Frage an Ernst Dieter Rossmann von Jorias W. bezüglich Bildung und Erziehung
Sehr geehrter Herr Rossmann,
was ist Ihrer Meinung nach - auch wenn es Ländersache ist - die beste Maßnahme, um die Schulen in eine positivere Richtung zu transformieren? Meiner Meinung nach sind die Schulen und Unterrichtskonzepte nicht auf die Zukunft ausgerichtet und es herrscht zu oft die klassische Praxis vor. Vielleicht müssten die Schulen voneinander lernen, denn es existieren gute Schulen, diese sind aber leider in der Unterzahl.
Warum werden in Curriculae Regelstandards formuliert und keine Mindeststandards? Billigt man so nicht einfach abgehängte SuS?
Was ist aus Ihrer Sicht der Grund dafür, dass es einen immensen Investitionsstau bei Schulgebäuden gibt? Sind die Bauverwaltungen unterbesetzt?
Mit freundlichen Grüßen
J.
Sehr geehrter Herr Weirauch,
herzlichen Dank für Ihre Anfrage über Abgeordnetenwatch. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich nicht auf jeden der von Ihnen aufgeworfenen Punkte detailliert eingehen kann.
Gerne will ich aber versuchen, zu Ihren Fragen und Denkanregungen als langjähriger Bildungspolitiker einige Gedanken zu formulieren. Wie Sie bereits schreiben, liegen ein Großteil der Kompetenzen in der Schulpolitik bei den Ländern und dann in der konkreten Umsetzung auch bei den Kommunen. Hier hat der Bund - so sehr ich das manchmal auch bedauert habe - einfach nur eine sehr eingeschränkte Einflussmöglichkeit.
Das soll nicht Ihre berechtigten Fragen beiseite wischen, vielmehr glaube ich, dass dieser Bildungsföderalismus in seiner jetzigen Form nicht mehr ganz zeitgemäß umgesetzt wird, hier wünsche ich mir mehr Zusammenarbeit und Koordination zwischen den verschiedenen Ebenen, also Kommunen, Bundesländern und der Bundesebene. Mein Eindruck aus den letzten Jahren hat sich während der Corona-Krise nochmals bestätigt und die Situation an den Schulen hat sich verschärft: Wenn wir nicht endlich auch ganz grundlegend und strukturell gegensteuern, dann droht eine zunehmende Spaltung in der Bildungslandschaft in Deutschland. Vorbildschulen in wohlhabenden Städten, Gemeinden und Bundesländern und Brennpunktschulen in Gegenden, die finanziell nicht so gut dastehen. Hier braucht es mehr bedarfsgerechte Unterstützung etwa bei der digitalen Ausstattung aber eben auch mehr verbindliche Zusammenarbeit über die Grenzen der Bundesländer hinweg.
Mein Eindruck ist, dass immer weniger Menschen dafür Verständnis haben, wenn an den Grenzen der Schulbezirke teils größere Hürden und Unterschiede vorhanden sind als zwischen verschiedenen Ländern in Europa. Diese Zuspitzung soll nicht so verstanden werden, das ich für eine bundeseinheitliche Schulpolitik bis ins kleinste Detail bin, ein "Durchregieren" des Bundes ist genauso falsch wie die jetzige kleinteilige Bildungspolitik der Länderfürsten, die gerne Haushaltsmittel des Bundes fordern und annehmen, sich aber jegliche verbindliche Koordinierung und Beteiligung der kommunalen und föderalen Politik verbieten.
Ich denke, viele der von Ihnen aufgeworfenen Lösungswege gehen in die richtige Richtung und teilweise werden sie ja auch schon umgesetzt. Best Practice Modelle von besonders erfolgreichen Schulen, Wettbewerbe mit Vorbildcharakter und viele Lehrerinnen und Lehrer und Schulleitungen die sich auch über ihre eigene Schule hinaus sehr stark engagieren und für Verbesserungen im ganzen System einsetzen. Ein Problem ist einfach, dass kaum ein Politikfeld mit einer solch komplexen, historisch gewachsenen und mit vielfältigen Interessen behafteten Struktur konfrontiert ist. Große Veränderungen brauchen immer Zeit und rufen fast immer -vielleicht erinnern Sie sich an den Versuch einer großen Schulreform im progressiven Hamburg - große Proteste und viel Widerstand hervor. Denn jeder und jede interessiert sich für Schulpolitik bzw. ist in der ein oder anderen Form davon betroffen.
Deshalb: Ja, die Defizite an den Schulen sind in letzter Zeit besonders deutlich geworden und auch ich bin der Meinung, dass wir hier endlich eine große Reform auf den Weg bringen sollten, die auch eine grundlegende Neuordnung der politischen Zuständigkeiten beinhaltet. Das geht aber nur, wenn möglichst viele Akteure mit ins Boot geholt werden und auch die entsprechenden politischen Mehrheiten sowohl auf Landes- als auch auf Bundesebene vorhanden sind. Gleichzeitig hoffe ich auch, dass die in der Corona-Krise unübersehbar gewordene Brisanz beim Modernisierungsstau an den Schulen auch auf allen Ebenen (Schulleitungen, Bauämter, Lokalpolitik und Landesverwaltungen und -regierungen und der Bund als weiterer Geldgeber) dazu führt, das diese baulichen Modernisierungsprozesse endlich beschleunigt und als zentrale gesamtgesellschaftliche Aufgabe wahrgenommen werden.
Ich hoffe, dass ich Ihnen ein paar Ihrer Fragen beantworten konnte.
Mit besten Grüßen aus Elmshorn
Ernst Dieter Rossmann