Portrait von Diana Golze
Diana Golze
DIE LINKE
Zum Profil
Frage stellen
Die Frage-Funktion ist deaktiviert, weil Diana Golze zur Zeit keine aktive Kandidatur hat.
Frage von Wilfried M. •

Frage an Diana Golze von Wilfried M. bezüglich Familie

Sehr geehrte Frau Golze,

Sie waren früher unter anderem als Sozialpädagogin tätig, vielleicht auch im Jugendamt.

Das 2009 in Kraft getretene "Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit" (FamFG) bestimmt in § 162 Abs. 2 neuerdings (1):

"Das Jugendamt ist auf seinen Antrag an dem Verfahren zu BETEILIGEN."

Früher war eine BETEILIGUNG des Jugendamtes in Sorgerechtsangelegenheiten wohl erst dann möglich, wenn die Behörde ausnahmsweise einmal Beschwerde gegen ein Gerichtsurteil eingelegt hatte.

Ich habe folgende Fragen:

1.) Bedeutet § 162 (2) FamFG tatsächlich, daß der Richter dem Antrag irgend eines Behördenmitarbeiters stattzugeben hat, ohne daß eine weitere Bedingung erfüllt sein müßte?

2.) Können sich Mutter und Vater gar nicht juristisch effektiv gegen die sozusagen aufgedrängte Fremd- Beteiligung wehren?

Falls Sie diese Fragen zustimmend beantworten sollten:

3.) Wie werden dann die verfassungsrechtlichen Ansprüche der Eltern auf den sog. Elternvorrang und auf familiäre und persönliche Intimität aus Art. 6 (1), Art. 2(1) und Art. 1 GG sowie z.B. § 170 Gerichtsverfassungsgesetz (2) zur Geltung gebracht?

4.) Wie kann das JA -als Verfahrensbeteiligter- effektiv noch seiner vorrangigen Beratungspflicht nach §§ 17, 18 SGB VIII nachkommen?

5.) Entspräche also die lediglich einen - womöglich nicht zu begründenden - Antrag des Jugendamtes voraussetzende Beteiligung der Fachbehörde gemäß § 162 (2) FamFG Ihrer Auffassung nach den Werteentscheidungen der Verfassung bzw. des GG?

Für Ihre Klarstellung hier (3) zum Thema der richterlichen Schweigepflicht in Sorgerechtsverfahren danke ich.

Wissen Sie, ob die beklagten Verhältnisse Thema einer politischen Auseinandersetzung bzw. abgestellt wurden?

Mit frdl. Gruß

W. Meißner
1) http://dejure.org/gesetze/FamFG/162.html
2) http://norm.bverwg.de/jur.php?gvg,170
3) http://basis.politikercheck.lu/diana_golze-650-5655--f196624.html#q196624

Portrait von Diana Golze
Antwort von
DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Meißner,

Vielen Dank für Ihre Anfrage. Wie Sie schon richtig vermutet haben bedeutet § 162 Absatz 2 FamFG, dass der Familienrichter dem Antrag des Jugendamtes auf Hinzuziehung als Verfahrensbeteiligter, vertreten durch eine/n seiner Mitarbeiter/innen, stattgeben muss. Da das Jugendamt Mussbeteiligter auf Antrag im Sinne des § 7 Absatz 2 Nr. 2 FamFG ist, muss keine weitere Bedingung hierzu erfüllt sein. Das Familiengericht hat kein Ermessen (siehe Saenger, Zivilprozessordnung, 3. Auflage 2009, § 162 FamFG, Rn.4; Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 3. Auflage 2010, § 162 FamFG Rn.12). Es gibt für die Eltern auch keine Möglichkeit gegen die Beteiligung des Jugendamtes als Verfahrensbeteiligter vorzugehen, seine Hinzuziehung zum Verfahren ist nicht isoliert anfechtbar (siehe Saenger, Zivilprozessordnung, 3. Auflage 200, §7 Rn.12).

