Frage an Ernst Dieter Rossmann von Dirk G. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Rosmann,
am morgigen Freitag, den 06.11.2020, soll über den Entwurf eines "Dritten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung ....." im Bundestag beraten werden.
Mit diesem Gesetz werden weitreichende Grundrechtseinschränkungen unter dem Deckmantel eines "Gesundheitsdiktats" beschlossen.
Sie als Bundestagsabgeordneter aus Schleswig-Holstein haben jetzt die Gelegenheit, sich zu unseren unveräusserlichen Grundrechten zu bekennen und dieses Gesetz zu stimmen! Lassen Sie diesen Gesetzes-Albtraum nicht wahr werden! Ich bitte Sie inständig!
Wie wollen Sie Ihre Zustimmung zu diesen Gesetz vor sich und dem Land rechtfertigen?
Mit freundlichen Grüßen
D. G.
Sehr geehrter Herr Gerschau,
herzlichen Dank für Ihre E-Mail vom 5.11.2020 hinsichtlich der Abstimmung zum Dritten Bevölkerungsschutzgesetz. Im Folgenden möchte ich auf Ihre Bedenken eingehen – insbesondere angesichts des nun beschlossenen Gesetzes. Dazu schicke ich Ihnen den Link zum jetzt aktualisierten Infektionsschutzgesetz mit, so wie wir es mit den nach der Ausschussanhörung erfolgten Änderungsanträgen der Regierungskoalition beschlossen haben. Sie finden das aktualisierte Gesetz auf der Website des Bundesgesundheitsministeriums: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/B/3._BevSchG_BGBl.pdf
Ich bin hierbei ganz ehrlich der Auffassung, dass einige Menschen sich keine Vorstellung darüber machen, wie Fachleute aus den Ministerien und Fachleute unter uns Abgeordneten (und da haben wir in den jeweiligen Fachgebieten Kolleginnen und Kollegen, die wirklich kompetent und nicht dumm oder ignorant sind), sich in die Materie hineinknien und sehr wichtige Entscheidungen vorbereiten bzw. mit treffen. Parteipolitisch bleibt es ja bemerkenswert, dass es nach meiner Kenntnis auch im Bundesrat eine sehr große Mehrheit gab, von beteiligten Landesregierungen mit CDU, CSU, SPD, Grünen und offensichtlich auch der Linkspartei. Das ist schon ein Spektrum, was sehr dafür spricht, dass dort aus sehr verschieden denkenden Parteien gleiche Sachverhalte entsprechend auch gleich sachkundig debattiert und aufgenommen und bewertet worden sind.
Im Folgenden möchte ich auf einige wichtige Punkte eingehen:
1.) Was die Testergebnisse als aussagekräftigen Grenzwert angeht, lese ich es im Gesetzentwurf so, dass dort zum einen eine Staffelung vorgesehen ist und man sich natürlich fragen darf, in welcher Komplexität dann im übrigen Grenzwerte angesetzt werden sollten. Sollte es dort mehrere kombinierte Kriterien geben, würde es die Handlungsfähigkeit an der Stelle sicherlich noch erschweren. Auch würde es dann noch schwieriger werden, einen einigermaßen exakten parlamentarischen Rahmen vorzugeben, in dem dann Bund und Ländern konkret agieren können. Im Gesetz ist ja jetzt davon die Rede, dass entsprechende schwerwiegende oder einschränkende Schutzmaßnahmen etc. in Frage kommen, insbesondere bei entsprechenden Schwellenwerten. Das kann man kritisieren, wenn es hier unbestimmte Rechtsbegriffe gibt. Auf der anderen Seite ist ja das gerade auch der Wunsch nach einer gewissen Flexibilität. Ich bin sicher, dass hier das Verfassungsgericht noch einmal angerufen werden wird und wir werden uns dann sicherlich mit entsprechenden Wegweisungen oder Auflagen des Verfassungsgerichts auseinandersetzen, wenn das Verfassungsgericht glaubt, hier sei der Gesetzgeber, und es ist hier das Parlament, das hinter dieser Maßgabe steht, unzureichend qualifiziert vorgegangen ist. Ich darf sie hierzu auch auf die Einschätzungen von Prof. Kirchhof in der Welt vom 25.11.2020 aufmerksam machen.
2.) Grundsätzlich begreife ich als „Laie“ in der Epidemiologie die Grenzwerte so, dass sie mit Blick auf die ungeheure Aggressivität in der Verbreitung des Virus so gesetzt worden sind, damit rechtzeitig eine exponentielle Beschleunigung durchbrochen werden kann. Deshalb ist ja auch die oft gehörte und in anderen Briefen gezogene Gleichsetzung mit den Prozentzahlen für sogenannte seltene Erkrankungen nicht sachgerecht. Denn diese seltenen Erkrankungen sind nun einmal in der Regel überhaupt nicht oder nicht derartig dynamisch ansteckend. Dazu kommt, dass auch die Relativierung von SARS-CoV-2 und die Gleichsetzung mit einer saisonalen Grippe so nicht richtig sind. Neben dem Fehlen der Grundimmunität und eines wirksamen Impfstoffs bzw. wirksamen Therapiemethoden ist es so, dass das öffentliche Gesundheitswesen und die Kapazitäten für Intensivbetten und Beatmungsgeräte ungleich stark und nachweislich belastet werden. Als Beispiel dafür dient der Umstand, dass einige Nachbarländer bereits Patient*innen in deutsche Krankenhäuser überführen mussten.
