Frage an Ernst Dieter Rossmann von Marc N. bezüglich Medien
Ich bin sehr besorgt um Pressefreiheit und Sicherheit in Deutschland und Europa.
Die Politik muss dringend von kritischer und unabhängiger Presse kontrolliert werden!
Ich beobachte seit Jahren die widerrechtliche Verfolgung und Inhaftierung von Julian Assange. Es werden von Behörden haarsträubende Anklagen konstruiert, um diesen mutigen Journalisten mundtot zu machen. Seine Unterbringung im Hochsicherheitsgefängnis in England und die Mißachtung seiner Bürgerrechte im laufenden Verfahren sind eine Schande für die gesamte "westliche Wertegemeinschaft". Er wird seit Jahren offiziell gefoltert, wie der Sonderberichterstatter der UN für Folter schon vor geraumer Zeit feststellte! Eine Auslieferung in die USA ist nach britischem Recht aus politischen Gründen ausgeschlossen. Dennoch bin ich mir sicher, dass die Behörden krampfhaft nach einem Weg suchen und ihn auch finden werden, wenn die Öffentlichkeit wie bisher wegschaut. Daher finde ich es umso dringender, dass auch die deutsche Politik sich für die Freiheit der Presse und damt für die Freiheit von Julian Assange positioniert.
Seine einzigen "Vergehen" sind die Offenlegung von Kriegsverbrechen verschiedener Staaten, die erste Pflicht eines Journalisten! Offensichtlich wird versucht, nicht nur ihn, sondern alle potentiell kritischen Journalisten einzuschüchtern. Dass die Presse sich nicht für ihn einsetzt, obwohl sie sehr von seiner Arbeit profitiert hat und sehr machtlos wird, wenn seine Widersacher sich durchsetzen, ist eine Schande und eine große Gefahr.
Der Vorgang erschüttert mein Vertrauen in Politik und Medien zutiefst und ist aus meiner Sicht ein starkes Symptom, wenn nicht gar eine Ursache der derzeitigen Politik- und Medienverdrossenheit ("Lückenpresse").
Was tun Sie bzw. Ihre Fraktion, um diese für die gesamte Gesellschaft untragbare Farce zu beenden?
Sehr geehrter Herr Neumann,
haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben vom 5. März 2020 in Sachen Julian Assange, die mich über abgeordnetenwatch.de erreicht hat. Aufgrund der vielen Anfragen, die ich erhalte, bitte ich Sie um Verständnis dafür, dass meine Antwort einige Zeit in Anspruch genommen hat. Zudem bitte ich um Ihr Verständnis, dass ich in dieser Angelegenheit kein Experte bin und daher meine Fachkolleginnen und Fachkollegen in der SPD-Bundestagsfraktion hierzu gesprochen habe. Im Folgenden schildere ich Ihnen die Haltung unserer Fraktion:
Die Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien ist eine grundlegende Bedingung für funktionierende Demokratien und muss an oberster Stelle stehen. Der Rechtsstaat hat eine lange europäische Tradition. Und wir sind zurecht stolz auf die Standards. Jedem Eindruck, dass das in besonderen Fällen außer Kraft gesetzt werden könnte, müssen wir energisch entgegenwirken. Ein Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit im Fall Assange hätte weite negative Wirkungen über den konkreten Fall hinaus. Großbritannien hat sich nicht nur im Rahmen der EU, sondern auch des Europarats zu rechtsstaatlichem Handeln verpflichtet. In jedem Fall.
Die Behandlung, die Julian Assange erfährt, halten wir deshalb für äußerst besorgniserregend. Insbesondere die Vorwürfe des UN-Rechtsexperten Nils Melzer, Assange sei psychologischer Folter ausgesetzt worden, müssen ernstgenommen werden.
Jetzt ist es auch wichtig, die öffentliche Aufmerksamkeit auf den Fall zu lenken und eine genaue Aufarbeitung zu ermöglichen. Wir als SPD-Bundestagsfraktion wollen Nils Melzer daher einladen, um über den Fall Assange, aber auch das Thema Whistleblower generell zu sprechen.
Eine Auslieferung an die USA darf auf jeden Fall nicht stattfinden, wenn Herrn Assange kein faires Gerichtsverfahren garantiert werden kann. Der Fall von Chelsea Manning, die seit Mai 2019 wieder inhaftiert war und vor kurzem zum zweiten Mal freigelassen wurde, zeigt zudem, dass sich die Lage für Whistleblower*innen in den Vereinigten Staaten verschärft hat.
In der SPD-Bundestagsfraktion wird dieser Fall seit einiger Zeit diskutiert und immer wieder melden sich auch SPD-Abgeordnete zu Wort. Ein wichtiges Signal ist der öffentliche Appell von 130 Politiker*innen, Künstler*innen und Journalist*innen, in dem diese fordern, Julian Assange aufgrund seines kritischen Gesundheitszustandes aus dem Gefängnis zu entlassen.
Und zum Schluss noch einmal ein Wort zu Whistleblowing: Wir brauchen ein umfassendes Verständnis davon, dass Whistleblowing gut und notwendig ist. Menschen, die schlimmste Vergehen aufdecken, sind keine Nestbeschmutzer, sondern sie leisten einen Dienst für die Demokratie und die Menschenrechte. Whistleblower müssen durch internationale Konventionen und Abkommen und durch nationale Gesetze geschützt werden.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen die Haltung der SPD-Bundestagsfraktion gut darlegen, und bedanke mich noch einmal für Ihre E-Mail.
Mit freundlichen Grüßen
Ernst Dieter Rossmann