Frage an Edelgard Bulmahn von Daniel H. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Bundesministerin, Bundeskanzler Schröder hat an der Universität Göttingen für eine Liberalisierung der Bestimmungen zum Schutz ungeborenen Lebens in Bezug auf die Stammzellforschung plädiert. BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN haben klar gemacht, dass dies mit ihnen nicht zu machen sein wird. Wo stehen Sie als zuständige Ministerin in diesem Konflikt?
Sehr geehrter Herr Höllen,
vielen Dank für Ihre Frage zur Stammzellforschung, die ich wie folgt beantworten möchte:
Die geltenden strengen Voraussetzungen für die Forschung an embryonalen Stammzellen dürfen nicht zu einer Abkoppelung Deutschlands von der Forschung führen. Die Stichtagregelung des Deutschen Bundestages ermöglicht die Erforschung der Grundlagen. Sie reicht aber für zukünftige therapeutische Anwendungen in der Medizin nicht aus. Wir werden die wissenschaftliche Entwicklung ständig sorgfältig verfolgen und die Debatte über weitergehende gesetzliche Regelungen nicht scheuen. Denn es geht um die Chance, Krankheiten zu heilen, für die es derzeit keine wirksame Therapie gibt. Mit der Stammzellforschung können wir Krankheitsursachen und -verläufe besser kennen lernen.
Bei der Stammzellforschung handelt es sich um ein rasch expandierendes und inzwischen weit gefächertes Forschungsgebiet, das in Bezug auf sein medizinisches Anwendungspotenzial als sehr zukunftsfähig eingeschätzt wird.
Die Stammzellforschung fasst Erkenntnisse der Molekularbiologie, Humangenomforschung, Zell- und Entwicklungsbiologie zusammen. Ihr wachsendes Gewicht zeigt sich unter anderem in der stetig steigenden Zahl an qualitativ hochwertigen Veröffentlichungen. Weltweit wurde die zukünftige Bedeutung der stammzellbasierten regenerativen Medizin erkannt und die zugehörige Forschung unterstützt. Auch in Deutschland existieren von Seiten verschiedener Förderer diesbezüglich Initiativen sowohl im Rahmen der institutionellen Förderung als auch in speziellen Programmen.
Die Stammzellforschung bewegt sich derzeit noch überwiegend im Bereich der Grundlagenforschung. Bevor es gelingen kann, Erkenntnisse aus dem Tiermodell auf den Menschen zu übertragen und entsprechende Ersatztherapien für die klinische Routine zu entwickeln, müssen noch zahlreiche grundlegende Fragen unter anderem der Entwicklungsbiologie und Zelldifferenzierung beantwortet werden. Zur Klärung dieser Fragen kann gerade die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen einen wichtigen Beitrag leisten, zumal auch die an tierischen Stammzellen gewonnenen Erkenntnisse vor ihrer Anwendung am Menschen mit Hilfe humaner Stammzellen stets auf ihre Übertragbarkeit geprüft werden müssen. In der Forschung werden gegenwärtig sowohl mit embryonalen als auch mit somatischen Stammzellen neue und wichtige Erkenntnisse gewonnen.
Es ist gegenwärtig noch nicht abzusehen, inwieweit bei einer späteren medizinischen Anwendung humaner Stammzellen auf die Verwendung von embryonalen Stammzellen verzichtet werden kann, z. B. falls es sich erweisen sollte, dass das Differenzierungspotenzial adulter Stammzellen für die klinische Anwendung ausreichend wäre. Auch aus diesem Grund kann gegenwärtig nicht auf die Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen verzichtet werden.
Es ist uns aber gelungen, auf europäischer und nationaler Ebene Rahmenbedingungen zu verankern, die Möglichkeiten für biotechnologische Forschung eröffnen und dem Wohl der Gesellschaft dienen. Mit dem am 1. Juli 2002 in Kraft getretenen deutschen Stammzellgesetz wurde eine klare Regelung geschaffen, nach der Einfuhr und Verwendung embryonaler Stammzellen grundsätzlich verboten und nur ausnahmsweise unter strengen Voraussetzungen erlaubt sind. Dadurch wird sichergestellt, dass durch die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen in Deutschland kein weiterer Embryonenverbrauch zur Stammzellgewinnung veranlasst wird. Das Gesetz stellt einen aus gegenwärtiger Sicht gelungenen Mittelweg dar. Es gewährleistet, dass dieses wichtige Forschungsgebiet unter Beachtung hoher ethischer Anforderungen auch in Deutschland in gewissem Rahmen weiter verfolgt werden kann.
Mit freundlichen Grüßen
Ihre Edelgard Bulmahn