Frage an Ernst-Reinhard Beck von Sebastian L. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrter Herr Beck,
anlässlich der aktuellen Debatte um den Afghanistan-Einsatz, die Außgestaltung von deutscher Außen- und Sicherheitspolitik habe ich eine konkrete Frage an Sie.
Angesichts einer schwierigen Finanzsituation in Deutschland sind substanzielle Steigerungen des Verteidigungshaushaltes, aber auch struktureller Prävention und staatlicher Entwickslungshilfe kaum zu erwarten.Und auch im Jahr 2008/09 muss die Bundeswehr als am Rande ihrer internationalen Leistungsfähigkeit betrachtet werden, wenn sie knapp 3% ihres Personals im Auslandseinsatz hält.
Wäre es in Anerkennung dieser Rahmenbedingungen nicht umso dringlicher die Erarbeitung einer nationalen Sicherheitskonzeption oder –strategie zu bewerkstelligen, welche entgehen teilweise vorgebrachter Äußerungen nicht durch das Weißbuch der Bundeswehr 2006 oder den VPR 2003 erfüllt wurden.
Seit anderthalb Jahrzehnten werden deutsche Soldaten in einer Vielzahl von immer gefährlicheren Missionen eingesetzt, ohne dass diese Einsätze in eine klare strategische Konzeption hinsichtlich der Ziele und Instrumente deutscher Außen- und Sicherheitspolitik eingeordnet werden.
Auch wenn unsere Politik mehreren Anforderungsebenen (EU, NATO, Nationale Ebene) gerecht werden muss, sollte eine überparteiliche Debatte angestoßen werden, um nicht in jeweilige ad-hoc-Entscheidungen zu verfallen und reaktiv auf von außen angestoßene Impulse zu reagieren.
Vorschläge hinsichtlich von Kriterienkatalogen oder kritischen Prüfsteinen existieren in der Politikberatung und der akademischen Spähre(beispielsweise Zeitschrift Internationale Politik Mai 2007, Volker Perthes, Wie? Wann? Wo? Wie oft?), warum verschließt man sich dieser Möglichkeiten und parlamentarischen Debatte?
Über eine profunde Beantwortung bin ich Ihnen im voraus dankbar
Sebastian L.
Sehr geehrter Herr Lüdtke,
vielen Dank für Ihre Fragen zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik.
Ich gehe gerne auf Ihre Punkte ein.
Aus der Bundeswehr des Kalten Krieges ist eine Einsatzarmee geworden, welche die Interessen der Bundesrepublik über die Grenzen des Bündnisgebiets der NATO hinaus vertritt. Das Aufgabenspektrum der Streitkräfte ist sehr facettenreich. Die Bundeswehr ist Teil der gesamtstaatlichen Sicherheitsvorsorge. Sie dient der Sicherung der außenpolitischen Handlungsfähigkeit Deutschlands, sowie der nationalen Sicherheit und Verteidigung. Sie leistet ihren Beitrag zur Stabilität im europäischen und globalen Rahmen, trägt zur Verteidigung im Bündnis bei und fördert die multinationale Zusammenarbeit und Integration. Auch die Aufgabe des Katastrophenschutzes ist integraler Bestandteil. Der Kernauftrag heute ist jedoch der Auslandseinsatz. Auf die bestmögliche Erfüllung dieser Aufgabe müssen die Anstrengungen gerichtet sein. Die Bundeswehr befindet sich deshalb im fortlaufenden Prozess der Transformation. Eine Anpassung der Streitkräfte an neue Konfliktformen war nötig und wird es auch in Zukunft sein. Das Weißbuch 2006 ist eine Reaktion auf die veränderte weltpolitische Lage nach dem 11. September 2001. Wir halten das Weißbuch trotz manch kritischer Stimme sehr wohl für ein gelungenes strategisches Konzept für Deutschland. Unstrittig ist, dass auch dieses Dokument einen Nachfolger bekommen muss. An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass die vorherige Ausgabe des Weißbuches auf das Jahr 1994 datiert. Strategische Konzepte sind ihrem Wesen nach langfristig und sollten nicht inflationär genutzt werden.
Sie sprechen mit der Kapazitätsgrenze von ca. 10.000 Soldaten für Auslandseinsätze einen in der Tat wunden Punkt der Bundeswehrstruktur an. Die Einsatzorientierung hat noch nicht den erwünschten und notwendigen Grad erreicht. Die Richtung stimmt jedoch. Die Bundeswehr muss sich umfassender als bisher schon auf das neue Einsatzspektrum einstellen. An dieser Stelle sei auf die neue Strukturkommission verwiesen, die Verteidigungsminister zu Guttenberg eingesetzt hat. Sie wird sich auch mit diesen Fragen auseinandersetzen.
