Frage an Dorothea Steiner von Hendrik S. bezüglich Jugend
Sehr geehrte Frau Steiner,
ich würde gerne wissen, wie Sie zum Thema "religiöse Beschneidung von Jungen" im Judentum und Islam stehen. Die Beschneidung ist ein irreversibler Prozeß, und aus dem Judentum und dem Islam kann man aus der innerjüdischen/-islamischen Sicht nicht austreten. Das bedeutet, dass den Jungen, schon bevor sie religionsmündig werden, ein Ritual und eine Religion auferlegt wird, dass sie später vielleicht ablehnen werden, und der sie auch vielleicht nicht angehören möchten. Wie stellt die Bundesrepublik sicher, dass die Religionsfreiheit (Art 4 GG) und das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art 2 GG) der Jungen gewahrt bleibt? Ist die Religionsfreiheit der Eltern höher zu bewerten als die der Kinder? Da das Recht auf körperliche Unversehrtheit vor dem Recht auf Religionsfreiheit im GG steht, ist es somit nicht höher zu bewerten als die Religionsfreiheit?
Mit freundlichen Grüßen,
Hendrik Sielaff
Sehr geehrte Frau Sielaff,
Ich meine, dass sich die Einwilligung der Eltern zur religiösen Beschneidung vor allem am Kindeswohl orientieren muss; die Rechte der Eltern sind durch Artikel 2 Abs. 2 des Grundgesetzes verfassungsimmanent begrenzt. Auch die UN Kinderrechtskonvention, der Deutschland beigetreten ist, gibt im Artikel 3 vor, dass das Kindeswohl vorrangig zu berücksichtigen ist. Das Landgericht Köln kommt daher aus unserer Sicht hinsichtlich der verfassungsrechtlich gebotenen Güterabwägung richtigerweise und stringent zu dem Schluss, dass „die Beschneidung des nicht einwilligungsfähigen Knaben weder unter dem Blickwinkel der Vermeidung einer Ausgrenzung innerhalb des jeweiligen religiösen gesellschaftlichen Umfelds noch unter dem des elterlichen Erziehungsrechts dem Wohle des Kindes entspricht. Die Grundrechte der Eltern aus Artikel 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 GG werden ihrerseits durch das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gemäß Artikel 2 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG begrenzt.“
Sicherlich wird diese rein juristische Brille einem wertschätzenden Umgang mit wichtigen Riten und Traditionen von Weltreligionen nicht gerecht. Nichtsdestotrotz dürfen religiöse Riten aus unserer Sicht keinesfalls per se Vorrang vor dem Recht eines Kindes auf körperliche Unversehrtheit haben. Eine verfassungsrechtlich saubere Abgrenzung bestimmter religiöser Riten gegenüber anderen – wie bspw. auch gegenüber der Beschneidung von Mädchen – halten wir für schwer umsetzbar.
Ich meine, dass wir uns beim heiklen Thema der religiös motivierten Beschneidung von Jungen im Dialog mit den Religionsgemeinschaften, den Ärzteverbänden, den Kinderrechteverbänden etc. um eine kultursensible Lösung bemühen sollten.
Mit freundlichen Grüßen,
Dorothea Steiner, MdB