Frage an Elisabeth Motschmann von André B. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrte Frau Motschmann!
Das Thema "Mindestlohn" habe ich als Inhaber eines Handwerkbetriebes, deren Gehälter alle deutlich über dem Mindestlohn liegen, grundsätzlich positiv gesehen. Nicht gewusst hatte ich jedoch, dass man zur Überwachung der Einhaltung des Gesetzes nur in geringem Umfang staatliche Organe vorgesehen hatte, sondern statt dessen eine große Bevölkerungsgruppe als Hilfssheriffs mit einbezogen hat, nämlich die Unternehmer, die mit anderen Unternehmen in Vertragsbeziehungen stehen.
Im Gegensatz den staatlichen Organen verfügen diese Hilfssheriffs jedoch über keinerlei Möglichkeiten, diese Kontrollen vorzunehmen, z.B. durch Einblick in Personalakten anderer Unternehmen. Es gibt auch keinerlei amtliche Bescheinigungen, die die Gesetzestreue belegen.
Dazu kommt, dass bei ausbleibendem Fahndungserfolg, die Hilfssheriffs für eine nicht entdeckte Gesetzesuntreue eines Vertragspartners oder eines Vertragspartnes des Vertragspartners (!) in die volle persönliche Haftung genommen werden.
Seitdem wird unser Unternehmen daher täglich von tatsächlichen, ehemaligen und möglichen Vertragspartnern mit den unterschiedlichsten Bürgschafts-, Freistellungs-, Verpflichtungs- und Sicherheitsverlangen überflutet, bei denen mit teilweise grotesken Ansinnen offenbar eine Unzahl von Juristen versucht, ihre Mandanten zu schützen. Ein gigantisches und nicht endendes Schneeballsystem.
Wie stehen Sie zu diesen Auswüchsen? Meinen Sie nicht, dass die Überwachnung der Einhaltung von Gesetzen von hoheitlichen Organen übernommen werden sollte, die auch über die notwendigen Rechte und Instrumente verfügen, und nicht von ungefragten(!) Bevölkerungsgruppen, die zudem noch für den Überwachungserfolg voll haften müssen?
Das Mindestlohngesetz soll ja hinsichtlich des bürokratischen Aufwandes bei den jetzt geforderten Dokumentationen evt. nachgebssert werden. Betrifft diese Nachbesserungsabsicht auch die persönliche Haftung der Hilfssheriffs?
Freundliche Grüße!
André Boetker
Sehr geehrter Herr Boetker,
für Ihre E-Mail zum Mindestlohn und seine Nebenerscheinungen danke ich Ihnen. Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dass die von Ihnen geschilderten Belastungen des unternehmerischen Alltags kein staatlicher Missbrauch von Auftragnehmern als "Hilfssheriffs", sondern eine in vielen Fällen übertriebene Vorsichtsmaßnahme der Vertragspartner sind.
Hintergrund ist, dass die Bundesregierung redliche Unternehmer dadurch schützen wollte, dass Auftraggeber, die gesetzwidrig handelnde Auftragnehmer beschäftigen, für diese unter bestimmten Umständen haften sollen. Dadurch sollte ein fairer Wettbewerb unter den Unternehmern gewährleistet werden.
Ein Auftraggeber, der eine gesetzwidrig handelnde (und dadurch billigere) "7-Tage-GmbH" als Auftragnehmerin wählt, sollte im Interesse der redlichen Unternehmen nicht von dem gesetzwidrigen Verhalten der "7-Tage-GmbH" profitieren.
Konkret sollte folgendes Szenario vermieden werden:
Ein Auftraggeber beschäftigt einen Auftragnehmer, der ein konkurrenzloses Angebot abgeben kann, weil er die Mindestlohn-Vorschriften ignoriert. Nach Abarbeitung des Auftrages verschwindet das Unternehmen des Auftragnehmers (z.B. Konkurs, Abmeldung). Der rechtswidrig handelnde Auftragnehmer behält den Gewinn aus dem Auftrag, die um ihren Lohn geprellten Arbeitnehmer können die Firma ihres Arbeitgebers mangels Existenz derselben nicht mehr verklagen.
Die "Dummen" sind in diesen Fällen nicht nur die Arbeitnehmer, die um Teile ihres Lohns geprellt wurden, sondern vor allen Dingen diejenigen Unternehmen, die ihren Arbeitnehmern den Mindestlohn oder sogar noch mehr bezahlen.
Um diesen Missstand abzuschaffen, haben wir die Durchgriffshaftung auf den Auftraggeber eingeführt. Damit sollte für den Auftraggeber jeglicher Anreiz entfernt werden, rechtswidrig handelnde Auftragnehmer als Vertragspartner auszuwählen. Das ist eine Konstruktion, die insbesondere die mittelständische Wirtschaft vor unlauteren und kriminellen Geschäftspraktiken schützt und so den fairen Wettbewerb stärkt.
Dies führt dazu, dass Auftraggeber sich gegen eventuelle Forderungen der Arbeitnehmer des Auftragnehmers absichern möchten. Diese Forderungen entstehen aber nur dann, wenn der Auftragnehmer sich rechtswidrig verhält. Im Normalfall sollte daher der Aufwand bei rechtmäßig handelnden Auftragnehmern überschaubar bleiben. Eine entsprechende Klausel in dem Vertrag zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, bzw. zwischen Auftraggeber und der hinter dem Auftragnehmer stehenden natürlichen Person, dürfte genügen. Zum Tragen kommt dies alles - wie gesagt - nur dann, wenn der Auftragnehmer rechtswidrig handelt. Ansonsten entfaltet diese Klausel keine Wirkung.
Die Alternative dazu wäre, dass kurzlebige Auftragnehmer-Firmen, die das Mindestlohngesetz ignorieren, gesetzestreuen Unternehmen Aufträge wegnehmen. Vor diesem Hintergrund scheint mir gerade im Interesse der Wirtschaft die obige Lösung geeigneter.
Die Änderungen bei der Dokumentationspflicht berühren das Prinzip der Durchgriffshaftung nicht.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen unsere Überlegungen bei der Einführung der Durchgriffshaftung in diesem Fall verdeutlichen.
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Motschmann