Frage an Ernst Dieter Rossmann von Marcel F. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Dr. Rossmann,
Wie Sie am 24.4. richtig zitierten, ist die Todesstrafe nach Art. 2 Abs. 1 der EMRK
abgeschafft. Was Sie leider nicht zitierten ist der Abs. 2 desselben Artikels, der diese Aussage durch eine "Negativdefinition" relativiert:
"Eine Tötung wird nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie
durch eine Gewaltanwendung verursacht wird, die unbedingt erforderlich ist,
um
(…)
c) einen Aufruhr oder Aufstand rechtmäßig niederzuschlagen“.
Dies ist es, was besorgten Menschen sauer aufstößt.
Wieso hält sich die EU die Option offen, Aufstände mit tödlicher (!) Waffengewalt niederzuschlagen? Ab wann ist eine Demonstration ein Aufstand?
Ein weiterer Punkt, der beunruhigt, ist die Aussicht
auf die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
In dem diesbezüglichen Auszug (Abschnitt 2, Art. 42) erregt besonders Abs. 3 mein Aufsehen:
"Die Mitgliedstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern."
Warum nimmt Europa tatsächlich am weltweiten Wettrüsten teil, statt es zu verhindern?
Mein Europa würde jede Art militärischer Machtausübung zur Wahrung von "Werten und Interessen" aus dem Reformvertrag heraushalten und
die Diplomatie als einziges Mittel der Außenpolitik nutzen.
Wie stehen Sie zur Organklage ihres CSU-Kollegen Dr. Gauweiler?
Ein EU-Vertrag, der das Niederschlagen von Demonstrationen mit Gewalt legitimiert, dies aber hintenrum über die rechtliche Gleichstellung einer Ergänzung einer Menschenrechtskonvention (!) tut, und uns in ein globales Wettrüsten treibt, wird Europa NICHT "demokratischer, transparenter und sicherer" machen, wie man uns dieser Tage erzählt.
Ich danke den Iren für ihr "NO", denn auch ich hätte gegen DIESES Europa gestimmt. Dies aber nicht weil ich uninteressiert, fehlinformiert, undankbar oder nationalstolz bin.
Ich will einfach kein Europa der zwei Gesichter!
Wer für Demokratie, Menschenrechte und Frieden in der Welt stehen will, sollte mit gutem Beispiel voran gehen. Mehr nicht.
Sehr geehrter Herr Fehlau,
vielen Dank für Ihre Fragen und Meinungsbekundungen zum EU-Reformvertrag. Ich möchte meiner Detailantwort deshalb auch eine allgemeine Einschätzung voran stellen:
Ich sehe es als wichtige Aufgabe an, die schwierigen politischen Verfahren und Regelungsinhalte der EU--Rechtsakte in eine transparente und nachvollziehbare Vorgehensweise und eine verständliche und bürgernahe Sprache zu übersetzen, um Bedenken in der Bevölkerung auszuräumen und Vertrauen in die politische Arbeit zu schaffen. Dazu gehört natürlich auch die umfassende Diskussion über den Vertrag von Lissabon. Ich selbst habe mich dieser auch zu einer Reihe von Gelegenheiten gestellt, unter anderem auf dieser Plattform.
Mich verwundert aber dann doch, auf welche zum Teil abseitigen Punkte sich die öffentliche Debatte fokussiert. Ich hielte es für sehr viel wichtiger, zu debattieren, wie man die Fortentwicklung der wirtschaftlichen Union hin zu einer politischen und sozialen Union gestalten kann. Es ist ja nun kein Geheimnis, dass der Vertrag auch auf Kompromissen zu unterschiedlichen europapolitischen Vorstellungen und den dahinterstehenden Interessensgegensätzen beruht. Der Ablehnung des Referendums in Irland lag ja auch explizite Kritik am derzeitigen europäischen Sozialmodell zugrunde. Auch angesichts der schwierigen jüngsten Urteile des Europäischen Gerichtshofes, die das Verhältnis zwischen wirtschaftlichen Grundfreiheiten und nationalstaatlichen sozialpolitischen Regelungen betreffen, brauchen wir hier klare Fortschritte. Dieses könnte zum Beispiel durch ein ergänzendes Sozialprotokoll geschehen.
