Frage an Denis Sabin von Dorian W. bezüglich Soziale Sicherung
Hallo Herr Sabin,
die Piraten sind ja (wie einige andere Parteien) für ein bedingungsloses Grundeinkommen, richtig? Natürlich fände ich das auch schön, habe aber doch einige Bedenken. Wir erleben ja auch gerade eine Armutswanderung aus anderen europäischen Ländern (z.B. Rumänien) die bei uns verständlicher Weise ein besseres Leben erhoffen. Hätte dann jeder Europäer der sich in Deutschland niederlässt Anspruch auf dieses bedingungslose Grundeinkommen? Besteht da nicht die Gefahr der sozialen Ausbeutung oder gibt es da doch ein paar Bedingungen/Pläne um das zu unterbinden? Wie soll das dann im schlimmsten Falle finanziert werden?
Mit freundlichen Grüßen
Dorian Wahl
Hallo Herr Wahl,
wir sind die einzige Partei, die sich eindeutig für ein Grundeinkommen ausspricht. Sowohl Grüne als auch Linke benutzen andere Wörter für das gleiche Ziel. Mindestsicherung im Alter, einkommensunabhängige Kindersicherung usw. Wir müssen in mehreren Schritten an die Sache herangehen. Ein derartig komplexes Thema müssen wir in Teilabschnitte und Felder aufteilen.
1. Anstoß zur breiten und offenen Diskussion - Es ist unter anderem der Verdienst der Piratenpartei, dass das Bedingungslose Grundeinkommen (im Folgenden BGE genannt) überhaupt besprochen wird. Die Bereitschaft der Grünen und Linken zum Mitwirken an einer Enquetekommission, die im Bundestag die Schritte zu einem BGE definieren und das Erreichen dieser Schritte erarbeiten soll, begrüßen wir sehr.
1.1. Es ist sehr schwierig eine Diskussion in dieser Richtung zu führen, denn man prallt meist auf 2 wichtige gedankliche Blockaden bei vielen Gesprächspartnern. Die erste ist die Abkoppelung vom Leistungsgedanken. Das nur derjenige der arbeitet, auch etwas verdient hat. Die zweite ist die Frage der Finanzierung. Ich schiebe diese eher ans Ende meiner Antwort. Kann man diese Fragen zu Beginn der Diskussion überspringen, stellt sich nüchtern betrachtet der Fakt ein, dass wir bereits Heute Grundeinkommen haben, die allerdings an Bedingungen geknüpft sind, die teilweise absurd sind, oder uns andererseits dazu komplett offen gelegt haben, während zum Beispiel Verwaltungsvorschriften, Anweisungen udn Aktennotizen in Jobcentern schwer erkämpft werden müssen. Dabei sind diese Stellen zur Dienstleistung an uns verpflichtet, nicht zur Erschwerung unseres Alltags.
2. Untersuchung des IST-Zustandes - Rente, Bafög, Kindergeld, Grundsicherung sind alles Transferleistungen. Wir wissen, dass der Arbeitsmarkt die soziale Integration und Teilhabe aller Menschen nicht mehr erfüllen kann. 4 von 10 Bürger gehen einer Arbeit nach, von der sie leben können. 1 von 10 arbeitet inzwischen im sogenannten "Niedriglohnsektor" Für die anderen 5 von 10 (Kinder,Jugendliche,Rentner,Sozialleistungsempfänger) muss mitgewirtschaftet werden. 56 Mrd bezahlten Arbeitsstunden stehen ~ 90 Mrd unbezahlte Arbeitsstunden gegenüber (u.a. Elternarbeit, Jugendarbeit, Ehrenamt, Freiwillige, unbezahlte Überstunden) Blendet man die Option Grundeinkomemn aus, so bleibt nur, alles auf die Karte Wirtschaftswachstum zu setzen. Dies ist insofern falsch, als das ewiges Wachstum nicht realistisch ist und durch quantitatives Denken, qualitativ neue Gesellschaftsmodelle nicht zugelassen werden. Denn die Faktoren für "erfolgreiches Wachstum geben keine Aussagen bezüglich Gerechtigkeit, Zufriedenheit oder Lebensqualität für und zwischen den Menschen einer Volkswirtschaft. Deshalb kann die Regierung auch behaupten "Deutschland gehe es gut". Uns als Menschen aber nicht. Es gibt Kinderarmut, es gibt Altersarmut. Es gibt Menschen, die benötigen mehrere Jobs zur Existenzsicherung. Ich wage nicht an deren Rente zu denken.
