Frage an Elisabeth Motschmann von Jochen M. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Motschmann,
der Bundestag wird sich mit dem Völkermord an den Armeniern befassen. Darf ich davon ausgehen, dass Sie, gegen die vom Aussenminister verfügte Sprachregelung, den Opfern von 1915 die Würde der Wahrheit zugestehen und klar und eindeutig das Verbrechen so benennen, wie es einzig korrekt ist: als Völkermord?
Mit freundlichem Gruß
Jochen Mangelsen
Zu Ihrer Kenntnis in Auszügen das Schreiben des Psychologen H. Petrossian an Herrn Kauder:
OFFENER BRIEF AN DEN VORSITZENDEN DER CDU/CSU FRAKTION IM DEUTSCHEN BUNDESTAG HERRN VOLKER KAUDER
Sehr geehrter Herr Kauder,
…
Entsprechend des Tagesordnungspunktes 27 der 101. Sitzung im deutschen Bundestag beabsichtigen Sie, als Vorsitzender der CDU/CSU Fraktion über einen Antrag zu beraten, der "(....) die Vertreibung und Massaker an den Armeniern vor 100 Jahren" zum Thema macht. Ich empfinde diese Wortwahl anlässlich eines Jahrhunderts nach der versuchten und geplanten Auslöschung eines Volkes, einer Gesellschaft und Kultur im damalig dem Untergang preisgegebenen Osmanischem Reich als inadäquat, grenzwertig und irreführend.
Der Genozid und die Deportationen von Armeniern, Aramäern, Griechen, Jesiden und Juden waren keine "Vertreibungen, Umsiedlungen oder Massaker", sondern schlichtweg ein intendierter und staatlich organisierter Völkermord. … Die wohlgemeinte Intention des deutschen Bundestages, es der Türkei und Armenien anheimzustellen, die einvernehmliche Regelung und Wortwahl zu finden ist grandios gescheitert. Die türkische Regierung taktiert und spielt bedauerlicherweise auf Zeit. Dabei lassen Sie sich benutzen, deren Agenda zu unterstützen. …
Haik Petrossian
Coaching, Psychotherapy & Consulting
email: haik.petrossian(at)mac(dot)com
Twitter: Petrossiantz
Sehr geehrter Herr Mangelsen,
zunächst bitte ich um Nachsicht, dass ich Ihre Anfrage aufgrund eines Büroversehens erst jetzt beantworte. Ich bedaure dies sehr, da die von Ihnen aufgeworfene Frage aus meiner Sicht zentral für unser Verhältnis zu Unrecht im Allgemeinen und Armenien im Besonderen ist.
Als Außenpolitikerin ist mir durchaus bewusst, dass man auf diesem Gebiet der Politik eine besonders zurückhaltende, keinen Partner beleidigende oder befremdende Sprache pflegen sollte. Dies kann aber dann nicht mehr gelten, wenn durch scheinbar politisch korrekte Sprachregelungen historische Sachverhalte verfremdet werden. Deshalb habe ich mich in der Diskussion um den gemeinsamen Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD im Deutschen Bundestag zu dem 100. Jahrestag des Völkermordes an den Armeniern (Bundestagsdrucksache 18/4684 http://dip.bundestag.de/btd/18/046/1804684.pdf ) dafür eingesetzt, diesen auch so zu bezeichnen.
Der Respekt vor dem armenischen Volk und seinen unendlichen Leiden gebietet es, auf beschönigende Formulierungen zu verzichten und die Wahrheit anzuerkennen. Es ist in verschiedener Hinsicht nachvollziehbar, dass eine solche Wortwahl bei vielen türkischen Staatsbürgern auf Ablehnung stößt. Ich glaube aber, dass eine ehrliche Aufarbeitung der historischen Vergangenheit für die Normalisierung des Verhältnisses zwischen Türken und Armeniern unverzichtbar ist. Insofern nützt die Bezeichnung der Vernichtung großer Teile des armenischen Volkes als "Völkermord" auf lange Sicht beiden Nationen.
Mit freundlichen Grüßen
Elisabeth Motschmann