Frage an Ernst Dieter Rossmann von Guntram S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Rossmann,
in den vergangenen Wochen haben Gewalttaten die Schlagzeilen bestimmt, die einer rechtsextermen Gruppe zugeordnet werden konnten.
In wie weit trägt auch die Tatsache, dass der heutige "Wohlfahrtsstaat" immer mehr den Charakter eines sozialistischen Staates annimmt, dazu bei, dass sich in Deutschland rechtsextreme Gruppierungen Zulauf erfahren?
Zeigt der Zuwachs der "Piraten" in den Umfragen, dass immer mehr Bürger von einer Fremdbestimmung durch die etablierte Politik genug haben und ihre Hoffnung darin liegt, dass mit neuen Parteien ein "frischer Wind" in die verkrusteten Denkstrukturen und verfilzten Staatsorgane kommt?
Haben SPD und CDU möglicherweise den deutschen Bürgern in der Vergangenheit das Gefühl gegeben, dass sie UNWICHTIGER seien als das Bemühen, das deutsche "Naziimage" abzulegen?
Führt vielleicht gerade die fortwährende Thematisierung des "Dritten Reichs" zu einer indirekten Diskriminierung der deutschen Bevölkerung, die diese Zeit nicht erlebt hat und somit auch nicht verantwortlich für die damaligen Vorgänge war?
Sollte sich Politik vielleicht in Krisenzeiten mehr mit den REALEN Problemen der Menschen und einem parteiübergreifenden Bemühen um konstruktive Lösungen befassen, anstatt mit gegenseitigen Machtspielen weiter an Akzeptanz in der Bevölkerung zu verlieren?
Besteht die Möglichkeit, dass auch die SPD bereits von Rechtsextremen unterwandert wird?
Sehr geehrter Herr Seiß,
herzlichen Dank für Ihre Fragen zum Themenbereich Demokratie und Bürgerrechte.
Sie haben ja nun doch eine ganze Reihe an Fragen und suggestiven Feststellungen aufgelistet. Nicht auf alle werde ich hier detailliert eingehen.
Eine von Ihnen in Erwägung gezogene Unterwanderung der SPD durch Rechtsextreme, kann und muss ich absolut zurückweisen. Weder ist mir ein solcher Fall bekannt, noch habe ich jemals etwaige Tendenzen wahrgenommen. Hier bin ich mir auch der Sensibilisierungen in unseren Ortsvereinen, der kleinsten und für die Aufnahme von Mitgliedern verantwortlichen Organisationseinheiten unserer Partei gewiss, dass bei geringsten Anzeichen einer versuchten Unterwanderung diese umgehend unterbunden werden würde.
Die SPD steht in einer klaren antifaschistischen Tradition! Diese ist ein Grundwert der Partei und elementare Selbstverständlichkeit. Jüngst haben wir auf unserem Bundesparteitag in Berlin wieder eine Resolution beschlossen "Für Vielfalt und gegen Rechtsextremismus" in welcher wir jegliche gegen eine demokratische, offene und tolerante Gesellschaft gerichtete Tendenzen ächten. Diese habe ich zu Ihrer Information hier angefügt.
Wir sind auch die Partei, die sich seit Jahren für ein Verbot der NPD einsetzt - und nicht erst seit den erschütternden Vorfällen in diesem Jahr, wie es bei anderen der Fall ist. Ich bin überzeugt davon, dass wir in einem breiten gesellschaftlichen Konsens im kommenden Jahr ein erneutes Verbotsverfahren beginnen werden. Und wir werden es erfolgreich beenden. Das Zitat von Willy Brandt aus dem Jahr 1968 ist heute so aktuell wie damals: "Nazismus, alter Nazismus, aufgewärmter Nazismus, Neonazismus ist Verrat an Land und Volk."
Wir müssen und werden den Rechtsterrorismus, der ausdrücklich als solcher bezeichnet werden muss, mit allen dem Staat zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfen und die organisatorisch notwendigen Veränderungen und Anpassungen in unseren Sicherheitsbehörden umsetzen. Die Zeit, in der einige die mögliche Existenz eines Terrors von Rechts in Frage gestellt haben, ist nun endlich vorbei.
Ich möchte hier auch ausdrücklich davor warnen, die Errungenschaften des "Wohlfahrtstaates" als Beflügelung für rechtsextreme Gruppierungen zu interpretieren und hier in einen Zusammenhang zu bringen. Ebenso wie die Interpretation, dieser hätte sich zu einem sozialistischen Staat ausgewachsen. Beides sind meiner festen Überzeugung nach keinesfalls zulässige, sondern im Gegenteil überaus gefährliche Suggestionen.
Ebenso möchte ich vor der These warnen, die ausführliche Thematisierung der Geschichte der nationalsozialistischen Herrschaft führe zu einer Diskriminierung der deutschen Bevölkerung. Diese historischen Ereignisse dürfen sich niemals wiederholen! Ich hoffe sehr, dass wir uns in dieser Feststellung einig sind. Und um zu verhindern, dass dieses passiert, ist die Beschäftigung damit und die Weitergabe dieses Wissens an alle folgenden Generationen eine schlichte Notwendigkeit! Dieses hat nichts mit direkter oder indirekter Diskriminierung zu tun. Es ist genauso historisches Erbe der deutschen Bevölkerung wie Goethe, Schiller und die Nibelungensage - ob wir es wollen oder nicht. Und wir können daran nichts ändern. Aber wir können dafür Sorge tragen, dass es sich nicht mehr wiederholt. das will ich auch tun - und zwar überhaupt nicht, weil ich der Meinung bin, wir müssten ein "Naziimage", um Ihre Wortwahl zu verwenden, ablegen, sondern aus tiefer Überzeugung.
Abschließend möchte ich in Bezug auf Ihren Absatz zu Krisenzeiten feststellen, dass erstens die Frage, was ein reales Problem ist, welches von der Politik zu lösen wäre, höchst subjektiv ist. Fragen Sie zehn Menschen und Sie werden zehn verschiedene Antworten erhalten. Ich bevorzuge daher die Einschätzung, dass es Probleme gibt, die näher und ferner an den eigenen Belangen liegen. Eine europäische Krise wie wir sie derzeit erleben, kann allerdings sehr fern klingen und sehr schnell ganz nah sein - Jobverlust, Inflation etc. Und hier bin ich auch bei zweitens: Für die SPD-Bundestagsfraktion kann ich in Anspruch nehmen, dass wir uns im gesamten bisherigen Prozess und den Fragen rund um den Euro stets kooperativ und an Lösungen orientiert verhalten haben. Vielmehr muss darüber hinaus festgestellt werden, dass wir erleben mussten wie unsere Vorschläge durch die schwarz-gelbe Regierungskoalition teils barsch abgewiesen wurden, um diese wenig später dann doch als zielführende Schritte anzuerkennen. Einige der Krisensitzungen und -gipfel hätte sich die Bundeskanzlerin sparen können, wenn auch sie sich kooperativ mit der Opposition im Deutschen Bundestag verhalten hätte. Hat sie aber nur bedingt und damit vieles zerstört - in Europa, in Deutschland und im Zutrauen der Menschen in die Handlungs- und Lösungsfähigkeit der Politik. Ihre Äußerung ist ein gutes Beispiel hierfür.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Ernst Dieter Rossmann, MdB