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Evelyne Gebhardt
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Frage von Helena P. •

Frage an Evelyne Gebhardt von Helena P. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr verehrte Frau Gebhardt,
am 26. Februar haben Sie gegen die Transparenzregelung des Abstimmungsverhaltens von EU-Abgeordneten im Plenum und in den Ausschüssen gestimmt.
Warum dürfen Ihrer Meinung nach Ihre Wähler nicht wissen, wie / ob Sie ihre Interessen vertreten haben ?

Portrait von Evelyne Gebhardt
Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Peltonen-Gassmann,

vielen Dank für Ihre Nachricht.

Lassen Sie mich gleich vorausschicken: Selbstverständlich dürfen Bürger und Bürgerinnen wissen, wie ich abgestimmt habe und ob ich ihre Interessen vertrete. Transparenz und die Nachverfolgbarkeit politischer Entscheidungen sind Grundpfeiler unserer parlamentarischen Demokratie. Jeder Bürger und jede Bürgerin erhalten von mir stets Auskunft, wenn sie wissen wollen, wie ich in einer bestimmten Angelegenheit abgestimmt habe. Auf meiner Webseite habe ich eine eigene Rubrik, in der ich mein Abstimmungsverhalten in wichtigen Entscheidungen erläutere (siehe http://www.evelyne-gebhardt.eu/de/im-parlament/wie-ich-abgestimmt-habe.html). Für mich ist Transparenz eine absolute Verpflichtung als Abgeordnete, der ich jederzeit nachkomme.

Ich habe mich deshalb gegen den Casini-Bericht ausgesprochen, weil die darin vorgesehene Änderung der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments lediglich eine vermeintliche Transparenz mit sich bringt. Ich bin der Überzeugung, dass die generelle namentliche Bekanntgabe des Abstimmungsverhaltens jedes einzelnen Abgeordneten in den Ausschusssitzungen der Vertretung der Interessen der Bürger und Bürgerinnen mehr schadet als nützt.

Bei Abstimmungen in Ausschusssitzungen handelt es sich nicht um abschließende Abstimmungen, sondern um einen Zwischenschritt im gesetzgeberischen Prozess. Die in den Ausschüssen beratenen Gesetzestexte obliegen noch Änderungen im Zuge laufender Verhandlungen zwischen den Parlamentsfraktionen, aber auch zwischen dem Parlament und der EU-Kommission sowie dem Ministerrat als Mitgesetzgeber. Eine generelle Bekanntgabe des Abstimmungsverhaltens jedes einzelnen Abgeordneten in dieser Phase des Gesetzgebungsprozesses führt in vielen Fällen zur Schwächung der Verhandlungsposition des Parlamentes gegenüber dem Rat und der Kommission. Im Vorfeld von Verhandlungen mit dem Ministerrat ist es aus Sicht des Parlamentes manchmal schlichtweg sinnvoll, die Strategien des Parlamentes offen zu halten.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der für mich in meiner Abwägung zentral war, ist die Rolle von Lobbygruppen. In jedem Gesetzgebungsprozess - ob auf europäischer oder kommunaler Ebene - versuchen Interessenvertreter das Abstimmungsverhalten von Entscheidungsträgern zu beeinflussen. Dabei haben Lobbyisten großes Interesse daran, Abstimmungsergebnisse in den Ausschüssen zu kennen, um somit vor wichtigen und endgültigen Plenarabstimmungen Einfluss auf die Gesetzgebung nehmen zu können und sich gezielt auf bestimmte Abgeordnete zu konzentrieren. Dass dies nicht immer im Sinne der Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen geschieht, ist wohl klar.

Ich habe also nicht gegen den Casini-Bericht gestimmt, weil ich ein Mehr an Transparenz im parlamentarischen Alltag verhindern möchte, sondern vielmehr um die Stellung der europäischen Volksvertretung im äußerst komplexen Gesetzgebungsverfahren nicht zu verschlechtern.

Erlauben Sie mir abschließend noch einige allgemeinere Kommentare zur Transparenz des Europäischen Parlamentes. Ich behaupte, Sie finden in ganz Europa keine transparentere Volksvertretung als das EU-Parlament. Wer sich als Bürger oder Bürgerin für die Geschehnisse in einer Ausschusssitzung des Europäischen Parlaments interessiert, kann jede Sitzung in der eigenen Sprache live und als Aufzeichnung im Internet verfolgen (http://www.europarl.europa.eu/ep-live/en/schedule). Wer in Brüssel sein sollte, kann sogar einfach in den Ausschusssaal hineinspazieren und die Beratungen live verfolgen. Ebenso sind alle Plenarsitzungen auf der Webseite des Parlaments öffentlich einsehbar (http://www.europarl.europa.eu/sed/video.do). Damit wird Bürgerinnen und Bürgern bereits heute ermöglicht, nicht nur alle Debatten zu verfolgen, sondern auch den jeweiligen Abstimmungen direkt beizuwohnen. In dieser Hinsicht ist das Europäische Parlament bereits heute wesentlich transparenter als viele nationale Parlamente in Europa, auch transparenter als der Deutsche Bundestag.

Ähnlich verhält es sich bei der Nachverfolgbarkeit des Abstimmungsverhaltens einzelner Abgeordneter oder Fraktionen: Es genügt die Beantragung durch eine einzige Fraktion um namentliche Abstimmungen in den Plenarsitzungen herbeizuführen. Pro Plenarwoche kommt es im Europäischen Parlament durchschnittlich zu circa 110 namentlichen Abstimmungen. Zum Vergleich: Im Bundestag gibt es im Schnitt etwa vier oder fünf namentliche Abstimmungen pro Sitzungswoche. Das Votum eines jeden Abgeordneten bei diesen Abstimmungen ist öffentlich einsehbar, z.B. über die Plattform www.votewatch.eu.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen verdeutlichen, dass es mir bei meiner Entscheidung zum Casini-Bericht nicht um die Vermeidung von Transparenz, sondern - ganz im Gegenteil - um die bestmögliche Vertretung von Bürgerinteressen ging.

Mit freundlichen Grüßen,

Evelyne Gebhardt MdEP