Der vor einigen Jahren eingeleitete Transformationsprozess ist noch im vollen Gange. Dieser Prozess ist nicht auf einen konkreten Endzustand ausgelegt, vielmehr soll Flexibilität gewährleistet werden um auf sich schnell ändernde sicherheitspolitische Entwicklungen einer globalisierten Welt vorbereitet zu sein. Das verlangt viel von der Bundeswehr und ihren Soldaten. Aber auch für die Gesellschaft in unserem Land ist die Situation herausfordernd und zwingt zur Auseinandersetzung mit sicherheitspolitischen Fragestellungen. Vor allem die Politik ist in der Pflicht, in dieser Debatte eine Vorreiterrolle einzunehmen. Wir sind gerne bereit, eine sachliche und unaufgeregte Diskussion zu führen und zu fördern. Leider sind nicht alle Parteien zu einer zielorientierten Debatte fähig und versuchen mit populistischen Argumenten Wahlkampf auf dem Rücken der Soldaten zu betreiben. Wir unterstützen und fördern eine sachliche, gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung, damit unsere Soldaten sich mit dem nötigen Rückhalt einsetzen können. Neben einer breit zu führenden Diskussion erfordert die sicherheitspolitische Weltlage aber vor allem entschiedene und kluge Entscheidungen.
Asymmetrische Bedrohungen, wie sie in Afghanistan Realität sind, zwingen zu flexiblem, mutigem Handeln und schneller Anpassungen an militärische Veränderungen. Weder Fronten, noch der Gegner sind eindeutig zu definieren. Die Aufständischen agieren oft versteckt im zivilen Umfeld und nehmen dabei auch Opfer in der eigenen Bevölkerung bewusst in Kauf. Dadurch ist höchste Umsicht im Umgang mit Waffeneinsatz geboten. Wir agieren in Afghanistan nach dem Prinzip der „Vernetzten Sicherheit“. Dieses Konzept haben auch andere Nationen übernommen. Unabhängig von konzeptionellen Papieren ist es erforderlich die Verhaltensregeln für Afghanistan der Realität anzupassen. Dies gebietet die Verantwortung gegenüber unseren Soldaten. Es muss klar definiert werden, was unsere Ziele sind. Ich verweise hier auf die Afghanistankonferenz in London. Dort haben sich die beteiligten Nationen zu ihrem Engagement bekannt und neue Schwerpunkte gesetzt, die richtigen wie wir meinen.
Bei all unseren Bemühungen betonen wir das Prinzip des „Afghan Ownership“, also die Verantwortlichkeit der afghanischen Stellen. Deswegen hat die Ausbildung der Sicherheitskräfte für uns eine hohe Bedeutung. Jedoch sollte von überzogenen Erwartungen Abstand genommen werden. Westliche Maßstäbe können in einem Land wie Afghanistan nicht angelegt werden. Die ausgeprägte Stammeskultur und der Rückstand in vielen Bereichen müssen berücksichtigt werden. Der Weg der vor uns liegt, ist noch lang. Dass wir ihn beschreiten ist richtig.
Dass Einsätze wie in Afghanistan auch eine haushälterische Dimension haben, ist unstrittig. Der Haushalt 2010 ist ohne Zweifel ein Krisenhaushalt und stellt eine finanzpolitische Herausforderung dar. Wir haben andererseits eine Verantwortung gegenüber den Soldaten, der es gerecht zu werden gilt. Alle notwendigen Mittel, die sie zur Erfüllung ihrer vielfältigen Aufträge insbesondere in den Einsätzen benötigen, werden bereitgestellt. In diesem Zusammenhang sind auch die kurzfristig zur Verfügung gestellten zusätzlichen Finanzmittel für den Afghanistan-Einsatz zu sehen.
Dennoch beschäftigt uns ständig die Frage, wie Konzeption, Finanzlinie und rechtlicher Rahmen weiter verbessert werden können, damit wir in den Einsätzen zum Erfolg kommen und die Bundeswehr optimal agieren kann. Zwar konnte die rechtliche Situation für unsere Truppe durch die Klassifizierung des Konflikts in Afghanistan als „nicht internationaler bewaffneter Konflikt“ präzisiert werden. Ich verweise hier auf die Bundesanwaltschaft, die das Verfahren gegen Oberst Klein zu Recht eingestellt hat. Dennoch existiert immer noch Optimierungsbedarf. Es gibt noch keine Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Bundeswehrangehörige. Dies wollen wir zügig ändern.
Abschließend möchte ich anmerken, dass die Verstärkung der zivilen Wiederaufbaubemühungen essentielles Interesse Deutschlands ist. Soldaten stellen den Sicherheitsschirm dar, unter dem sich der zivile Wiederaufbau entfalten kann. Nur mit einer funktionierenden wirtschaftlichen und sozialen Infrastruktur kann sich eine selbsttragende stabile Sicherheitslage entwickeln, die das Ziel der Afghanistan-Mission ist.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen weiterhelfen.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Ernst-Reinhard Beck MdB