Frage an Ernst Dieter Rossmann von Lucas H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Rossman,
da ich das achtzehnte Lebensjahr vollendet habe und auch schon vom Kreiswehrersatzamt in Hamburg als Wehrpflichtiger erfasst worden bin, kontaktiere ich Sie, einen "meiner" MdBs, zum Thema Wehrpflicht.
Mich interessiert Ihre bzw. die Position der SPD (falls diese sich unterscheiden) zu dem Thema. Ich bin aus verschiedenen Gründen gegen die Wehrpflicht, sie hier einzeln darzulegen würde zu viel Text in Anspruch nehmen. Ich empfinde sie als ungerechtfertigten und tiefen Eingriff in meine Menschenrechte.
Falls die SPD gegen die Wehrpflicht ist, warum wurde sie während den Rot-Grün-Jahren nicht abgeschafft, zumal die Grünen meines Wissens gegen die Wehrpflicht sind.
Zuletzt würde ich gerne wissen, ob das Thema Wehrpflicht überhaupt noch disktuiert wird.
Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Holland,
vielen Dank für Ihre Frage zur Wehrpflicht.
Die SPD hat hierzu 2007 eine umfassende Debatte geführt, in die ich mich damals selbst auch eingebracht habe. Auf dem Bundesparteitag in Hamburg im Oktober 2007 wurde dann ein Beschluss gefasst, den ich inhaltlich auch unterstütze.
Die Ausgangslage ist dabei: Ein Drittel eines Geburtsjahrgangs wird zur Bundeswehr als Wehrpflichtige eingezogen oder leistet Ersatzdienst. Zwei Drittel brauchen sich dieser gesamtgesellschaftlichen Pflicht nicht zu stellen. Die Aufgaben und Herausforderungen der Bundeswehr in der Transformation unterscheiden sich grundlegend von denen zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes. Die schnelle Mobilisierbarkeit eines großen Landheeres ist heute verteidigungspolitisch nicht mehr notwendig. Auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen haben sich substanziell verändert. Zudem ist es eine unbestrittene Erkenntnis, dass selbst unter Berücksichtigung der Zivildienstleistenden die Dienst- und Wehrdienstsgerechtigkeit ernsthaft gefährdet ist. Hiervor die Augen zu verschließen und nur auf bekannte Strukturen zu setzen, ist politisch kurzsichtig und nicht verantwortungsvoll.
Deshalb geht die SPD einen anderen Weg. Wir haben eine Position entwickelt, die sicherheitspolitische und gesellschaftliche Herausforderungen berücksichtigt. Die Bundeswehr kann mit dem bereits in anderen europäischen Ländern erprobten Modell eines Wehrdienstes, der verstärkt auf Freiwilligkeit abzielt, die Vorzüge der Wehrpflicht nutzen ohne die Grenzen der Dienstgerechtigkeit zu überschreiten und den sicherheitspolitischen Konsens in der Gesellschaft zu gefährden. In Abwägung der Vor- und Nachteile von Streitkräften mit und ohne Wehrpflichtkomponente wird aus sicherheits- und verteidigungspolitischer Sicht ein Wehrsystem bevorzugt, das sich weiterhin strukturell auf die Wehrpflicht stützt.
Wir setzen deshalb auf eine Fortentwicklung der Wehrpflicht, unter Beibehaltung der Musterung und Wehrgerechtigkeit, die die Möglichkeit einer flexiblen Bedarfsdeckung des erforderlichen Bundeswehrpersonals mit einer Stärkung des freiwilligen Engagements in der Bundeswehr verbindet. Wir streben an, zum Dienst in den Streitkräften künftig nur noch diejenigen einzuberufen, die sich zuvor bereit erklärt haben, den Dienst in der Bundeswehr leisten zu wollen.
Dies ist der Ausdruck einer persönlichen Entscheidung, sich für die Gesellschaft und für das Gemeinwohl zu engagieren. Dazu wollen wir die Attraktivität dieses freiwilligen Wehrdienstes steigern (z. B. über eine Ausweitung der FWDLer) und über ein Bonussystem positive Anreize setzen, etwa durch die Anrechnung von Dienst- auf Ausbildungszeiten und andere Vergünstigungen.
Darüber hinaus sind die freiwilligen sozialen Dienste zu stärken. Diejenigen, die freiwillig einen Dienst an der Allgemeinheit leisten, müssen auch von einem Bonussystem profitieren können. Dies stärkt die Zivilgesellschaft und die generationenübergreifende Solidargesellschaft.
Die positiven Erfahrungen der Bundeswehr mit den freiwillig länger dienenden Wehrpflichtigen und den freiwillig dienenden Reservisten haben das neue SPD-Konzept nachhaltig beeinflusst. Dies gilt auch für die Erkenntnis, dass das freiwillige soziale Jahr inzwischen in nicht wenigen Bereichen größere Bedeutung hat als der klassische Zivildienst. Ich halte es für sachlich begründet und auch realistisch, auch bei den Wehrpflichtigen verstärkt auf das Element der Freiwilligkeit zu setzen und in diesem Sinne die Wehrpflicht fortzuentwickeln.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Ernst Dieter Rossmann