3. Schrittweise Einführung - Zu allererst möchten wir ein Kindergrundeinkommen in mindestens der Höhe der jetzigen Leistungen ~400€ allerdings ohne jegliche Bedingung oder Bedarfsprüfung. Das Geld soll allein der Erziehung und Bildung der Kinder dienen. Für die Forderung "freien Zugang zu Bildung" wollen wir die BafÖG-Leistungen dann in ein Bildungseinkommen umwandeln. Die Altersarmut muss durch eine Erhöhung der Grundsicherung als Sockel zur Rente bekämpft werden. Finanziert werden soll dies zum Beispiel über die Reform des Rentensystems. Nämlich der Bildung eines Einzahlungstopfes. Beamte, Erwerbstätige, Selbstständige zahlen in einen Topf ein, der nicht zweckentfremdet werden darf und aus dem inflationsbereinigt ausgezahlt wird.
Sie merken, dass ein Großteil der Schritte größtenteils buchhalterisch sind und den Rotstift nur bei den Bedingungen ansetzt? Das ermöglicht dem Verwaltungsapparat ganz andere Freiheiten, als das ständige prüfen von Ansprüchen, weil jeder anerkannte Teilnehmer einer politischen Gesellschaft (also Bsp. eines Landes, einer Union, eines Staates) Anspruch hat. Die Verwaltung könnte endlich lösungsorientiert FÜR die Menschen arbeiten, anstatt ihnen durch Hürden Teilhabe und Existenz zu erschweren.
4. Die Europafrage - Das ist die umfassende Frage. Geben wir uns eine Verfassung auf europäischer Ebene und werden endlich eine Union? Dann muss das europaweite BGE die logische Konsequenz sein. Gehen wir die Schritte zurück zu nationalen Interessen, Kompetenzen und Grenzen? Diesen Gedankengang verfolgen die Piraten nicht. Die Kompetenz der Länderregierungen sollten nicht häppchenweise abgegeben werden, sondern es soll bitte ein demokratisch legitimiertes Europa mit einer gemeinsam abgestimmten Verfassung geben. Auf den Fundamenten der Teilhabe, Beteiligung und Transparenz.
5. Bedingungen und Pläne. Die Piraten möchten bundesweite Volksentscheide zu genau solchen Fragen einführen und nicht über die Menschen hinweg entscheiden. Dies wird mit einer schwarz-gelben Regierung nicht geschehen. Gemeinsam soll dann über genau diese streitbaren Fragen, zum Beispiel die Wahl zwischen "BGE für Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit" und " BGE für alle" , abgestimmt werden.
6. Die Finanzierung - Ich bin kein Steuerexperte. Dennoch brauchen wir die dringend benötigten Änderungen und Vereinfachungen im Steuersystem. Zum Beispiel eine negative Einkommenssteuer https://de.wikipedia.org/wiki/Negative_Einkommensteuer Zum Beispiel die Beseitigung der kalten Progression https://de.wikipedia.org/wiki/Kalte_Progression Zum Beispiel die Besteuerung des Finanzsektors, durch Ideen wie die Finanztransaktionssteuer. Zum Beispiel die gesonderte Besteuerung von Luxusgütern. Zum Beispiel durch die Aufhebung der gesenkten Mehrwertsteuersätze. Zum Beispiel durch die Kosteneinsparungen durch die Verschlankung der Verwaltung. Zum Beispiel durch den verbesserten Binnenmarkt. Denn es ist klar, dass ein BGE nur Armut verhindert. Nicht Reichtum. Wir wollen etwas leisten, wir wollen Dinge besitzen. Ein Grundeinkommen bildet den Sockel für alles, was wir DAZU erwirtschaften. Zum Beispiel über die Idee einer "Maschinensteuer" (Ich weiß, "ABER die Wettbewerbsfähigkeit!!!" , DE liegt 2013 unter den Top 5 der konkurrenzfähigsten Länder, als was genau passiert? )
7. Soziale Ausbeutung - Ich glaube nicht daran, dass Politik Unwillen per Verordnung abschaffen wird oder Faulheit per Gesetz beseitigt. Es wird die Ausnutzung geben. Dem persönlichen(!) Gerechtigkeitsempfinden mag das nicht zuträglich sein, gleichwohl ist es eine Illusion an "Vollbeschäftigung" im Sinne "alle voll sozialversicherungspflichtig, weisungsgebunden erwerbstätig" zu glauben. Und dennoch sind wir "tätig" Wir pflegen Familie, erziehen Kinder, helfen ehrenamtlich, sind künstlerisch aktiv und müssen die Welt retten. Wir wollen teilhaben und teilen, wollen uns ausleben und probieren. Sind neugierig und strebsam. Und dennoch können wir es derzeitig nur, wenn unsere Existenz gesichert ist. Und die sichern wir an einem Arbeitsplatz, an dem ein Großteil der Beschäftigten bereits innerlich gekündigt hat. Märkte brauchen Regeln, Menschen brauchen Freiheit.
Ich danke sehr für die Frage und hoffe diese gut beantwortet zu haben.
Weiterführende Links
-Unser Wahlprogramm -
http://wiki.piratenpartei.de/Bundestagswahl_2013/Wahlprogramm
-Video zum BGE - https://www.youtube.com/watch?v=gEsKRsjou5k