Frage an Dirk Schatz von Ulrich M. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Schatz,
den heutigen WDR-Nachrichten im Radio entnehme ich, dass Sie gemeinsam mit einem Fraktionskollegen Strafanzeige gegen den NRW-Finanzminister wegen des Ankaufs der Steuer-CDs gestellt haben. In einem kurzen Interview erläuterten Sie, der Zweck heilige nicht die Mittel und man könne "Gesetzesbrecher nicht für ihre Taten belohnen".
In Ihrer Eigenschaft als Polizeikommissar frage ich Sie, wo Sie hier einen gravierenden Unterschied zu der Polizei-Methode der entgeltlichen "Beschäftigung" von V-Leuten sehen. V-Leute beschaffen auch Informationen - sicher nicht immer auf rechtlich einwandfreien Wegen - die der Polizei bei der Aufdeckung von Straftaten insoweit helfen, als möglicherweise illegal erlangte Informationen zu effektiven, rechtsstaatlich einwandfreien Aktionen der Polizei führen.
Würden Sie eine CD, die z. B. Informationen zu einer Mordtat liefert, nicht verwenden, weil Sie Ihnen jemand zuspielte, der sie eigentlich nicht besitzen durfte?
Halten Sie es auch für illegal, wenn die Steuerfahnder aufgrund eines anonymen Hinweises Ermittlungen aufnehmen? Soweit ich weiß, sind die Finanzbehörden verpflichtet, allen Hinweisen, die ihnen - egal auf welchem Wege - zur Kenntnis gelangen, nachzugehen.
Mit freundlichem Gruß
Ulrich Müller
Sehr geehrter Herr Müller,
einen „gravierenden“ Unterschied sehe hier zunächst in der Quantität der Entlohnung. Während es sich bei den Entlohnungen im Bereich der V-Leute in der Regel um Beträge im drei- oder vierstelligen Bereich handelt, geht es bei den Steuer-CDs um wesentlich höhere Beträge. Lässt man diesen, nicht gerade kleinen Umstand jedoch außer Betracht, gebe ich Ihnen dahingehend Recht, und ich vermute, dass Ihre Frage darauf abzielt, dass es, unabhängig von der Höhe der Entlohnung, in der Sache (zumindest im Grundsatz) keinen Unterschied gibt.
Die Tatsache, dass ich dort grundsätzlich keinen Unterschied erkennen kann, ist für die Frage der Rechtsstaatlichkeit solcher Maßnahmen im Einzelfall jedoch nicht relevant, da ich den Einsatz von V-Leuten zwar nicht grundsätzlich ablehne, diesen aber ebenfalls nicht kritiklos befürworte. Auch der Einsatz von V-Leuten stößt im Einzelfall eben doch häufig an seine rechtsstaatlichen Grenzen und wird dann, auch durch Gerichte, immer wieder entsprechend gerügt und „abgestraft“. Insofern ist die Formulierung Ihrer ersten Frage aus meinem rechtsstaatlichen Verständnis heraus schon widersprüchlich. Im Grunde sagen Sie, dass die von V-Leuten auf rechtswidrigen Wegen erlangten Informationen zu rechtsstaatlich einwandfreien Aktionen der Polizei führen. Doch genau das ist gerade nicht der Fall und kann es selbstverständlich, ich möchte fast schon sagen „Gott sei Dank“, auch nicht sein. So sind beispielsweise Handlungen von V-Leuten, in denen diese als Anstifter fungieren (Stichwort: Agent Provokateur) in Rechtsprechung und Literatur stark umstritten, nicht selten rechtswidrig und führen somit eben nicht zu rechtsstaatlich einwandfreien Aktionen.
Es macht jedoch keinen Sinn, an dieser Stelle näher auf die Problematik der V-Leute oder das Problem der verdeckten Ermittler im Allgemeinen einzugehen, da dieses Thema und vor allem die Probleme, die sich daraus ergeben, zu umfangreich sind, um sie an dieser Stelle ausreichend und zufriedenstellend beantworten zu können (für nähere Informationen, siehe unten!). Ich kann im Tenor aber sagen, dass ich den Einsatz von V-Leuten, so wie er im Moment stattfindet, zumindest für sehr fragwürdig halte, da eine eindeutige gesetzliche Regelung für deren Einsatz fehlt und dort entsprechend und dringend nachgebessert werden müsste.
