Frage an Dieter Steinecke von Richard L. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Steinecke,
leider habe ich diese Internetseite erst jetzt gefunden und in Ihren älteren Antworten gestöbert. Dabei habe ich folgendes Statement von Ihnen aus dem Jahr 2005 gefunden (zugegeben: lang´, lang´ ist´s her):
"Eine Mehrwertsteuererhöhung lehnen wir kategorisch ab. Sie belastet die Menschen mit kleinem Einkommen und wirkt sich negativ auf die Binnennachfrage aus: 2% Mehrwertsteuererhöhung ist 1% Rentenkürzung."
Wir wissen alle, die SPD ist seinerzeit in die große Koalition eingetreten (so ganz unzufrieden bin ich damit auch gar nicht), die CDU forderte 2 % MWSt-Erhöhung schon im Wahlkampf, die SPD hatte sich auf Null-Prozent festgelegt. Ein Kompromiß war also notwendig, aber seit wann ist die Mitte aus 0 und 2 die 3?
In einem anderen Text weisen Sie zu Recht darauf hin, dass die Regierung Schröder seinerzeit erhebliche Veränderungen bei der Einkommensteuer vorgenommen hatte, insbesondere wurde der Eingangssteuersatz, der zeitweise bei 24,9 % lag (Theo Waigl als Erfinder des "Tankstellen-Steuersatzes), wieder auf ein erträgiches Maß gesenkt, dafür wurde der sog. Mittelstandsbauch im Tarif verstärkt und nicht so besonders hohe Einkommen unterliegen bereits dem Höchststeuersatz von 42 %.
Aber hat nicht insbesondere die Mehrwertsteuererhöhung diese Wohltaten für niedrigere Einkommen längst wieder aufgezehrt? Kann man sich wirklich noch darauf berufen?
Zur Konjunkturankurbelung sind auch wieder steuerliche Massnahmen im Gespräch, ist dabei auch daran gedacht, die sog."kalte Progression" in ihrer Auswirkung einzudämmen?
Mit freundlichen Grüßen
aus dem Emsland
Richard Lange
Sehr geehrter Herr Lange,
auch wenn es bereits, wie Sie zu recht schreiben, lange her ist und ich zu jener Zeit nicht dem Deutschen Bundestag angehörte, so will ich Ihnen doch zum Thema "Mehrwertsteuer" antworten:
In der Tat war eine Botschaft meiner Partei im Bundestagswahlkampf 2005, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer abzulehnen. Diese Position war gegenüber dem Koalitionspartner nicht durchsetzbar. So musste verhandelt werden. Das Endergebnis war -- auch dies bemerken sie zu recht, eine Erhöhung um drei Prozentpunkte.
Allerdings ist diese Erhöhung der Mehrwertsteuer in einem größeren Kontext zu sehen. Zum Einen wurde ein Drittel der Mehreinnahmen dafür verwandt, die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von 6,5 auf 4,5 Prozent zu senken. Das bedeutete also im Gegenzug mehr Netto für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zum anderen wurde der ermäßigte Mehrwertsteuersatz nicht angehoben. Das bedeutet, dass Nahrungsmittel, Bücher oder Zeitungen weiterhin und bis heute mit einer lediglich siebenprozentigen Umsatzsteuer belegt sind. Ärztliche Leistungen und Mieten blieben gänzlich steuerbefreit.
Zu der von ihnen aufgeworfenen Frage nach der "kalten Progression" möchte ich bedenken geben, dass automatische und regelmäßige Anpassungen der Einkommensteuertarife an die Kaufkraftentwicklung die Gefahr bergen, die Inflation zu fördern. Auch würden hierdurch werden der Politik wichtige Handlungsspielräume genommen. Zudem sehe ich auch steuertechnische Probleme, weil eine Vielzahl von Schwellenwerten, Pauschbeträgen etc. miteingerechnet und angepasst werden müssten. Es bieten sich im Rahmen eines steuerlichen Gesamtkonzepts andere Möglichkeiten, die Steuerlast an die wirtschaftliche Entwicklung anzupassen. So wird etwa die Steuerfreiheit des Existenzminimums überprüft und bei Bedarf zum Beispiel über den Grundfreibetrag und den Kinderfreibetrag angepasst. Weiterhin sind auch andere Steuerarten in die Betrachtung einzubeziehen.
Zudem ist zu beachten, dass niedrige Einkommen deutlich weniger von der kalten Progression betroffen sind als höhere. Die Steuermehrbelastung infolge der "kalten Progression" entfällt zu 13,5 Prozent auf die unteren 50 Prozent der Steuerpflichtigen und zu 86,5 Prozent auf die oberen 50 Prozent.
Mit freundlichen Grüßen,
Dieter Steinecke