Frage an Eva-Maria Voigt-Küppers von Wilhelm L. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau küpper,
Heute morgen wurde im WDR darüber berichtet, dass man der Versicherungslobby nachkommt und noch in diesem Monat eine Gesetzesänderung bezüglich der Verzinsung bestehender Verträge ändern wird.
Das heißt für meinen Vertrag, der in im Januar 2015 fällig wird, plötzlich, ohne die Möglichkeit einer Kündigung des Vertrages kurzfristig mehrer 1000 Euro ich sage mal unterschlagen werden.
Wie stehen sie zu dieser Gesetzesinitiative?
MfG
Wilhelm Lersmacher
Sehr geehrter Herr Lersmacher,
vielen Dank für Ihre Gedanken zur Situation der Lebensversicherungen bzw. zur Bedeutung der Bewertungsreserven für Sie aber auch für alle Versicherten. Als Landespolitiker habe ich leider keine Gestaltungsmöglichkeit bei einem Bundesgesetz, dennoch möchte ich Ihnen gerne einige Informationen zum aktuellen Stand der Debatte in Berlin geben.
Der SPD-Bundestagsfraktion, ist es wichtig, dass alle Versicherten auch in Zukunft auf die Sicherheit und Rendite ihrer Vermögensanlage und Altersvorsorge vertrauen können. Das muss so gut wie möglich auch in einer anhaltenden Niedrigzinsphase gelten.
Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition wurde vereinbart, Maßnahmen zur Stabilisierung der deutschen Lebensversicherer bzw. der Lebensversicherten zu treffen. Um dieses Ziel zu erreichen, will die Bundesregierung dem Deutschen Bundestag ein breites Maßnahmenbündel vorschlagen und einen Gesetzesentwurf vorlegen. Wie von der SPD gefordert, soll dieses Gesamtkonzept Rücksicht auf die vielen Versicherten nehmen, die jahrelang jeden Monat in ihre Versicherung eingezahlt haben. Wir wollen den Verbraucherschutz im Bereich der Lebensver-sicherung merklich verbessern.
Deshalb schlage ich Ihnen vor, den Gesetzesentwurf abzuwarten und die hinter Ihren Überlegungen stehenden Fragen auf der Grund der später verfügbaren, konkreten Vorschläge zu besprechen.
Auf der Grundlage der Berichterstattung in Presse und Fernsehen vermuten Bürgerinnen oder Bürger, dass langjährig Versicherte, deren Verträge nun kurzfristig auslaufen, jetzt für die Fehler und Versäumnisse der Versicherungsbranche gerade stehen sollen.
Das wollen wir natürlich nicht.
Wir wollen bei allen Lösungsvorschlägen an erster Stelle die Versicherungsunternehmen an den Kosten einer Lösung beteiligen. Konzerngewinn und Dividendenausschüttung dürfen nicht steigen, während gleichzeitig die Auszahlungen an die Kunden unter Druck geraten. Die Solidarität, die wir zwischen den Versicherten erwarten dürfen, erwarten wir auch von den Versicherungsunternehmen. Warum sprechen wir überhaupt vom Problem durch Bewertungsreserven?
Ursache für unser Problem ist, dass sich die Bewertungsreserven deutlich erhöht haben, weil die Kurse, also der aktuelle Marktwert hochverzinster Anlagen der Versicherungen in der Niedrigzinsphase deutlich gestiegen sind. Die Differenz zwischen dem aktuellen Wert und dem Nennwert von damals, ist praktisch eine stille Reserve.