Und ebenso verhält es sich auch im Fall der Steuer-CDs. Selbst wenn man, im Gegensatz zu mir, tatsächlich der Meinung sein sollte, dass die Beschaffung derartiger Informationen dem Grunde nach in Ordnung sei, muss dies zumindest auf rechtsstaatlich sauberem Wege geschehen, indem man die entsprechenden gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen für derartige Handlungen schafft. Doch genau dies ist bisher leider nicht geschehen.
Unabhängig davon halte ich persönlich dieses Vorgehen jedoch ebenfalls für falsch, da der Staat kein derartiges Vorbild abgeben darf. Welches Signal wird damit gesetzt? Liebe Bürger, begeht ruhig Straftaten, solange sie nur dem Allgemeinwohl dienen? Und wie weit geht das dann und vor allem, wer bestimmt darüber, wie weit es geht und welche Straftaten für welches Gut noch hinnehmbar sind? Sie…? Ich…? Oder doch lieber die Regierung, die im Zweifel vermutlich eher nicht zu Gunsten der Grundrechte entscheiden wird? Ich denke, der Fall Daschner und vor allem die in diesem Zusammenhang stattgefundene Diskussion hat sehr imposant gezeigt, wozu einige führende Personen innerhalb der Exekutive imstande bzw. bereit sind, wenn ihnen kein Einhalt geboten wird und warum es derart unerlässlich ist, dass es Regeln gibt, an die sich ein Staat unbedingt und absolut zu halten hat.
Die Stärke eines Rechtsstaates zeigt sich nicht in Zeiten, in denen alles glatt läuft, sondern eben erst dann, wenn es darauf ankommt. Der Fall der Steuer-CDs zeigt, dass gerade im Bereich der Steuersünder, viele Menschen (offensichtlich die meisten Bürger) bereit sind, auf derartige Prinzipien keine Rücksicht mehr nehmen zu wollen. Ich habe (sinnbildlich gesprochen) manchmal den Eindruck, es hat sich eine Art Lynchmob gebildet der fordert: „Hängt sie höher diese Verbrecher, egal mit welchen Methoden, egal wie ihr es anstellt, Hauptsache sie hängen!“
Und diesen Eindruck habe ich im Übrigen nicht, weil ich mir das einbilde, sondern spätestens jetzt - schon deshalb, weil ich es an den Reaktionen der Menschen, die mich persönlich auf diese Anzeige ansprechen oder auch in sonstigen Beiträgen darauf eingehen, sehen kann. Eindeutige Aussagen wie beispielsweise „Es ist kein Unrecht, wenn man Kriminelle mit allen möglichen Mitteln verfolgt!“, sind keine Seltenheit. Mal abgesehen davon, dass ich schon anhand dieser Aussage erkennen kann, wohin die Reise in dieser Diskussion geht, versuche ich es dennoch häufig mit Sachlichkeit. Spricht man diese Menschen dann aber darauf an, dass es sich (auch bei den auf den CDs befindlichen Personen) zunächst einmal „nur“ um Verdächtige und eben noch um keine Kriminellen handelt, wird entgegnet (sinngemäß):„Ich weiß gar nicht was das soll, diese Leute gehören bestraft. Oder wie viele Menschen kennen Sie, die ihr Geld legal in der Schweiz haben?“
Also am besten gleich "einbuchten"? Auch ohne Verfahren? Die müssen ja schuldig sein! Unschuldsvermutung? Wer braucht so etwas schon bei Steuersündern!
Einen derartigen Gegenwind haben ich und auch die Piraten im Allgemeinen nicht einmal erfahren müssen, als wir die Aufhebung der Netzsperren forderten, obwohl damit die Kinderpornographie wirksam bekämpft werden sollte. Das zeigt mir, auf welcher Stufe Steuersünder aus Sicht der Gesellschaft anscheinend stehen müssen. Und um dahingehend schon mal einen Teil der Antwort auf ihre zweite Frage vorweg zu nehmen; hätte es sich hier um einen Mörder gehandelt, der mit diesen CDs überführt worden wäre, wäre der Aufschrei auf unsere Anzeige vermutlich nicht einmal ansatzweise so groß gewesen.
