Frage an Ernst Dieter Rossmann von Birgit D. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Sehr geehrter Herr Rossmann,
mit Fassungslosigkeit habe ich gerade gelesen, dass Sie auch für die Verlängerung der betäubungslosen Ferkelkastration gestimmt haben. Das ist ein Skandal. Mir drängt sich der Verdacht auf, dass auch die SPD eine Tierquäler-Partei ist. Das ging schon mit dem Koalitionsvertrag los, indem sich die SPD gemeinsam mit CDU/CSU darauf geeinigt hat, Tierschützer, die in Ställe „einbrechen“ (um Missstände aufzudecken!), härter bestrafen zu wollen. Im September hat die SPD zusammen mit CDU/CSU zwei verschiedene Anträge von FDP und Grünen zu Verschärfungen bei Tiertransporten abgelehnt. Und nun diese unselige Fristverlängerung!
Genau dieses "Weiter-So-für-die-Wirtschaft-koste-es-was-es-wolle" ist der Grund dafür, dass der SPD die Wähler in Scharen weglaufen.
Bitte erläutern Sie mir Ihre ganz persönlichen Beweggründe, warum Sie dafür gestimmt haben, dieses qualvolle Prozedere beibehalten zu wollen.
Und kommen Sie mir nicht mit einer vorformulierten Textwüste von Ihrem SPD-Kollegen Rainer Spiering. Und auch nicht mit dem Totschlagargument Arbeitsplätze (ich weiß, eine makabre Wortwahl in Zusammenhang mit dem sensiblen Thema Tierschutz). Wenn Geschäftsgrundlagen ethisch nicht vertretbar sind und zu gesundheitlichen Gefahren von Mensch, Tier und Umwelt führen, dürfen Arbeitsplätze kein Argument mehr sein.
Mich interessiert wirklich, ob Sie als Politiker noch Empathiefähigkeit für andere Lebewesen haben, und wie Sie persönlich zum Thema Tierschutz stehen.
Mit freundlichen Grüßen,
B. D.
Sehr geehrte Frau D.,
herzlichen Dank für Ihre Frage über abgeordnetenwatch.de . Gerne erläutere ich Ihnen, weshalb ich am 29.11.18 für die Fristverlängerung bei der Ferkelkastration gestimmt habe. Dabei bitte ich zu bedenken, dass ich als Bundesbildungspolitiker kein Experte aus eigener Recherche in Tierschutzsachen bin, sondern den verschiedenen Vorträgen und Sachbeitragen in der Fraktion sehr genau zugehört habe und auch das gelesen und für mich gewertet habe, was hierzu in den verschiedenen Leitmedien in Deutschland veröffentlich wurde. Ich kann Ihnen versichern, dass ich mir die Entscheidung nicht leicht gemacht habe.
Der ehemalige Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Christian Schmidt hat in den (bereits als Übergangsfrist vorgesehenen) letzten fünf Jahren versäumt, die Voraussetzungen für die im Tierschutzgesetz 2013 vorgegebene schmerzfreie Ferkelkastration zu schaffen. Nun musste der Bundestag die Initiative ergreifen, um eine Lösung in letzter Minute herbeizuführen. Natürlich setze ich mich dafür ein, dass die Lebensbedingungen von Nutz-, Heim- und Wildtieren nachhaltig verbessert werden. Im parlamentarischen Willensbildungsprozess wurde jedoch deutlich, dass es derzeit keine Alternative gibt, die die gegenwärtige Praxis flächendeckend in Deutschland ablösen könnte. Würde es jetzt nicht zu einer Fristverlängerung kommen, wäre zu befürchten, dass es in Deutschland zu massiven Strukturbrüchen bei den deutschen Sauenhalterinnen und Sauenhaltern käme. Die Folge wäre, dass wir es zu verantworten hätten, dass mehrere Millionen Ferkel über mehr als tausend Kilometer aus Ost- und Nordeuropa importiert werden würden. Diese würden auch auf Dauer nicht nach deutschen Tierschutzstandards kastriert werden und noch dazu weite Transportwege zurücklegen. Das ist aufgrund des europäischen Binnenmarktes zulässig und wäre unter Tierschutzaspekten ebenfalls mehr als bedenklich.
