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Frage von Leon R. •

Frage an Edmund Geisen von Leon R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Weswegen meinen die Politiker, das viele die gegen ACTA sind, einfach nur schlecht informiert seien und weswegen werden dann keine Informationen preisgegeben um sie Aufzuklären? Könnten Sie bitte das komplette ACTA-Abkommen ins Internet stellen, damit es jeder nachlesen kann?
Ich wäre Ihnen sehr dankbar wenn Sie mich über ACTA Aufklären könnten.

Mit freundlichen Grüßen

Leon Ridderbecks

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Antwort von
FDP

Sehr geehrte Herr Ridderbecks,

im Zusammenhang mit ACTA wurden und werden im Internet verschiedene Bedenken erhoben, die auch im Rahmen der Demonstrationen im Februar 2012 aufgegriffen wurden. Unter I. nehme ich Stellung zu den gängigen Argumenten gegen ACTA. Unter II. teile ich Ihnen meine persönliche Einschätzung zum ACTA-Abkommen mit. Sie können meine Ausführungen auch selber anhand des ACTA-Dokuments nachvollziehen. Dieses ist unter der Ratsdokumenten-Nummer 12196/3/11 REV im Internet veröffentlicht. Unter anderem können Sie es auf den Internetseiten des Bundesministeriums der Justiz unter
http://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/pdfs/ACTA.pdf?__blob=publicationFile
abrufen.
I.
1. Die Gegner von ACTA behaupten, das Abkommen zwinge zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung. Das ist falsch. ACTA zwingt an keiner Stelle die Vertragsparteien des Abkommens weder direkt noch indirekt zur Einführung von Datenspeicherungen auf Vorrat.
2. Weiter wird behauptet, wenn ACTA in Kraft trete, werde Kopieren strafbar. Das ist falsch; erlaubte Kopien bleiben auch weiter erlaubt. Wenn Kopien geschützter Werke angefertigt werden, so kann das zwar strafbar sein, wenn der Kopierende keine Erlaubnis hat oder wenn zu seinen Gunsten keine Schranke aus dem Urheberrecht greift (z.B. die Privatkopie). Diese Rechtslage besteht in Deutschland aber bereits seit 1966.
3. Es wird befürchtet, dass durch ACTA die Pflicht zur Verschärfung nationaler Gesetze entstehe. Diese Furcht ist unbegründet. Tatsächlich begründet ACTA eine Verpflichtungen zu Gesetzesverschärfungen höchstens für Staaten außerhalb der EU. In Deutschland bestehen schon seit Jahren Regelungen zur zivilrechtlichen und strafrechtlichen Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte - jeweils mit Rechtsschutzmöglichkeiten für Betroffene. Verschärfungen können die EU-Staaten - jedenfalls innerhalb der geltenden EU-Richtlinien - auch völlig unabhängig von Abkommen wie ACTA vornehmen. ACTA soll einen Mindeststandard an Durchsetzungsmöglichkeiten schaffen. In Deutschland und der EU liegen wir oberhalb dieses Mindeststandards, so dass kein Änderungsbedarf besteht.
4. Ein weiteres Argument gegen ACTA lautet, dass durch das Abkommen das Teilen von Ideen in Blogs unzulässig werde. Das ist Unsinn. Ideen und Gedanken sind weder vom Urheberrecht noch von anderen Gesetzen zu geistigen Eigentumsrechten geschützt. Ideen sind und bleiben frei.
5. Im Internet wird erklärt, Internetprovider würden in Folge von ACTA zu Hilfssheriffs, die die Internetnutzer bespitzeln sollen. Das ist falsch. Die Vertragspartner verpflichten sich in ACTA lediglich dazu, freiwillige Kooperationsbemühungen im Wirtschaftsleben zu fördern, Verstöße gegen Marken- und Urheberrechte zu bekämpfen (Art. 27 Abs. 3 ACTA). In derselben Vorschrift wird zugleich festgelegt, dass dabei immer die Meinungsfreiheit und der Schutz der Privatsphäre zu beachten ist. Dies schließt Überwachungen und Bespitzelungen aus. In der Fußnote zu Art. 27 Abs. 2 von ACTA wird klargestellt, dass bestehende Haftungsbeschränkungen von Internetprovidern nicht in Frage gestellt werden. Die in Deutschland seit Jahren gesetzlich geregelte eingeschränkte Haftung der Provider wird deshalb durch ACTA nicht berührt: Host-Provider haften auch in Zukunft erst, wenn sie Kenntnis davon erlangen, dass ein Nutzer rechtswidrige Inhalte bei ihnen speichert (Notice and Take Down). Sie haben keine allgemeinen Überwachungspflichten.
6. Es wird spekuliert, dass aus geheimen Zusatzprotokollen Rechtsverschärfungen durch die Hintertür drohen würden. Das ist falsch. Falls es Zusatzprotokolle oder Auslegungshilfen gibt, so geht von diesen für die Vertragsstaaten keinerlei Bindungswirkung aus, denn solche Dokumente sind nicht Teil des Vertragstextes.
7. Laut ACTA-Gegner zwingt das Abkommen zur Überwachung der Nutzer und Filterung der Inhalte im Netz. Das ist falsch. Die Vertragsstaaten sollen lediglich sicherstellen, dass im Zuge der Ermittlungen von Rechtsverletzungen Auskunftsansprüche gegen Provider möglich sind. In Deutschland haben Inhaber von Urheber- und Markenrechten bei bestimmten konkreten Rechtsverstößen solche Auskunftsansprüche bereits seit 2008. So sieht bereits heute § 101 Absatz 9 Urheberrechtsgesetz nach Prüfung durch ein Gericht die Herausgabe von Verkehrsdaten zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche vor. Im ACTA-Text ist auch in dieser Norm (Art. 27 Abs. 4) noch einmal festgelegt, das die Grundsätze der freien Meinungsäußerung und der Schutz der Privatsphäre beachtet werden müssen. Dies lässt für Überwachungen und Filterungen keinen Raum.
