Frage an Elke Ferner von Ulrich S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Geehrte Frau Ferner.
Im Internet bin ich auf Ihr Interview vom 29.08.2008 in der „Berliner Zeitung“ gestoßen.
http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2008/0829/politik/0005/index.html
Unter anderem ist Ihre Äußerung zu lesen: „dass Frauen in Deutschland durchschnittlich noch immer 22 Prozent weniger verdienen als Männer ist doch ein Stück aus dem Tollhaus“.
Dies steht nach meiner Kenntnis im Widerspruch zur Aussage Ihrer Parteigenossin Renate Schmidt, die als damalige Bundesministerin im „Tagesschau-Chat“ vom 03.06.2003 feststellte:
„Frauen verdienen ja nicht weniger: bei gleicher Tätigkeit, gleicher Qualifikation und gleicher Berufserfahrung... Ansonsten ist Lohndiskriminierung auch heute schon bei uns verboten. Und jede Frau hat die besten Chancen, eine Klage zu gewinnen, wenn es eine ungleiche Bezahlung bei sonst gleichen Voraussetzungen gibt.“
Auch die noch am 8. März 2007 von der gegenwärtigen Familienministerin von der Leyen in einer Rede getroffene Aussage, dass „Frauen noch immer nur 77 % des männlichen Einkommens verdienen, wohlbemerkt für gleiche Arbeit“ erhalten, wurde inzwischen als nicht richtig vom entsprechenden Ministerium zurückgezogen.
In vielen Gesprächen mit Frauen und Männern habe ich erfahren, dass sie in Deutschland einen Tarif nur für Frauen nicht kennen.
Von Frauen erfuhr ich, dass sie dies z.T. seit über 30 Jahren so erleben und alle Männer stellten auf Nachfrage fest, dass sie eine Gleichbezahlung von Mann und Frau richtig finden. Sogar, wenn die Arbeitsleistung von ihnen erheblich höher als die ihrer Kolleginnen ist. Gleicher Tarif, gleiches Gehalt.
Um auf Ihr diesjähriges Interview in der „Berliner Zeitung“ zurückzukommen habe ich den Eindruck, dass Ihnen persönlich Tarife speziell für Frauen in Deutschland bekannt sind, in denen Frauen diskriminiert werden.
Meine Frage deshalb an Sie:
Bereiten Sie eine Verfassungsklage vor, um diesem unhaltbaren Zustand ein Ende zu bereiten?
Hochachtungsvoll
Ulrich Schellbach
Sehr geehrter Herr Schellbach,
danke für Ihre gleichstellungspolitische Frage und bitte sehen Sie mir nach, dass ich erst jetzt dazu komme, Ihnen zu antworten.
Ihrem Schreiben entnehme ich eine gewisse Skepsis bezüglich der Richtigkeit der von mir erwähnten großen Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern in Deutschland. Entgegen Ihrer persönlichen Erfahrungen, die erfreulicherweise anscheinend nicht dem statistischen Regelfall entsprechen, verdienen Frauen in Deutschland im Durchschnitt in der Tat noch immer 22 Prozent weniger als Männer. Bei dieser Zahl bedarf es im Übrigen keinerlei Korrektur oder gar Rücknahme, denn sie entspricht den traurigen Fakten! Damit liegt Deutschland beim so genannten "Gender Pay Gap" in Europa auf dem viert letzten Platz (EU-Durchschnitt ist 15 %)! Diese Zahlen -- wie auch weitere ernüchternde Daten zur real existierenden Entgeltungleichheit zwischen den Geschlechtern, z.B. gestaffelt nach Alterszugehörigkeit oder einzelnen Branchen -- sind allesamt wissenschaftlich belegt und nicht wegzudiskutieren.
Für ein genaueres Quellenstudium verweise ich Sie gern auf die entsprechenden Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes oder von Eurostat, an das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) (siehe: http://www.lohnspiegel.de/main/frauenlohnspiegel ) oder die aktuellen Studienergebnisse von /Sinus Sociovision/*, *die im Auftrag des Bundesfamilienministeriums Daten zur Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern analysiert haben (siehe: http://www.bmfsfj.bund.de/bmfsfj/generator/Politikbereiche/gleichstellung,did=88096 )
Leider ist Lohndiskriminierung in der Privatwirtschaft meist jedoch nur sehr schwer nachweisbar. Im Gegenteil, Löhne und Gehälter des Einzelnen gehören noch immer zu den am besten gehüteten Geheimnissen in deutschen Betrieben. Gäbe es so etwas wie einen von Ihnen erwähnten (diskriminierenden) Frauentarif, so könnte man bzw. wohl eher ´frau´ tatsächlich erfolgreich auf Basis des Gleichberechtigungsgrundsatzes im Art. 3, Abs. 2 Grundgesetz oder auf der Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) dagegen klagen.