Es zeigt sich gerade in derartigen Situationen, wie wichtig die Regeln des Rechtsstaates sind. Man kann sie nicht in Frage stellen, nur weil es zufälligerweise mal die Richtigen trifft. In diesem Fall können wir den Rechtsstaat auch gleich abschaffen. Oder wie es Wolfgang Dudda (einer der Anzeigenerstatter) in seinem Blog-Beitrag richtig ausdrückt: „Etwas weniger Rechtsstaat gibt es nicht. Den gibt es ganz oder gar nicht.“ http://www.wolfgang-dudda.de/?p=7690
Was Ihre zweite und dritte Frage angeht, kann ich Ihnen sagen, dass ich grundsätzlich keinerlei Bedenken habe, wenn jemand dem Staat eine CD mit Informationen anbietet, die einen Mord aufklären können, auch wenn er diese eigentlich nicht besitzen dürfte, oder die Steuerbehörden aufgrund eines anonymen Hinweises Ermittlungen aufnehmen.
Wobei es bei anonymen Hinweisen natürlich auch darauf ankommt, wie konkret und detailliert diese sind. Denn bei anonymen Hinweisen wird es naturgemäß sehr schwer fallen, weitere Fragen an den Hinweisgeber zu stellen, die zur Sachverhaltsaufklärung beitragen können. Außerdem halte ich es für sehr fragwürdig, wenn aufgrund eines unkonkreten und lediglich oberflächlichen anonymen Hinweises plötzlich tiefgreifende Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet werden, wenn sich der Anfangsverdacht, der durch diesen Hinweis entstanden ist, in den ersten, zunächst sehr oberflächlichen Ermittlungen nicht bestätigt. Dies würde, um mal ein Beispiel zu nennen, vermutlich jeden Nachbarschaftsstreit in weitreichende, polizeiliche Ermittlungsmaßnahmen eskalieren lassen.
Um aber Ihre zweite Frage noch einmal ganz konkret zu beantworten: Auch bei einem Mord heiligt der Zweck nicht die Mittel. Dass eine Wahrheitsfindung nicht um jeden Preis stattfinden darf, hat der BGH mit seinem Urteil vom 14. Juni 1960 (BGHSt, 14, 358, 362) schon sehr früh klar gestellt und z.B. in einer neueren Entscheidung vom 10. Januar 2012 (StB 20/11) auch in einem Mordfall nochmals klarstellend bestätig. Es ist äußerst schade, dass dieser Grundsatz in der jetzigen Debatte offenbar jedermann egal ist. Aber OK, es sind ja nur Steuersünder!
Dennoch, und dies möchte ich nochmal betonen, kommt es auch bei den in Ihren Fragen formulierten Sachverhalten darauf an, wie diese Sachverhalte im konkreten Einzelfall tatsächlich stattgefunden haben. In unserer Strafanzeige bemängeln wir im Prinzip fast ausschließlich, dass der Staat bzw. die hinter diesem Begriff stehenden Personen, möglicherweise zu (auch evtl. noch folgenden) Straftaten anstiften, indem Sie offen bereit sind, für die Früchte aus getätigte Straftaten sehr viel Geld zu bezahlen. Hätte der Verkäufer diese CDs ohne eigenes finanzielles Interesse (gern auch anonym) an die Behörden weitergegeben, hätte ich, da es weiterhin eine Straftat bleibt, zwar moralische aber ansonsten keine Bedenken.
Ein Belohnungssystem für Straftäter in dieser Form ist mit meinem rechtsstaatlichen Verständnis jedoch unvereinbar. Es ist schade, dass die Menschen in unserem Land Staaten, in denen Willkürhandlungen der Regierung an der Tagesordnung sind, immer wieder massiv kritisieren, gleichzeitig aber nicht erkennen, dass die (zumindest derzeit noch) vergleichsweise paradiesischen Zustände hierzulande keine Natur gegebene Selbstverständlichkeit darstellen, sondern stetig neu verhandelt werden müssen.
Mit freundlichen Grüßen
Dirk Schatz, MdL
P.S. Falls Sie zur Frage meiner rechtlichen Bewertung des Einsatzes von V-Leuten noch weitere, in die Tiefe gehende Informationen haben möchten, so haben Sie Glück, dass ich mich im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit näher mit dieser Thematik befasst habe. Auf Ihren Wunsch lasse ich Ihnen diese Arbeit gern per Email zukommen. Meine Kontaktdaten finden Sie auf der Landtagsseite: http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/Webmaster/GB_I/I.1/Abgeordnete/abgeordnetendetail.jsp?k=01671