3.) Es ist nicht richtig, dass die Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht mehr von einer Notlage ausgehen würde. Der Ende Januar 2020 ausgerufene „Public Health Emergency of International Concern (PHEIC)“ wurde Ende Oktober erneuert und gilt entsprechend bis heute. Informationen zu den einzelnen Maßnahmen der WHO finden Sie unter: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/interactive-timeline/#!
4.) Die Verhältnismäßigkeit aus Ursache und Schaden steht weiterhin im Zentrum der Corona-Maßnahmen. Wir verzeichnen eine sehr hohe Aggressivität des Virus und eine damit verbundene Sterblichkeit bzw. länger andauernde Erkrankung für eine größere Zahl von Menschen, wenn wir denn nicht entsprechende vorbeugende Maßnahmen ergreifen würden. Da hat man doch sicherlich Verhältnismäßigkeit in der Abwägung mit im Auge behalten. Ich weiß, dass es ein abgestandener Spruch ist, aber es gilt offensichtlich „there is no glory in prevention“, wie die Engländer sagen.
5.) Wenn Sie glauben, dass wir als einzelne Abgeordnete oder als Fraktion instrumentalisiert worden sind, dann würde mich sehr wohl interessieren, wer uns denn eigentlich dort instrumentalisieren soll. Ich kann für mich sagen, dass ich jedenfalls an keiner Stelle instrumentalisiert wurde, habe mir als Abgeordneter eine eigene Meinung gebildet, und konnte diese mit genauso freien und souveränen Fraktionskollegen diskutieren und auch mit vielfältigen Experten aus dem eigenen Wahlkreis, was Krankenhäuser oder die Gesundheitsdienste der Kreisbehörden angeht, bis hin zu Aussagen von hochkompetenten Wissenschaftlern und unseren bedeutendsten Forschungsorganisationen. Und natürlich wägen wir ständig Grundrechtsartikel ab, wenn es um besondere Notlagen und Krisensituationen und Regelverstöße etc. geht.
6.) Wenn Sie fragen, ob es in Deutschland keine Freiheit mehr gibt oder keine Demonstrationsfreiheit, dann belegt doch die ganze aktuelle Diskussion, die Vielstimmigkeit, die Debatten im Parlament, was wir an Meinungsfreiheit haben. Wer allerdings glaubt, dass das, was wir jetzt in einem freien Parlament, in einer freien Demokratie mit diesen Fachgesetzen zur Bekämpfung einer Pandemie tun, vergleichbar sei mit 1933 und den Ermächtigungsgesetzen, trifft auf vollkommenes Unverständnis bei mir. Ich glaube, dass ist entweder absolute Unkenntnis, was 1933 und die Ermächtigungsgesetze eigentlich bedeuten oder es ist Boshaftigkeit oder Wichtigtuerei. Ich finde es jedenfalls nicht gut, dass es in dieser Richtung auch sehr deutliche und auch propagandistisch gemeinte Stimmen mitgibt. Was soll das eigentlich?
7.) Die Kontrolle wird auch nach der Verabschiedung des Gesetzes weiterhin beim Deutschen Bundestag bleiben, da dieser weiterhin über die epidemische Lage nationaler Tragweite entscheidet. Wenn das Parlament das Ende dieses Zustands formal beschließt, enden automatisch auch alle darauf beruhenden Rechtsverordnungen und Anordnungen. Darüber hinaus sind die entsprechenden Maßnahmen zeitlich befristet und auf die Bekämpfung von SARS-CoV-2 beschränkt. Zudem sollen die Schutzmaßnahmen auch weiterhin das jeweilige regionale Infektionsgeschehen berücksichtigten. Es ist daher nicht richtig, dass durch dieses Gesetz entsprechende Schutzmaßnahmen automatisch verhängt würden. Es obliegt weiterhin den Bundesländern und zuständigen Behörden, notwendige Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu erlassen.
8.) Hinsichtlich der wirtschaftlichen Maßnahmen nehme ich es so wahr, dass es auch im Mittelstand an vielen Stellen sehr wohl anerkannt wird, was wir aus öffentlichen Mitteln und voller Überzeugung an Unterstützung für den Fortbestand der Unternehmen leisten, und sehe, dass sich auch hier die Kabinettsvertreter und unsere Fraktion sehr engagieren. Ich glaube, dass dieses auch weiter so sein wird. Entsprechend weitreichende Beschlüsse (nur z.B. Umsätze als Bemessungskriterium) werden doch gerade gefasst und kommen dann in die Umsetzung.
Wenn ich noch etwas dazu setzen darf: Es macht mir auch keinerlei Angst, wenn in einem Gesetz etwas von Ermächtigung oder Verordnung steht, sondern dies ist ein ganz normaler juristischer Verwaltungsausdruck, ohne den sich all die detailliertesten Vorschriften und Rechtsbestimmungen etc. gar nicht praktikabel umsetzen ließen. Natürlich muss dabei aber insbesondere im Grundrechtsbereich der Rahmen so genau wie möglich formuliert werden.
Herzlichen Dank noch einmal für Ihr Schreiben.
Mit freundlichen Grüßen
Ernst Dieter Rossmann