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Ernst Dieter Rossmann
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Frage von Ernst L. •

Frage an Ernst Dieter Rossmann von Ernst L. bezüglich Arbeit und Beschäftigung

Sehr geehrter Herr Rossmann...

rein zufällig bin ich auf die Site des IDW s gestoßen.
Auf einen Vorschlag der Magdeburger Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Joachim Weimann und Prof. Dr. Ronnie Schöb :

"Magdeburger Alternative" schafft Arbeitsplätze auch mit Mindestlöhnen mit folgendem Lohnmodell:

Die so genannte "Magdeburger Alternative" ist ein Reformvorschlag, der gering qualifizierte Menschen von der Last befreit, die Sozialversicherungsbeiträge erwirtschaften zu müssen, und der ihre Arbeit deshalb billiger macht, ohne dass die Nettoeinkommen sinken.

Der Reformvorschlag der Magdeburger Ökonomen sieht vor, die Unternehmen von der Abgabe der Sozialversicherungsbeiträge für neu eingestellte Arbeitslose im Niedriglohnbereich zu befreien. Dies erlaubt es, die Bruttolöhne um mehr als ein Drittel zu senken, ohne die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer anzutasten. Da ergänzende Maßnahmen, wie eine Stichtagsregelung die Verdrängung regulärer Arbeitskräfte ausschließen, können auf diese Weise rein rechnerisch über 1,2 Millionen neue Arbeitsplätze im Niedriglohnbereich geschaffen werden, so Weimann. Damit wäre es möglich, gleichzeitig moderate Mindestlöhne einzuführen und die Arbeitskosten für die Unternehmen bis zu 35 % zu senken.
In Sachsen-Anhalt, so die Berechnungen des Wirtschaftsprofessors, könnten mit der Magdeburger Alternative etwa 50 bis 60.000 Arbeitsplätze entstehen, bundesweit sogar bis zu 1,2 Millionen.

Der Reformvorschlag der Wirtschaftsökonomen wurde bislang von Bundes- und Landespolitik noch nicht aufgegriffen. "Dabei sind Versuche mit unserem Modell sehr leicht durchzuführen, weil sich die Magdeburger Alternative selbst finanziert. Der Verzicht auf die Sozialbeiträge kostet den Staat nichts, dafür spart er ALG II-Zahlungen", so der Wirtschaftswissenschaftler Weimann.

Sind diese Aussagen der o.g. Wissenschaftler zutreffend und was steht diesem Modell entgegen?

Für die Beantwortung bedanke ich mich herzlich

E. Lindemann

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr Lindemann,

vielen Dank für Ihre Frage vom 11.12.2007 zum Modell der sogenannten "Magdeburger Alternative".

Dieses Modell, dass in den vergangenen Jahren mehrfach von zwei Magdeburger Wirtschaftswissenschaftlern ins Gespräch gebracht wurde, ist ein Kombilohn-Modell, bei dem die Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung für neu eingestellte ALG-II-Empfänger sowie für eine gleich hohe Zahl anderer Beschäftigter in den untersten Tarifgruppen komplett vom Staat übernommen werden. Daneben soll durch eine Stichtagsregelung gewährleistet werden, dass nur neu geschaffene Stellen hierunter fallen: Wenn die Zahl der Beschäftigten unter die des Stichtages fällt, fällt die Finanzierung der Sozialversicherungsbeiträge weg. Außerdem ist eine ganz erhebliche Verschärfung der Zumutbarkeitskriterien für Arbeitnehmer Teil dieses Modells.

Zunächst halte ich schon die Grundannahme dieses Modells für fragwürdig. Hier wird davon ausgegangen, dass Beschäftigung nur erhöht werden kann, wenn die Arbeitskosten sinken. Diese Sicht auf die Funktionsweise des Arbeitsmarktes teile ich nicht. Außerdem werden hier weitere Faktoren ausgeblendet, insbesondere die gesamte Wirkung der Binnennachfrage auf den Arbeitsmarkt.

