Frage an Edith Sitzmann von Stefan U. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo Frau Sitzmann,
mit Bestürzung habe ich von Ihrem Plan gelesen, mittels Zwangsquoten massiv in die Kandidatenaufstellung von Parteien und Wählervereinigungen bei Kommunalwahlen in Baden-Württemberg einzugreifen.
Z.B. gibt es eine Frauenpartei, die zwar zu wenig Mitglieder haben dürfte, um an Kommunalwahlen ernsthaft teilnehmen zu können, aber prinzipiell hätte diese sicher grundsätzliche Probleme, die Wahllisten paritätisch zu besetzen, dasselbe würde für eine Männerpartei (deren Gründung ich ausdrücklich NICHT befürworte) gelten, was offensichtlich sein dürfte.
Zudem ist mir unklar, wie eine Partei oder Wählervereinigung nachweisen soll, dass sie alles versucht hat, um die von Ihnen angestrebte 50%-Geschlechterquote zu erreichen? Muss man dann das in der Gruppierung zahlenmässig unterrepresentierte Geschlecht via Einwurfeinschreiben zur Aufstellungsversammlung einladen, um einen Nachweis der Ernsthaftigkeit zu haben, und eine Liste nach Geschlecht bei der Kandidatenaufstellung führen, um nachweisen zu können, dass man der Vorschrift genüge getan hat?
Was ist mit Intersexuellen und Transsexuellen? Gelten diese als "Joker" für beide dominierenden Geschlechter?
Selbst in Ihrer Partei beträgt der Frauenanteil nur 37 bis 38% (die Quellenlage ist da nicht ganz eindeutig), in allen anderen Parteien nennenswerter Größe und bei den meisten freien Wählervereinigungen ist sie niedriger. Angesichts der hohen nötigen Anzahl von Kandidaten bei Kommunalwahlen sind Probleme da absehbar.
Selbst wenn man ein solches Gesetz gerichtlich nicht zu Fall bringen können sollte, hat es doch mehr als einen fahlen Beigeschmack: es wirkt wie der Versuch, die PIRATEN bei den Kommunalwahlen in besonderem Maße zu behindern, da wir einen relativ niedrigen Frauenanteil haben und außerdem viele unserer Frauen wegen Datenschutzbedenken (Angabe der Anschrift) nicht gerne zu Wahlen kandidieren.
Mit freundlichen Grüßen, Stefan Urbat, Mitglied der Piratenpartei, Kreisverband Stuttgart
Sehr geehrter Herr Urbat,
vielen Dank für Ihre Frage zu unserem Gutachten und Vorstoß in Bezug auf quotierte Kommunalwahllisten.
Der Frauenanteil in politischen Gremien in Baden-Württemberg verharrt seit Jahrzehnten auf einem extrem niedrigen Stand – so niedrig wie in keinem anderen Bundesland.
Alle bisherigen Maßnahmen, wie die finanzielle Förderung eines Monitoring-Programms für Frauen, Appelle, die auf freiwilliger Basis beruhten, mehr Frauen auf die Wahllisten zu setzen, erwiesen sich bislang als unzureichend.
Nur langsam steigt die Partizipation in kommunalen Ratsgremien an, von im Jahr 1999 durchschnittlich 18,9 Prozent Frauenanteil in den Gemeinderäten, auf im Jahr 2004 21,3 Prozent und auf 22,0 Prozent bei der letzten Kommunalwahl in 2009.
Besonders dramatisch stellt sich die Situation in den Kreistagen dar: Hier liegt der Frauenanteil seit der letzten Wahl 2009 im Landesdurchschnitt bei 16,0 Prozent, 2004 lag er bei 15,4 Prozent, 1999 bei rund 14 Prozent.
Bei einem weiblichen Bevölkerungsanteil von über 50 Prozent in Baden-Württemberg sind wir von einer repräsentativen Demokratie weit entfernt.