Nun aber zu Ihren konkreten Punkten:
Zunächst zu Ihrer Frage hinsichtlich der Todesstrafe. Es handelt sich hier um eine Regelung aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die im Kontext der weiteren Rechtfertigungsgründe besteht. So wird in Art. 2 Abs. 2 a) der Fall der Notwehr oder Nothilfe geregelt, hierunter fallen z.B. Regelungen wie der sog. "gezielte Todesschuss" wenn z.B. bei einer Geiselnahme Geiseln in unmittelbarer Gefahr sind. Diese Regelung gibt es auch in den Polizeigesetzen vieler deutscher Bundesländer. Bei Abs. 2 b) geht es um die Niederschlagung eines Aufruhrs oder Aufstandes. Hierzu gibt es, seitdem diese Regelung sich in der EMRK befindet, kaum Anwendungsfälle, insbesondere, weil auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) diese Regelung sehr restriktiv ausgelegt wird.
Auch wenn man sich die Geschichte der EMRK in den vergangenen bald 60 Jahren anschaut, sieht man, dass es hier einen immer restriktiveren Umgang mit der Todesstrafe bis hin zu ihrem vollständigen Verbot mit dem 6. Änderungsprotokoll von 1983 in Friedenszeiten sowie seit dem 13. Protokoll 2002 auch in Kriegszeiten gegeben hat. Man muss hier die einzelne Regelung nicht isoliert, sondern sowohl vor dem Hintergrund ihrer Entstehungsgeschichte als auch im gesetzlichen Zusammenhang betrachten.
Dazu gehören dann entsprechend auch die nationalstaatlichen Regelungen, auf die sich polizeiliches Handeln beziehen muss, denn natürlich kann nicht "die EU einen Aufstand niederschlagen". So ist in Artikel 8, Absatz 1 Grundgesetz geregelt: "(1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln." Es gibt insofern ein klares Recht auf Freiheit für Demonstrationen. Zu der Befürchtung, hier werde Versammlungsfreiheit eingeschränkt oder gar Demonstranten mit dem Tode bedroht, gibt es keinen Anlass.
Auch die Bedenken, dass die EU durch den Vertrag von Lissabon militarisiert würde, sind aus meiner Sicht unbegründet. Die Ablehnung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU (GSVP) ist nur unter der Annahme nachvollziehbar, dass der Einsatz militärischer Mittel grundsätzlich abgelehnt wird. Anderenfalls sollte die europäische Ohnmacht während der Balkan-Kriege der 1990er Jahre verdeutlicht haben, dass die EU militärische Fähigkeiten benötigt, um Waffenstillstand durchzusetzen und Frieden zu ermöglichen, ohne auf die Hilfe der USA angewiesen zu sein.
Die Europäische Verteidigungsagentur (EVA) wurde eingerichtet, um die Rüstungsmaßnahmen der EU-Staaten zu koordinieren und effizienter zu gestalten (Art. 42 Abs. 3 i.V.m. Art. 45 EUV). Derzeit besteht ein eklatantes Ungleichgewicht zwischen den summierten Rüstungsausgaben der EU-Staaten und den vorhandenen militärischen Fähigkeiten. Angesichts zunehmender Anfragen der Vereinten Nationen an die EU-Staaten, zivile und militärische Fähigkeiten zur Krisenprävention, Krisenbewältigung oder Krisennachsorge zur Verfügung zu stellen, müssen die Mitgliedstaaten ihre Kapazitäten verbessern. Das wäre bei einer angemessenen europäischen Arbeitsteilung auch möglich und sinnvoll. Diese Zusammenarbeit soll die EVA fördern. Im Ergebnis soll dadurch eine quantitative Abrüstung bei gleichzeitig qualitativ verbesserten militärischen Fähigkeiten erreicht werden.
Eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Aufrüstung enthält der Vertrag von Lissabon dagegen ausdrücklich nicht. Auch bei der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit (Art. 42 Abs. 6 und Art. 46 EUV und Protokoll zur Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit) gilt der Grundsatz: die EU-Staaten entscheiden, ob sie teilnehmen wollen oder nicht (vgl. insbesondere Art. 46 Abs. 1 EUV).
Deutschland und die EU haben kein Interesse an einer Gefährdung des Friedens in Europa oder irgendwo sonst auf der Welt. Im Gegenteil: Ziel - nicht nur der Sozialdemokratie - ist es nach wie vor, den Frieden in Europa und der Welt zu fördern.
Sie sprechen die Organklage von Herrn Dr. Gauweiler an. Es ist natürlich das Recht jedes Abgeordneten, durch das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsmäßigkeit von Beschlüssen prüfen zu lassen. Herr Dr. Gauweiler nimmt dieses Recht ja nun auch mit wechselndem Erfolg regelmäßig in Anspruch. Das ist sein gutes Recht und in einem Rechtsstaat auch selbstverständlich. Ich bin zuversichtlich, dass das Bundesverfassungsgericht hier im Sinne einer weiteren europäischen Einigung urteilen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Ernst Dieter Rossmann, MdB