Der Arbeitsmarkt wurde in den vergangenen Jahren erheblich dereguliert, ein massives Anwachsen des Niedriglohnsektors war die Folge. Dies hat jedoch insgesamt nicht immer nur positive Beschäftigungseffekte gehabt, da häufig zuvor sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse in Minijobs umgewandelt wurden. Auch konnten dadurch keine wohlstandssteigernde Löhne sichergestellt werden. Ergebnis waren vielmehr im Durchschnitt sinkende Reallöhne, die einer erheblichen Produktivitätssteigerung gegenüber standen. Die lohnabhängig Beschäftigten haben auch nicht von der erfolgten Ausdifferenzierung der Löhne nach unten profitiert. Lohnkonkurrenz im Niedriglohnbereich führt nicht zu neuer Arbeit, sondern zu neuer Armut und neuer Unsicherheit.

Die neuen Beschäftigungs- und Lohnstrukturen haben keine steigenden Haushaltseinkommen und somit auch keine steigende Binnenkonjunktur generiert, sondern die Nachfrage geschwächt und damit wiederum Beschäftigung gefährdet. Lohnsubventionen ziehen mittelfristig eine Absenkung des gesamten Lohngefüges nach sich. Das Modell der "Magdeburger Alternative" sieht zwar eine Garantie der tariflichen Entlohnung vor. Für die Unternehmen bedeutet die Subventionierung der untersten Gehaltsklasse aber de facto eine Absenkung der dort gezahlten Löhne. Die Folgen: Die Unternehmen versuchen verstärkt, neue Beschäftigte in die untersten Lohngruppen einzuordnen, damit sie Lohnsubventionen bekommen. Es entsteht ein Druck, unmittelbar über den subventionierten Einkommen liegende Tätigkeiten in die unterste, die subventionierte, Gehaltsklasse herabstufen.

Von wissenschaftlicher Seite wird an der "Magdeburger Alternative" konkret kritisiert, dass die enormen beschäftigungs- und fiskalpolitischen Vorzüge, die dieses Modell nach Angaben der Autoren bietet, tatsächlich eher auf unsauberen Rechnungen beruhen. Das Vorgehen sei insgesamt methodisch nicht zu rechtfertigen; wenn man Mitnahmeeffekte mit einbezieht, würden anstelle der 1,8 Millionen zusätzlichen Arbeitsplätze nur etwa 0,55 Millionen entstehen. Danach löst sich auch der erwartete Nettogewinn in Luft auf. Stattdessen gäbe es erhebliche Zusatzbelastungen für die öffentlichen Haushalte von etwa 10,5 Mrd. Euro; das wären etwa 19.100 Euro pro geschaffenen Arbeitsplatz.

Daneben ist die angesprochene Stichtagsregelung bei näherer Betrachtungsweise nicht sinnvoll. Abgesehen vom erheblichen Berichts- und Kontrollaufwand wird hier wirtschaftliche Dynamik nicht berücksichtigt. Wirtschaftlicher Strukturwandel bewirkt, dass in manchen Branchen die Nachfrage nach Arbeitskräften zurückgeht und in anderen steigt. Diese Dynamik wird im Modell nicht abgebildet. Außerdem werden durch die zusätzliche Förderung schon existierender Arbeitsplätze in den untersten Lohngruppen schon existierende Unternehmen gegenüber neu gegründeten bevorzugt.

Aufgrund dieser Kritikpunkte wird die "Magdeburger Alternative" auf breiter Front wissenschaftlich abgelehnt und zwar angefangen vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung über den Sachverständigenrat der Bundesregierung bis hin zum neoliberalen IFO-Institut.

Insgesamt gilt, dass man bei Modellen, die einfache Lösungen für komplexe Probleme anbieten, immer vorsichtig sein sollte. Über Kombilohn-Modelle kann man für eng beschriebene Teilbereiche des Arbeitsmarktes nachdenken. Flächendeckende Arbeitslosigkeit lässt sich aber nur mit einem guten Gesamtpaket bekämpfen, das von Mindestlöhnen über eine erhebliche Ausweitung der Qualifizierung von Arbeitslosen bis hin zu Investitionsförderprogrammen im Sinne des 25-Milliarden-Euro-Programms von Genshagen (2006) reicht, d.h. eine ganze Palette an Maßnahmen umfasst. Ziel muss es im Übrigen nicht nur sein, Arbeit um jeden Preis entstehen zu lassen. Wir haben an Arbeit noch mehr Anforderungen: Sie muss humanen Arbeitsbedingungen entsprechen und sie muss eine gerechte Entlohnung, von der man leben kann, bieten. Unser Ziel ist "Gute Arbeit" für alle.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Ernst Dieter Rossmann, MdB