In Folge eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts von 2005, müssen Versicherte angemessen an den Reserven der Konzerne beteiligt werden - dieses Urteil wurde im Versicherungsvertragsgesetz in 2007 umgesetzt . Denn schließlich sollen die Versicherungskunden angemessen an den mit ihren Beiträgen aufgebauten Kapitalanlagen beteiligt werden, die oft noch beim Versicherer verbleiben, auch wenn der Kundenvertrag längst beendet ist. Seit 2008 mussten demnach ausscheidende Versicherungsnehmer zur Hälfte an den ihnen zugeordneten Bewertungsreserven beteiligt werden. Der beschriebene Effekt wirkt nun so, dass ein Versicherungskunde in Zeiten historisch niedriger Zinsen eine Art Sonderausschüttung erhält, wenn sein Vertrag zufällig in einer solchen Phase niedriger Zinsen ausläuft . Der GDV schreibt: Etwa 5% der jährlich ausscheidenden Kunden bekommen mitunter mehr an Bewertungsreserven als das, was die 95 % verbleibenden Versicherungsnehmer an laufenden über-schüssen erhalten.?
Die Fachbuchautorin Barbara Sternberger-Frey die unter anderem für "Öko-Test", Verbraucherzentralen und Gewerkschaften arbeitet, sieht das ganz anders: Sie schreibt: diese Behauptung stimmt nicht oder höchstens für Einzelfälle. Sie schreibt weiter:
Ich habe in meiner Untersuchung für ÖKO-TEST vom Februar dieses Jahres gut zwei Drittel der in Deutschland ansässigen Lebensversicherungsunternehmen untersucht, darunter alle Marktführer, reine oder überwiegende Risikoversicherer wurden dagegen aussortiert. Bei diesen Unternehmen machten die BWR Ende 2012 insgesamt einen Betrag von über 96 Mrd. Euro aus.
Geht man vereinfachend davon aus, dass den 5 % ausscheidenden Kunden auch etwa 5 Prozent dieser BWR zuzurechnen sind, wobei sie ja nur zur Hälfte daran beteiligt werden, dann mussten für auslaufende Verträge per Ende 2012 etwa 2,4 Mrd. Euro BWR ausgeschüttet werden.
Für laufende Ausschüttung und ablaufende Verträge in 2013 waren in den Bilanzen aber über 8 Mrd. Euro reserviert. In dieser Position (festgelegte RfB) sind die auszuschüttenden (Sockel-)Beteiligungen an der BWR bereits enthalten. Außerdem haben die Kunden 2,1 Mrd. Euro als Direktgutschrift bekommen, auch hier sind BWR enthalten (Sofern Versicherer keine Sockelbeteiligung eingeführt haben). Macht insgesamt 10,1 Mrd. Ausschüttung inkl. auszuzahlende BWR. Abzüglich der BWR (2,4 Mrd.) verbleiben rund 7,7 Mrd. für die laufende Ausschüttung an Kunden. Das bedeutet: die laufende Ausschüttung macht mehr als das Dreifache der BWR-Beteiligung aus!
Außerdem erhalten die ausscheidenden Kunden keinesfalls eine wirklich höhere Auszahlung, wie oft behauptet wird. Denn die BWR-Beteiligung wird seit 2008 durch die Kürzung anderer Gewinnbausteine, insbesondere des Schlussgewinns finanziert. Beispiel: Die Allianz hat bei vielen Tarifen 2008 einfach ein Drittel der bis dato angesammelten Schlussüberschüsse in Sockelbeteiligung an den BWR umetikettiert (Beleg aus der Bilanz von damals liegt mir ebenso vor wie eine Bestätigung dieser Praxis aus einem Schreiben der Allianz an die BaFin!). ähnlich haben es andere Versicherer gemacht. Im Schnitt wurden seinerzeit zwischen 30 bis 40 Prozent der vorhandenen Schlussgewinne für die neue Beteiligung an den BWR gekürzt.
Seither passen die Versicherer die Beteiligung am Schlussgewinn für ausscheidende Kunden Jahr für Jahr ? je nach Höhe der BWR ? weiter an, manche haben sie sogar ganz abgeschafft. Auch hier ein Beispiel: Die Debeka hat zum Beispiel bei Tarifen, bis 2000 abgeschlossen wurden den Beteiligungssatz von rund 4 Promille der Versicherungssumme in 2006 mittlerweile auf knapp 0,7 Promille in 2013 gekürzt. Und dieser Wert gilt - bei Verträgen ab 1994 - dann auch noch für alle zurückliegenden Vertragsjahre, also ab Vertragsbeginn! Insofern bekommen Altkunden derzeit letztlich nur noch die laufende überschussbeteiligung plus BWR. Vom Schlussgewinn bleibt kaum noch etwas übrig.