8. Zusätzlich wird vorgebracht, ACTA verschärfe Grenzbeschlagnahmevorschriften, so dass patentgeschützte Arzneimittel verstärkt beschlagnahmt würden. Das ist falsch. Patentrechte sind von den für Grenzbeschlagnahmen geltenden Vorschriften ausgeschlossen (Fußnote 3 zu Art. 13 ACTA).
II.
Deutschland hat ACTA bislang nicht unterzeichnet. Ich sehe momentan auch keine Notwendigkeit, den Vertragsabschluss zu beschleunigen. Wie ich oben ausgeführt habe, können die genannten Kritikpunkte meines Erachtens allesamt entkräftet werden. Vor diesem Hintergrund ist es umso bedenklicher, dass manche Medien den vermeintlichen Experten einseitig eine Äußerungsplattform bieten, wenn darüber oftmals Halbwahrheiten oder auch schlicht falsche Auskünfte verbreitet werden. Berichte von Personen, die sich mit ACTA eingehend beschäftigt haben und nüchtern anhand der Fakten informieren, kommen in den Medien nur in geringem Maße vor. Manche Kritiker von ACTA nutzen leider das Verhetzungspotential des bloßen Wortes „Urheberrecht“, um sich in einem Publikum Profil zu verschaffen, welches das Urheberrecht bereits grundsätzlich als etwas schlimmes oder zumindest nicht mehr zeitgemäßes ansieht. Ich selbst teile dieses Rechtsverständnis nicht. Als Liberaler fühle ich mich dem Rechtsstaat und dem Eigentum verpflichtet und bin zunächst solidarisch mit dem, der sich rechtmäßig verhält und auf rechtmäßige Weise zu seinem Eigentum gekommen ist. Dies ist jedenfalls mein Rechtsverständnis. In meinen Augen geht es bei der gegenwärtigen Debatte auch nicht um ACTA selber. Vielmehr stehen wir vor der grundlegenden Frage, wie wir mit geistigem Eigentum im digitalen Zeitalter umgehen. Das Urheberrecht ist etwas dynamisches. Es muss sich geänderten Rahmenbedingungen anpassen. Aber wir sollten es nicht aufgeben, sondern wir müssen es den Menschen immer wieder erklären und erläutern, warum wir ein funktionierendes Urheberrecht benötigen. Dabei müssen wir zwischen strafwürdiger Rechtsverachtung und aufklärungsbedürftigem Rechtsunverständnis unterscheiden.
Es wird immer Menschen geben, die Recht und Eigentum ganz grundsätzlich in Frage stellen. Dem sollten wir unsere gewachsene Rechtskultur gegenüberstellen. Wir sollten stolz auf sie sein und alles daran setzen, sie auch im Internet zu etablieren. Unter der ACTA-Debatte leidet bedauerlicherweise der an sich konsensfähige Ansatz, unsere in Deutschland längst gefestigten Schutzstandards für Marken, Patente und Urheberrechte auch in Drittstaaten als Standard zu etablieren und damit eine Schutzuntergrenze zu definieren. Was die Gegner von ACTA wollen, ist eine Schutzobergrenze, also eine Linie, über welche man beim Schutz geistigen Eigentums nicht hinausgehen darf, weil dann ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Freiheit des Internets stattfände. Eine solche Obergrenze in einem internationalen Abkommen zu fordern, ist an und für sich nichts unmoralisches. Vielleicht sollte man tatsächlich auch über eine Schutzobergrenze auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene diskutieren; in der FDP wird darüber diskutiert. Das ist aber eben nicht der Ansatz von ACTA. Wir sollten jetzt die Bewertung von ACTA durch den Europäischen Gerichtshof und die Befassung des Europäischen Parlaments mit dem Abkommen abwarten. Sollten sich in diesem Rahmen die geäußerten Kritikpunkte als gegenstandslos darstellen, muss es in unserem Interesse sein, dass ACTA in Kraft tritt. Denn eine weite Verbreitung unseres bereits bestehenden Schutzstandards für Rechte des geistigen Eigentums kommt unseren Kreativen und damit Deutschland zu gute. Ich meine, dass wir in den letzten zwei Jahren, seit wir als schwarz-gelbe Bundesregierung auf Verfahren und Inhalte der Verhandlungen Einfluss nehmen konnten, einen ausgewogenen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen der Internetnutzer und der Internetwirtschaft einerseits und der Kreativwirtschaft und den Werkvermittlern andererseits herstellen konnten. Diese Balance zu finden ist in meinen Augen eine wichtige Aufgabe der Politik in einem demokratischen Gemeinwesen. Sofern uns das wirklich gelungen ist, wäre dies in meinen Augen ein großer Fortschritt, den gerade wir Liberale in den letzten zwei Jahren der ACTA-Verhandlungen einbringen konnten. Wenn nun diese Balance einseitig durch eine starke Internetlobby wieder aus dem Lot gebracht würde und allein die Interessen der Internetwirtschaft und der Internetnutzer unter völliger Vernachlässigung berechtigter Interessen der Kreativwirtschaft, Künstler, Erfinder, Wissenschaftler etc. durchgesetzt würden, so würde ich dies nicht wirklich als Fortschritt empfinden.

Mit freundlichen Grüßen

Edmund Geisen