Meine Fraktion hat aus diesen Gründen ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das feststellen sollte, ob paritätisch besetzte Kommunalwahllisten rechtlich möglich sind. Das Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass dies möglich ist:
„Die Einführung quotierter Listen für die Kommunalwahl in Baden-Württemberg durch Änderung von § 9 Kommunalwahlgesetz ist verfassungsrechtlich zulässig. Die gesetzliche Quotierung der Wahlvorschläge führt zwar zu Eingriffen in die Freiheit und Gleichheit der Wahl, in die (Organisations-)Freiheit der Parteien und in den Gleichheitssatz. Der Eingriff ist aber gerechtfertigt, da er dazu beiträgt, den Gleichstellungsauftrag aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG umzusetzen.“
Selbstverständlich müssen Ausnahmen, die ja auch von Ihnen angesprochen wurden, dann im Gesetzentwurf berücksichtigt werden. Wir haben aber noch keinen Gesetzentwurf vorgelegt, sondern lediglich das Gutachten. Dieses weist daraufhin, dass Ausnahmen untergesetzlich geregelt werden müssen.
Im Gutachten wird folgende Formulierung vorgeschlagen:
„Es kandidieren jeweils zur Hälfte Männer und Frauen. Die Liste ist abwechselnd mit Frauen und Männern zu besetzen, wobei der erste Platz mit einer Frau ober einem Mann besetzt werden kann. Ausnahmsweise dürfen auch die den Frauen vorbehaltenen Listenplätze mit Männern besetzt werden, wenn sie nicht genügend Kandidatinnen zur Wahl stellen bzw. die den Männern vorbehaltenen Listenplätze mit Frauen besetzt werden, falls sich nicht genügend Kandidaten zur Wahl stellen.“
Die Ausnahmeregelung kommt erst dann zur Anwendung, wenn die Parteien vielfältige Bemühungen unternommen haben, um die Liste paritätisch mit Frauen zu besetzen, diese Bemühungen aber nicht fruchteten. Was unter „vielfältige Bemühungen“ zu verstehen ist, muss nicht direkt im Gesetzestext stehen, damit würde es überfrachtet werden. Es muss jedoch untergesetzlich zum Beispiel durch eine Verwaltungsvorschrift durch das Innenministerium geregelt werden. Technische Regelungsmöglichkeiten gibt es hier viele. Wie genau der Nachweis aussehen muss, dass eine Liste sich um eine paritätische Besetzung bemüht hat, ist noch nicht zu Ende diskutiert. Es ist uns bewusst, dass es hier für Frauen- oder Männerlisten, beziehungsweise auch Transgender, Regelungen geben muss.
Von der paritätischen Besetzung der Wahllisten ist im Übrigen weder die baden-württembergische Besonderheit des Kumulierens und Panaschierens, noch die freie Wahlliste tangiert. Gerade durch das Kumulieren und Panaschieren wird dem Wähler/ der Wählerin eine größere Einflussnahme eröffnet. Mit Blick auf die paritätische Besetzung der Wahllisten kann der Wähler/ die Wählerin all seine Stimmen nach Belieben nur an Kandidatinnen oder nur an Kandidaten vergeben.
Erlauben Sie mir noch einen Hinweis. Dieses Anliegen verfolgt meine Partei schon seit sehr vielen Jahren und unsere Landtagsfraktion hat bereits in der letzten Legislaturperiode einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Bei der parteiinternen Listenaufstellung der GRÜNEN wird dieses Verfahren schon immer angewandt - konkret in Baden-Württemberg seit 1986. Das Anstreben einer Änderung des Kommunalwahlgesetzes hat absolut nichts mit der Piratenpartei zu tun, da es bereits weit älter ist als die Piraten. Von einem Versuch, die Piratenpartei zu behindern, kann also nicht die Rede sein.
Mit freundlichen Grüßen
Edith Sitzmann