Zwar hat das Jugendamt durch die Stellung als möglicher Verfahrensbeteiligter im Gegensatz zur früheren Rechtslage eine stärkere Position bekommen, allerdings führt dies allein nicht zwingend zu einem Eingriff in das Elternrecht aus Art. 6 Absatz 2 GG. Die Eltern können sich im Rahmen der Gerichtsverhandlung zu jeder Stellungnahme oder jedem Antrag des Jugendamtes äußern oder ebenfalls Anträge stellen. Das Jugendamt muss außerdem versuchen mit den Eltern gemeinsam Vorschläge zur Konfliktlösung zu erarbeiten und darf grundsätzlich nicht gegen sie agieren. Dies gebietet der in Art. 6 Absatz 2 GG verankerte Vorrang des Elternrechts, es sei denn das Kindeswohl ist gefährdet. Was dem Kindeswohl dient, bestimmen aber zuvörderst die Eltern, soweit deren Vorstellungen nicht mit dem Menschenbild des Grundgesetzes kollidieren. Schon deswegen sind die Eltern immer dann, wenn es um das Kindeswohl geht, bei der Entscheidung zu beteiligen und es ist ihre Sichtweise vorrangig zu Grunde zu legen. Eingriffe in das Elternrecht unterhalb einer nicht anders abwendbaren Kindeswohlgefährdung, der Gefahrenschwelle, die durch § 1666 BGB definiert wird, sind grundsätzlich nicht zulässig (Trenczek in FPR 2009, Seite 335). Soweit aber dem Jugendamt im gerichtlichen Verfahren solche Eingriffsrechte, die außerhalb des Bereichs des staatlichen Wächteramts nach Artikel 6 Absatz 2 Satz 2 GG für eine Phase eingeräumt werden, in der die Eltern den Staat nicht mehr als Schlichter in Anspruch nehmen, weil sie zum Beispiel ein Einvernehmen erzielt haben, ergeben sich - wie Sie angedeutet haben - verfassungsrechtliche Bedenken. § 156 Absatz 2 FamFG regelt beispielsweise, das alle Verfahrensbeteiligten an der einvernehmlichen Regelung mitwirken müssen. Bei einer verfassungskonformen Auslegung der Norm darf eine ein­vernehmliche Regelung der Eltern jedoch nicht ohne sachliche Gründe durch das Jugendamt oder den Verfahrensbeistand verhindert werden. Die Verweigerung der Zustimmung zu einer einvernehmlichen Regelung der Eltern, die dem Kindeswohl nicht widerspricht, ist daher unbeachtlich, so dass das Gericht trotz fehlender Einigung aller Beteiligten die einvernehmliche Regelung der Eltern zu billigen hat (Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 3. Auflage 2010, § 162 FamFG, Rn.1).

Hinsichtlich der Rolle des Jugendamtes als Verfahrensbeteiligter und der Rolle als Berater nach §§ 17, 18 SGB VIII ergibt sich meines Erachtens kein Interessenkonflikt. Das Jugendamt hat grundsätzlich keine eigenen Interessen im Verfahren vor den Familiengerichten oder an einem bestimmten Ausgang des Verfahrens. Maßstab für das Jugendamt ist das Kindeswohl und zwar sowohl in seiner Eigenschaft als Berater der Eltern in Trennungs- und Umgangssachen (§§ 17, 18 SGB VIII) als auch in seiner Eigenschaft als Verfahrensbeteiligter im Gerichtsverfahren nach § 162 Absatz 2 FamFG. Soweit es bei der Beratung nach §§ 17, 18 SGB VIII um Aspekte des Vertrauensschutzes geht, sind diese auch im Rahmen der Stellung als Verfahrensbeteiligter zu wahren. Wenn also im Familiengericht durch den/die Jugendamtsmitarbeiter/in über "Beratung" berichtet wird, dann ist damit die Beschränkung auf den Bericht über die, beispielsweise im ersten Anhörungstermin, mit den Eltern vereinbarte Leistung gemeint. Das kann eine unterstützende Trennungsberatung sein oder Beratung zur Entwicklung eines gemeinsamen Elternkonzepts zum Aufenthalt des Kindes oder zum Umgang des Kindes mit seinem Vater oder seinen Großeltern. Es bedeutet aber nicht, dass der/die Mitarbeiter/in des Jugendamtes über alles andere Auskunft geben soll, was er/sie über die Eltern gegebenenfalls aus anderen Beratungs- oder Hilfeprozessen weiß. Wenn zum Beispiel gleichzeitig ein Elternteil mit seiner neuen Familie familientherapeutische Leistungen erhält, dann stehen Informationen aus dieser Familientherapie unter Vertrauensschutz und werden nicht im Familiengerichtsverfahren berichtet. Die Berichterstattung beschränkt sich auf den Teil der vereinbarten Beratung. Da die Verschwiegenheit essenzielle Voraussetzung einer wirkungsvollen Beratung ist, kann sie auch nicht durch vorab erteilte Schweigepflichtsentbindungen unterlaufen werden. Die einzige Ausnahme bilden Erkenntnisse über eine Gefährdung des Kindes (Flemming in FPR 2009, Seite 343).

Die Verfahrensbeteiligung des Jugendamtes nach § 162 Absatz 2 FamFG stellt auch keinen Verstoß gegen § 170 GVG dar. § 170 GVG bestimmt, dass Verhandlungen in Familiensachen nicht öffentlich sind. Dieser Grundsatz wird von § 162 Absatz 2 FamFG nicht berührt, denn das Jugendamt ist Verfahrensbeteiligter und damit nicht der Öffentlichkeit im Sinne des § 170 GVG zuzurechnen. Bei der Öffentlichkeit in diesem Sinne handelt es sich um Zuhörer, die als unbeteiligte Repräsentanten der Bevölkerung der Verhandlung beiwohnen (Meyer-Goßner, StPO Kommentar, 49. Auflage, § 169 GVG, Rn.4).

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit diesen Antworten etwas weiterhelfen.

Mit freundlichen Grüßen

Diana Golze