Frage an Dietmar Bartsch von Reinhard T. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Tach auch Herr Bartsch,
Wie ich lese, haben sie gegen den Vertrag von Lissabon gestimmt , wie ihre Partei insgesamt. Können sie mir sagen warum, denn alles was ich darüber von Sachkennern weiß, ist er ein Vortschritt zu Nizza und verbessert die Handlungsfähigkeit der EU in politischen Bereichen.
Sehr geehrter Herr Tümmel,
der „Vertrag von Lissabon“ war notwenig geworden, nachdem der Verfassungsvertrag der Europäischen Union bei den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden im Mai/Juni 2005 am Willen der Bevölkerungsmehrheit gescheitert war.
Nach einer zweijährigen „Denkpause“ haben die Regierungschefs dann einen Vertragsentwurf vorgelegt, der den ursprünglichen Verfassungsentwurf etwas verändert hat auch mit dem Ziel, neue Volksentscheide über den Vertrag in Frankreich und Niederlande zu verhindern. Die Bundesrepublik Deutschland hat von Anbeginn an der Bevölkerung die Mündigkeit abgesprochen, über ein solches Vertragswerk selbst abstimmen zu dürfen.
DIE LINKE bestreitet nicht, dass der Lissabon-Vertrag“ zustimmungsfähige Regelungen enthält.
Das reicht aber nicht aus. In seiner Gesamtheit entspricht der Vertrag nicht den Erfordernissen einer demokratischen, sozialen, friedlichen und umweltbewahrenden europäischen Integration. Die Militarisierung durch Aufrüstungspflichten und weltweit ermöglichte militärische Interventionen gefährden den Frieden nach außen und im Inneren. Die Festlegung auf die Grundsätze eines neoliberalen Finanzmarktkapitalismus und der Verzicht auf Sozialstaatlichkeit ordnen das Wohl der Menschen dem Profitinteresse der Konzerne unter. Die Chance, durch ein Sozialprotokoll der besonders gewerkschafts- und arbeitnehmerfeindlichen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) einen Riegel vorzuschieben, wurde bewusst nicht wahrgenommen. Vorgeblich zum Schutz der öffentlichen Sicherheit werden hoheitliche Eingriffe in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger zentral ermöglicht ohne erforderliche Gegengewichte und ausreichende parlamentarische Kontrollen. Eine weitere Bürokratisierung der Organe der EU, die weiterhin unzureichende demokratische Willensbildung, vor allem das mangelnde Initiativrecht des Europäischen Parlaments, und die in den meisten Mitgliedstaaten fehlende Mitentscheidung der Bevölkerung über Grundfragen der EU widersprechen demokratischen Grundprinzipien.
In der Logik, mit der die Regierungschefs den gescheiterten EU-Verfassungsvertrag durch einen geringfügig geänderten in Gestalt des „Lissabon-Vertrages“ vorgelegt haben, versuchen sie nach dem erneuten Scheitern des Vertrages im Ergebnis der Volksabstimmung in Irland wiederum zu tricksen. Obwohl es vorher eindeutig hieß, das der Vertrag nur in Kraft treten kann, wenn alle 27 EU-Staaten dem zustimmen, wird nun nach technischen Regelungen und Möglichkeiten gesucht, mit denen man das irische Votum bedeutungslos machen will. Das lehnt DIE LINKE als Vertragsbruch ebenfalls ab.
Unsere Alternative für ein neues transparent erstelltes und den Interessen der Menschen in der EU gerecht werdendes neues Vertragswerk lässt sich von der Notwendigkeit leiten: Die Europäische Union muss friedlich, demokratisch und sozial sein.
Freundliche Grüße
Dietmar Bartsch