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Elke Ferner
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Frage von Jonathan O. •

Frage an Elke Ferner von Jonathan O. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrte Frau Ferner,

mit Entsetzen muss ich die letzten Tage verfolgen, wie die Flüchtlinge in Berlin auf dem Refugee Camp von der Polizei schikaniert werden. Decken und Schlafsäcke sind laut der polizeilichen Auslegung der Auflagen verboten, selbst auf Pappen darf nicht gesessen werden; all das, während die Flüchtlinge sich in einem seit mehreren Tagen andauernden Hungerstreik befinden. Gerade nachts kommt es immer wieder zu Polizeigewalt, alles glücklicherweise gut dokumentiert durch zahlreiche Livestreams und Aufnahmen.

Was kann man Ihrer Meinung nach gegen Polizeigewalt unternehmen?

Was kann dagegen unternommen werden, dass Gewalt von Polizisten nahezu nie aufgeklärt wird, dass sich Polizisten in einem falsch verstandenen Gefühl der Solidarität gegenseitig decken?

Wie stehen sie zu folgenden Forderungen?
- Stopp aller Abschiebungen
- Anerkennung aller AsylbewerberInnen als politische Flüchtlinge
- Aufhebung der Residenzpflicht
- Schließung aller Isolationslager

Mit freundlichen Grüßen,

Portrait von Elke Ferner
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Oberländer,

vielen Dank für Ihr Schreiben über abgeordnetenwatch.de, das ich im Folgenden gerne beantworte.

Zunächst möchte ich einmal deutlich der Annahme wiedersprechen, dass es so etwas wie organisierte Polizeigewalt in Deutschland gibt. Ich weiß, dass in anderen Ländern staatlich organisierte bzw. tolerierte Gewalt der Polizei existiert - da sind wir in Deutschland glücklicherweise weit von entfernt. Im Einzelnen finden - wie Sie richtig schreiben - dokumentierte gewalttätige Übergriffe von einzelnen PolizistInnen statt. Diesen nicht hinnehmbaren Gewalttaten wird in der Regel - teilweise auch durch die Gewerkschaft der Polizei - nachgegangen.

Die Aufsicht über die Polizei liegt allerdings - abgesehen von der Bundespolizei - bei den Ländern. Diese verfolgen auch unterschiedliche Strategien beim Vorgehen ihrer Einsatzgruppen (z. B. Deeskalation bei Großdemonstrationen) und bei der Kennzeichnung der PolizeibeamtInnen. So hat das Land Berlin z. B. die Kennzeichnungspflicht der BeamtInnen durch Namens- oder Nummernschilder eingeführt. Dadurch wird - sofern es notwendig sein sollte - eine Identifizierung der/des durch Gewalttaten auffällig gewordenen PolizistIn erleichtert. Wenn es zu Gewalttaten kommt, sollte auf jeden Fall der Rechtsweg beschritten werden. Dieses wird natürlich durch eine eindeutige Kennzeichnung erleichtert.

Gerade in schwierigen Einsätzen z. B. mit gewaltbereiten DemonstrationsteilnehmerInnen ist natürlich bei den BeamtInnen ein besonders Vertrauensverhältnis erforderlich, das in Krisensituationen evtl. auch schon einmal als falsch verstandener Corpsgeist interpretiert werden kann. Aus Gesprächen mit Polizisten weiß ich aber auch, dass der dort vorhandenen Teamgeist eher eine disziplinierende Wirkung hat, als dass er zu gemeinsamen Regelverstößen animiert.

Ihr Fragen zur Asylpolitik beantworte ich wie folgt:

1. Stopp aller Abschiebungen

Abschiebungen haben da zu unterbleiben, wo sie die Betroffenen in eine Gefahr bringen oder sich humanitär verbieten, insbesondere nach den §§ 22 bis 25a AufenthG. Ein genereller Stopp aller Abschiebungen indes würde das Aufenthaltsrecht als solches überflüssig machen. Die Abschiebung steht aber erst am Ende eines Prozesses, also oft der erfolglosen Asylantragstellung oder der erfolglosen Beantragung eines anderen Aufenthaltstitels. Hier muss sorgfältig geprüft werden, ob die/der Betroffene bleiben kann bzw. bleiben können muss. Ist dies nicht der Fall, so ist die Ausreise, ggfs. durchgesetzt durch eine Abschiebung, die Konsequenz. Allerdings ist jeweils kritisch zu prüfen, ob alle derzeit praktizierten Abschiebungen tatsächlich verantwortbar sind, wie etwa derzeit nach Afghanistan.

