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Frage von Jan-Hinrich und Nicole M. •

Frage an Ernst Dieter Rossmann von Jan-Hinrich und Nicole M. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung

Angesichts der Tatsache, dass bis zu 250.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, frage ich Sie:
Wie kann die Existens der Milchbauern langfristig gesichert werden?
Wie kann Ihrer Meinung nach ein vernünftiger und gerechter Milchpreis für Verbraucher und Milchbauern erreicht werden?
Wie stehen Sie zu einer flexiblen Quotenregelung des Milchmarktes, die einen fairen, existenssichernden Milchpreis ermöglicht?
Und: Unterstützen Sie die Forderung der Milchbauern, die Milchproduktion und einen fairen Michpreis durch ein flexibles europäisches Milchmengensteuerungs-Instrument stabil zu halten?

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Münster, sehr geehrter Herr Münster,

vielen Dank für Ihre Fragen über abgeordnetenwatch.de zur Existenzsicherung der Milchbauern und zur Regulierung des Milchmarktes. Ich bin kein Fachpolitiker in Themen, die die Landwirtschaft betreffen, möchte aber - nachdem ich bei unseren Experten in der SPD-Bundestagsfraktion Erkundigungen eingeholt habe - zu Ihren Fragen wie folgt Stellung nehmen:

1) Zur Analyse einige Einschätzungen:

Die gegenwärtige Situation auf dem Milchmarkt ist für viele Milchviehhalter mehr als deprimierend. Nach einem historischen Preishoch besteht nun mit Preisen bis zu 20 Cent und darunter ein historisches Tief. Der Grund für den gegenwärtigen Preisverfall ist vor allem auf das Überangebot an Milch auf dem Weltmarkt zurückzuführen. Die EU ist verantwortlich für ca. 50 % der Milchmenge bzw. 15 Mio. t. Milch, die auf dem Weltmarkt gehandelt werden. Auch Neuseeland hat nach Ende der Dürre seine Milchexporte um weitere 6 Mio. t. gesteigert.

Der deutsche Milchmarkt ist sehr eng mit dem internationalen Markt verflochten. Vor allem die Weltwirtschaftskrise hat zu einem Nachfragerückgang in wichtigen Importländern geführt. Darüber hinaus hat die europäische Lebensmittelindustrie im letzten Jahr aufgrund der damals hohen Milchpreise ihre Rezepturen auf alternative Rohstoffe umgestellt. Die Verwendung von Milch ist in diesem Bereich um knapp 20 Prozent gesunken. Dies führt angesichts des strukturellen Milchüberangebots in Deutschland zur gegenwärtigen Milchmarktsituation.

Die deutsche Milchindustrie weist außerdem im Hinblick auf ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit eine sehr ungünstige Struktur auf. Gegenüber dem Molkereisektor hat der Lebensmitteleinzelhandel eine starke Marktposition.

Einseitige Schuldzuweisungen in Richtung Lebensmitteleinzelhandel oder Politik helfen jedoch nicht weiter: Die Probleme des Milchsektors sind vielfältig und lassen sich nicht von einem Tag auf den anderen beheben.

2) Allgemeine Maßnahmen des Bundes:

Der Bund stellt in 2009 insgesamt 675 Mio. Euro für die Gemeinschaftsaufgabe Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK) zur Verfügung. Die GAK bildet den Rahmen für die Agrarförderung der sogenannten „Zweiten Säule“ der Politik zur ländlichen Entwicklung. Aufgrund der föderalen Struktur sind in erster Linie die Bundesländer dafür zuständig, die erforderlichen Maßnahmen zur Unterstützung der Landwirte zu entwickeln und umzusetzen.

