erhalten, in Trilogverhandlungen mit dem Rat und der Kommission einzutreten. Die wichtigsten Punkte ("key points") des Europäischen Parlaments in den Verhandlungen waren das Ausstellen von Mehrfachvisa (ist für 12 Monate gültig und berechtigt zu mehrfacher Einreise, max. Gültigkeit 5 Jahre), Zuständigkeitsregeln/Vertretungsvereinbarungen, Auslegung des Hauptreiseziels ("main destination"), vereinfachte Regelungen für Vielreisende, Visagebühren und die Visapolitik gegenüber Nachbarländern - zusammengefasst somit diejenigen Punkte, die Sie auch in Ihrer Email angesprochen haben.
Die Verhandlungen mit dem Rat waren mühsam und langwierig, jedoch ist es Henrik Lax Mitte Dezember gelungen, einen Kompromiss über die anfänglich definierten "key points" zu erzielen. Der mit dem Rat verhandelte Text trägt der ursprünglichen Position des Europäischen Parlaments Rechnung und wurde auch von meiner Fraktion - der EVP-ED - mit breiter Mehrheit unterstützt. Am 2. April 2009 konnte das Europäische Parlament somit in erster Lesung seinen Standpunkt verabschieden.
Bedauerlich ist allerdings, dass die Visumgebühr 60 Euro und nicht wie vom Europäischen Parlament vorgeschlagen 35 Euro beträgt, obwohl Befreiungen von der Entrichtung der Visumgebühr für bestimmte Personengruppen vorgesehen nach wie vor vorgesehen sind.
Mit der Verabschiedung des Visakodex wird die Vergabe von Schengenvisa zukünftig nach einheitlichen Kriterien im Schengenraum erfolgen. Das Fundament für eine europäische Visapolitik ist damit gelegt, so dass meine Fraktion und auch ich als zuständige Abgeordnete meiner Fraktion mit dem bislang erzielten Ergebnis sehr zufrieden sind.
Mit freundlichen Grüßen
Ewa Klamt, MdEP