2. Anerkennung aller AsylbewerberInnen als politische Flüchtlinge

Das Asylverfahren ist stets ein einzelfallbezogenes Verfahren. In jedem Einzelfall muss geprüft werden, ob der/die AntragstellerIn Asylberechtigte/-r nach Art. 16a GG, Flüchtling nach § 60 Abs. 1 AufenthG (0Fl. i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention) oder subsidiär schutzberechtigt nach § 60 Abs. 2, 3, 5 oder 7 AufenthG. ist. Manche Anträge sind begründet, manche nicht. Eine generelle Anerkennung aller AsylbewerberInnen würde das Verfahren als solches sowie die dahinter stehenden juristischen Definitionen der o.g. schutzwürdigen Gruppen überflüssig machen und entspricht nicht dem Charakter des Flüchtlingsschutzes als einzelfallbezogenem Schutz.

3. Aufhebung der Residenzpflicht

Die Aufenthaltsgestattung von AsylbewerberInnen ist bislang auf den Landkreis oder die Stadt beschränkt, dem bzw. der sie zugewiesen sind. In diesem Gebiet müssen sie nicht nur wohnen, sie dürfen es vielmehr grundsätzlich nicht verlassen. Das führt für die Betroffenen zu einer starken Einschränkung der Bewegungsfreiheit und zu unerwünschter sozialer Isolation. Die räumliche Beschränkung für AsylbewerberInnen, meist als Residenzpflicht bezeichnet, ist deshalb abzuschaffen. Bewegungsfreiheit muss unabhängig vom behördlichen Ermessen, ohne Gebühren und ohne strafrechtliche Sanktionierung bestehen.

Stattdessen sollen AsylbewerberInnen künftig nur noch verpflichtet werden können, ihren Wohnsitz in einer bestimmten Gemeinde, einem bestimmten Landkreis oder einem bestimmten Bundesland zu nehmen. Dies ist erforderlich, um einen weiterhin gerechten Ausgleich zwischen den Bundesländern sowie innerhalb der Bundesländer zwischen den Landkreisen oder Kommunen zu gewährleisten. Denn die Sozialleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz werden grundsätzlich von den Kommunen getragen. Ohne die hier vorgeschlagene Wohnortregelung wäre zu befürchten, dass es zu einer besonders hohen finanziellen Belastung der urbanen Ballungszentren kommt.

Auch für Geduldete soll mehr Bewegungsfreiheit hergestellt werden. Ebenso wie Asylsuchende sollen auch Geduldete künftig lediglich verpflichtet sein, ihren Wohnsitz in einer bestimmten Gemeinde, einem bestimmten Landkreis oder einem bestimmten Bundesland zu nehmen.

Die Bewegungsfreiheit soll allein bei in der Person der/des Betroffenen liegenden Gründen einschränkbar sein, etwa bei Straftaten, bei Unterstützung einer extremistischen Vereinigung, bei falschen Angaben zur Identität oder bei fehlender Mitwirkung bei der Passbeschaffung.

4. Schließung aller Isolationslager

Die Schließung aller Isolationslager wird aufgrund der kommunalen Gegebenheiten leider nicht auf Anhieb möglich sein. Wenn die Möglichkeit besteht, soll die Unterbringung in Wohnungen statt in Sammelunterkünften erfolgen. Ausnahmen sollen aber nach Ermessen der Kommunen da möglich sein, wo die Kommunen wegen besonderer Umstände vor Ort keine Wohnungen anbieten können (Wohnungsnot, zu wenige geeignete Wohnungen, unpassende Infrastruktur).

Mit freundlichen Grüßen

Elke Ferner