Dies geschieht teilweise auch: Unter Führung der SPD-Landwirtschaftsminister wurde Anfang April zusätzlich zu bereits bestehenden Maßnahmen ein umfangreiches Maßnahmenbündel beschlossen, das insbesondere die Milchviehbetriebe stärken wird. Dazu gehören auch kurzfristig eingeführte zusätzliche Unterstützungsmaßnahmen. Unter anderem wird die Prämie für Agrarumweltmaßnahmen einschließlich der Sommerweideprämie und des Ökolandbaus erhöht.

Hinzu kommt eine verbesserte Förderung von Investitionen zur Einkommensdiversifizierung für land- und forstwirtschaftliche Betriebe, die mit anderen Partnern im ländlichen Raum kooperieren. Milcherzeuger, die ihre Betriebe bereits auf die Zeit nach dem Ausstieg aus der Milchquote 2015 anpassen wollen, erhalten eine deutlich erhöhte Investitionsförderung. Durch die o.g. Maßnahmen werden umweltschonende Bewirtschaftungsformen stärker gefördert und die multifunktionale Entwicklung des ländlichen Raumes unterstützt. Dies sind im Übrigen ur-sozialdemokratische Forderungen innerhalb einer Politik für die Entwicklung ländlicher Räume.

Wir verbessern aber auch die Investitionsförderung und ziehen sie vor. Dadurch geben wir einen zusätzlichen Konjunkturimpuls. Die Bundesländer erhalten die Möglichkeit, folgende Änderungen ab Mitte 2009 anzuwenden:

- Anhebung des Fördersatzes für besonders tiergerechte Haltungsverfahren von 30 Prozent auf 35 Prozent

- Anhebung des förderfähigen Investitionsvolumens von 1,5 Mio. Euro auf 2,0 Mio. Euro

- Aufhebung des Nachweises der Milchquote auch für Milcherzeuger, die ihre Anträge auf Investitionsförderung nach dem 31. Dezember 2006 gestellt haben.

Darüber hinaus werden weitere Änderungen ab 1. Januar 2010 in Kraft treten: An dieser Stelle sei die Anhebung des Fördersatzes für Kooperationen von Landwirten mit anderen Partnern zur Einkommensdiversifizierung z.B. zur effizienteren Nutzung von Bioenergie genannt. Dieser steigt von derzeit 25 Prozent auf bis zu 35 Prozent.

Sie sehen, es gibt eine ganze Reihe von Fördermaßnahmen, die den
Problemen im landwirtschaftlichen Bereich abhelfen und zu einem
Strukturwandel beitragen sollen.

3) Zur Marktregulierung und einer Mengenbegrenzung:

Ihre Forderung nach einer flexiblen Quotenregelung im Sinne eines flexiblen europäischen Milchmengen-Steuerungsinstrumentes finde ich vom Grundsatz her persönlich sehr interessant. Allerdings sind hierzu noch etliche Fragen offen:

a) Zieht die EU mit, die doch gerade mit Zustimmung der CSU-Agrarministerin das Gegenteil, nämlich Abschaffung der Quotenregelung, beschlossen hat?

b) Wie steht die CDU im Land Schleswig-Holstein dazu, wo ich zumindest ihren CDU-Landwirtschaftsminister von Boetticher in der Pinneberger Zeitung ganz anders verstanden habe?

c) Wie kann dafür gesorgt werden, dass eine (flexible) Quotenregelung auch wirklich eingehalten wird? Meine letzten Gespräche hierzu mit Milchlandwirten in Tornesch und bei der Barmstedter Meierei haben deutlich gemacht, dass sich leider zu viele aus Eigeninteresse nicht an eine solche Regelung gehalten haben.

d) Was stellen Sie sich im Detail unter einer solchen flexiblen Milchmengen-Steuerung vor? Ich denke da an mögliche Bandbreiten, je nach Angebots- und Nachfragesituation über einen praktikablen Zeitraum; denn eine gesicherte Planbarkeit für alle Seiten muss es ja geben, da Kühe ja nicht einfach abgestellt werden können wie Maschinen!

e) Wie kann flexible Milchproduktion und –abgabe verbunden werden mit anderen Sachleistungen der Betriebe, um die angestrebte relative Konstanz und Berechenbarkeit der Einkommen über andere Agrarhilfen mit abzusichern? Ich glaube, dass wir hier auch aus der Landwirtschaft selbst sehr viel mehr Ideen und Bereitschaft brauchen! Ich habe es bisher nicht verstanden, weshalb es gegen zarte Bestrebungen der EU und auch der deutschen Agrarpolitik so massive Widerstände gegeben hat.