Die Ursachen und Folgen der Entgeltungleichheit zwischen Frauen und Männern in unserem Land sind aber viel subtiler und vielschichtiger. Sie basieren vor allem auf strukturellen und kulturellen Faktoren, die sich gegenseitig verstärken: Das konservative (Selbst-)Bild der Frau als "Hinzuverdienerin" und des Mannes als "Familienernährer" und damit die unterschiedlichen Voll- und Teilzeiterwerbsquoten, die Dauer und Häufigkeit der Erwerbsunterbrechung aufgrund von familiären Rahmenbedingungen aber auch das oftmals eingeschränkte Berufswahlverhalten von Frauen und Männern sind nur einige der Ursachen für ungleiche Bezahlung und unterschiedliche Karrierechancen.
Wie ich jedoch erst vor kurzem in einer Pressemitteilung in meiner Funktion als Bundesvorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF) klar zum Ausdruck gebracht habe, handelt es sich hierbei nicht nur um ein Problem der mangelnden Vereinbarkeit von Familie und Beruf für viele der inzwischen bestens ausgebildeten Frauen. Vielmehr ist durch die Statistik nachgewiesen, dass auch Frauen _ohne_ Kinder in ihren Berufen im Durchschnitt meist weniger als ihre männlichen Kollegen (im gleichen Beruf) verdienen, mit geringeren Einstiegsgehältern starten, seltener befördert werden und dass so genannte "frauentypische" Berufe (wie z.B. Frisörinnen, Pflegekräfte, Arzthelferinnen, Verkäuferinnen) anders als die durchaus mit ihnen vergleichbaren "männertypischen" Berufe deutlich geringer bezahlt werden.
Dies ist schlicht ein Skandal und dem Missstand ist aus meiner Sicht nur durch ein längst überfälliges Gleichstellungsgesetz in der Privatwirtschaft beizukommen.
Ebenso ließe sich mit einem solchen Gleichstellungsgesetz die geringe Quote von Frauen in den Vorstandsetagen und Führungspositionen endlich erhöhen. Denn es passt nicht zusammen, dass in vielen Branchen bereits Fachkräftemangel droht und wir zugleich die am besten ausgebildete Frauengeneration haben, diese Frauen auf dem Arbeitsmarkt aber nicht die Chancen bekommen, die sie - und die Wirtschaft - verdienen würden. Deshalb habe ich sowohl Familienministerin von der Leyen als auch die Arbeitgeberverbände erst jüngst wieder aufgefordert, sich endlich ihrer Verantwortung und Aufgabe zu stellen und sich mit wirksameren Maßnahmen für ein Ende der Lohndiskriminierung von Frauen einzusetzen. Über 90% der Bevölkerung empfinden im übrigen die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen als gerecht. Bei Interesse finden Sie meinen aktuellen Appell vom 1.10.2008 zum Thema Entgeltungleichheit und Gleichstellungsgesetz unter: http://www.asf.spd.de/servlet/PB/menu/1758266/index.html .
In Bezug auf Ihre abschließende Frage nach einer Verfassungsklage bleibt anzumerken, dass es hierzu eben konkreter Fälle von offenkundiger Lohndiskriminierung bedarf und ja gerade hier die Schwierigkeiten liegen, weil die Ursachen für Lohnungleichheit - wie schon oben erwähnt - meist sehr komplex und Benachteiligungen deshalb leider oft kaum juristisch nachweisbar sind.
Sollten Sie jedoch von konkreten Fällen wissen, so können Sie die Betroffenen gern an mich oder direkt an die für sie (seit Inkrafttreten des AGG) zuständige Antidiskriminierungsstelle des Bundes verweisen ( http://www.antidiskriminierungsstelle.de ) -- auch wenn die Anlaufstelle beim Bundesfamilienministerium mit ihrer Leiterin Dr. Köppen leider bislang eher als Kritiker denn als Befürworter eines wirksamen gesetzlichen Diskriminierungsschutzes öffentlich von sich reden machte. Auch hierzu habe ich mich schon geäußert und hoffe im Sinne aller Betroffenen, dass die Union ihre starre Haltung -- auch hinsichtlich des von der ASF geforderten Gleichstellungsgesetzes für die Privatwirtschaft -- noch überdenken wird (siehe meine Pressemitteilung zum Thema vom 4.6.2008 unter: http://www.asf.spd.de/servlet/PB/menu/1749877/index.html ).
Ich hoffe, ich konnte Ihnen die Beweggründe für meine Äußerungen in der Berliner Zeitung etwas näher bringen und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Elke Ferner