Nur wenn die Ferkelerzeugung in Deutschland bleibt, kann souverän über Tierschutzstandards entschieden werden. Vor diesem Hintergrund haben sich nahezu alle Sachverständigen, auch Herr Dr. Palzer als Sachverständiger der Fraktion Die Linke, in der Anhörung des Landwirtschaftsausschusses am 26. November 2018 für die Fristverlängerung ausgesprochen. Auch die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft hat sich nach den Mitteilungen aus dem Fachausschuss für den beschlossenen Weg sehr deutlich ausgesprochen. Ich habe gerade diese Stellungnahme sehr ernst genommen, weil mir dieser Verband nach seinem bisherigen Auftreten und seiner Expertise in besonderer Weise die verschiedenen Interessen und Grundsätze auch beim Tierschutz in einer gründlichen Abwägung bisher positiv zusammengeführt hat.
Eine bloße Fristverlängerung war für die SPD-Bundestagsfraktion jedoch keinesfalls ausreichend. Anders als es CDU/CSU und FDP im Jahr 2012 getan haben, haben wir nun im Gesetz Sicherungen eingebaut, die garantieren, dass nach zwei Jahren nun wirklich die Alternativen flächendeckend zur Verfügung stehen. Das Bundeslandwirtschaftsministerium wird verpflichtet, die bisherige Verweigerungshaltung aufzugeben und unter anderem im Rahmen einer Rechtsverordnung die Voraussetzungen für die Alternativmethoden flächendeckend zu schaffen – so z.B. durch die Entwicklung und Bereitstellung von Schulungsprogrammen, durch die Unterstützung der Betriebe bei der Anschaffung von notwendigen Narkosegeräten und durch entsprechende Aufklärungskampagnen.
Die nun vom Bundestag beschlossene Gesetzesänderung sorgt dafür, dass die nächsten zwei Jahre nicht erneut ungenutzt verstreichen können. Ein klar gesteckter Zeitplan mit einem entsprechenden Maßnahmenpaket schafft die Voraussetzungen dafür, dass Landwirtinnen und Landwirte bei der Anwendung von Isofluran entsprechend geschult sind. Zudem begleiten Informationskampagnen die Einführung der Ebermast und Immunokastration am Markt. So können die derzeit vorliegenden Alternativen eine realistische Chance am Markt bekommen und die Ferkelaufzucht in Deutschland kann auf Dauer dem Tierschutzgesetz gerecht werden.
Die Diskussion um die Versäumnisse des Bundeslandwirtschaftsministeriums im Zusammenhang mit der Ferkelkastration haben wir zudem dazu genutzt, generell einen Paradigmenwechsel in der Nutztierhaltung einzufordern und klare Verabredungen unter den Koalitionsfraktionen zu treffen. So fordern wir in einem Entschließungsantrag unter anderem das BMEL darüber hinaus dazu auf, bis Mitte der Legislatur die Nutztierstrategie weiterzuentwickeln und dabei Lösungen für nicht-kurative Eingriffe, wie das Kürzen von Ringelschwänzen und das Enthornen von Rindern, vorzulegen und das Töten von Eintagsküken so schnell wie möglich zu beenden.
Ende 2019 gilt dann die Revisionsklausel, die die Umsetzung der Vorhaben dieser Koalition insgesamt beurteilen soll. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird Jede und Jeder beurteilen können und müssen, ob den Forderungen des Entschließungsantrags Rechnung getragen worden ist.
Um zu dokumentieren, warum ich in so einer schwierigen Entscheidung für die Fristverlängerung gestimmt habe, habe ich bei der Abstimmung – zusammen mit weiteren Kolleginnen und Kollegen der SPD-Bundestagsfraktion - eine persönliche Erklärung nach § 31 GO BT abgegeben, die ich Ihnen gerne als Anlage zur Verfügung stelle.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen mein Abstimmungsverhalten ausreichend erklären.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Ernst Dieter Rossmann, MdB
P.S.: Mein Eindruck ist im Übrigen, dass die Parteien in der Opposition im Bundestag es sich z.T. sehr leicht gemacht haben und es fällt mir auf, dass z.B. die Grünen in Regierungsverantwortung die Dinge dann nicht so vermeintlich moralisch–rigoros beurteilen, sondern viel differenzierter abwägen und entscheiden und sich nach meinem Wissen auch dort, wo sie in Regierungsführung (Baden–Württemberg) stehen oder in anderen Koalitionen keine Regierung an diesen Fragen geplatzt ist. Auch aus den zugegeben mageren und mit vielen offenen Fragen versehenen Jamaika–Verhandlungen von CDU, CSU, Grün und FDP ist mir nach den vorliegenden Unterlagen nicht bekannt, dass dieses schwierige Thema anders behandelt worden wäre, als es jetzt entschieden worden ist. Die harsche und in höchsten Tönen daherkommende moralische Kritik, die sich dann immer an der SPD abarbeitet, finde ich deshalb unangemessen und weise ich zurück.