Unterm Strich macht die Ausschüttung auf keinen Fall mehr aus als die Kunden ohne Beteiligung an den BWR erhalten hätten! Dieses Verfahren hat die Aktuarvereinigung 2008 bereits angekündigt und seinerzeit unmissverständlich klargestellt, dass die neu eingeführte Beteiligung an den BWR nicht zu einer erhöhten Ausschüttung führen wird ? auch wenn das seinerzeit in den Kundeninformationen und jetzt in der öffentlichkeit seitens der Branche immer wieder behauptet wird. Die Belege dafür liegen mir ebenfalls vor.? Soweit das Zitat von Barbara Sternberger-Frey.
Nun könnte ein Versicherungsunternehmen die Bewertungsreserven auflösen, in dem die Staatsanleihen vorzeitig verkauft würden. Davon würden zwar kurzfristig alle Kunden profitieren, weil die Erträge dann zu 90 Prozent an die Kunden ausgeschüttet werden müssten. Gleichzeitig würde aber die Kapitalanlagerendite im Gesamtbestand aller Anlagen für die Zukunft vermindert und die Versichertengemeinschaft würde sichere künftige Zinserträge verlieren. Was also kurzfristig helfen würde, drückt langfristig auf die Rendite. Theoretisch könnte auch die Risikotragfähigkeit der Versicherung leiden, weil quasi das Tafelsilber verkauft würde.
Es ist leicht einzusehen, dass es nicht genügt, nur die Bewertungsreserven zu betrachten, auch wenn die Versicherungsunternehmen uns gern auf diesen einen Aspekt reduzieren möchten.
Die SPD-Bundestagsfraktion ist nach wie vor der Ansicht, dass auch die Versicherungsunternehmen selbst zu einer Stabilisierung beitragen müssen. Deshalb wird an einer Lösung gearbeitet, die sich nicht nur auf die Bewertungs-reserven bezieht, sondern auch eine Reihe weiterer versicherungsspezifischer Maßnahmen mitberücksichtigt:
? Kostenstruktur des Vertriebs - angemessene Provisionen
? Regulierung (bessere Transparenz) von Versicherungen - Aufbau und Verwendung der Schlussüberschüsse, der Zinszusatzreserve und der freien RfB (Rückstellung für Beitragsrückzahlung)
? Beteiligung der Eigentümer
? Bewertung bzw. Gewichtung der Anlageklassen.
? Anpassung des Höchstrechnungszinses
? Ausschüttungssperren für Dividende
Mit Blick auf meine Vorbemerkungen in diesem Brief, denke ich auch an weitere wichtige Elemente in der Bilanz, z.B. an
? die Schlussüberschüsse,
? die Zinszusatzreserve
? die freie RfB (Rückstellung für Beitragsrückzahlung)
Die Versicherungen argumentieren, diese starken Bilanzposten seien ohnehin schon vollständig für die Versicherten verplant und stünden zur Lösung gegenwärtiger Probleme nicht zur Verfügung. Wie oben gezeigt, sollten diese Aussagen genauer überprüft werden. Durch die jetzt in Angriff genommene Lösung, soll eine möglichst gerechte Auszahlung auch in Zukunft möglich sein. Hoffentlich finden wir auf der Grundlage des Gesetzesentwurfs im Parlament eine gute und faire Lösung ? auch für Sie. Ohne die erwähnten Bilanzpositionen in den Unternehmen zu vergessen, meine ich damit eine Lösung im Solidarsystem, weil sich die Summe aller individuellen Prognose- und Marktrisiken ungünstig ent-wickelt hat und sehr stark schwanken (volatil sind).
Hoffentlich können Sie erkennen, dass wir uns anstrengen eine möglichst faire Lösung für alle Versicherten zu finden.
Ich hoffe, Ihnen damit weitergeholfen zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Eva-Maria Voigt-Küppers