Außerdem gibt es ja jetzt schon gezielte Möglichkeiten für punktuelle Maßnahmen: Von der Bundeslandwirtschaftsministerin und der EU-Kommission fordern wir geeignete Maßnahmen zur kurzfristigen Belebung der Binnennachfrage. Der Ausbau des EU-Schulmilchprogramms und die zeitlich befristete Gewährung von Verarbeitungsbeihilfen für Milchprodukte stehen auf unserer Forderungsliste.

Im Gegensatz zur CDU/CSU lehnen wir jedoch – und auch ich persönlich – Exportsubventionen klar ab. In nicht vorhandene Märkte hinein zu subventionieren ist weder sinnvoll noch effektiv. Ganz im Gegenteil: Dadurch werden jeden Tag Millionen Euro verpulvert, die den Milchviehhaltern an anderer Stelle für dringend notwendige Zukunftsinvestitionen fehlen. Sie zerstören darüber hinaus die Grundlage vieler Milchviehhalter in den Entwicklungsländern.

4) Zur aktuellen Milchpreiskrise:

Was nun die konkrete Höhe des Milchpreises angeht: Genauso wie es im letzten Jahr jedem klar gewesen sein muss, dass die hohen Milchpreise nicht dauerhaft zu halten sind, gibt es auch eine Wahrscheinlichkeit, dass das Preisniveau wieder ansteigen wird. Agrarökonomen erwarten mittelfristig einen Milchpreis von 30 Cent und mehr. Langfristig werden sich die Betriebe jedoch an schwankende Preise anpassen müssen. Die 12 Cent EU-Direktzahlungen, die ein Milchviehbetrieb im Durchschnitt pro Liter Milch bekommt, sind dabei ein stabilisierender Faktor (siehe oben zu meinen Fragen zur flexiblen Quote).

Darüber hinaus haben sich die Koalitionsfraktionen kurzfristig geeinigt, die Land- und Forstwirte beim Agrardiesel deutlich zu entlasten. Wegen der schwierigen aktuellen Situation der Land- und Forstwirtschaft sollen alle landwirtschaftlichen Betriebe zeitlich befristet wieder von dem reduzierten Mineralölsteuersatz auf Agrardiesel von 25,56 Cent pro Liter profitieren. Der "Selbstbehalt" von 350 Euro je Betrieb bei der Rückvergütung der Mineralölsteuer soll auf zwei Jahre befristet entfallen. Die Deckelung von maximal 10.000 Litern je Betrieb soll ebenso auf zwei Jahre befristet entfallen. Die Land- und Forstwirte werden dadurch mit etwa 285 Millionen Euro im Jahr entlastet. Diese Regelungen, von denen auch die Milchbauern teilweise profitieren, sollen schon für das Jahr 2009 gelten. Wenn ich sage „teilweise“, dann möchte ich damit gerne darauf hinweisen, dass diese Entlastung leider nicht so zielgerichtet ist, wie es speziell für die Milchbauern notwendig wäre. Hier hat sich wohl ein anderes agrarpolitisches Interesse durchgesetzt als speziell das der Milchbauern. Die Verantwortung hierfür wird allerdings nicht bei der Politik zu suchen sein, sondern bei den widersprüchlichen Forderungen und Initiativen aus den Landwirtschafts-Verbänden selbst.

Soweit meine persönliche Stellungnahme zu Ihren Fragen bezüglich der
Milchpreise.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Ernst Dieter Rossmann, MdB