Frage an Daniel Caspary von wolfgang h. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Caspary,
ich habe die Frage in der Kategorie "Internationales" eingestellt.
Sie könnte aber auch in viele andere Kategorien eingestellt werden, da die Auswirkungen viele Bereiche des öffentlichen und privaten Lebens betreffen werden.
Am 29. Mai finden die nächsten EU-Wahlen statt.
Die Frage: Mich würde jetzt schon Ihre Haltung zu JEFTA interessieren.
Falls Sie Informationsbedarf zu JEFTA haben, habe ich zwei DIN A4 Seiten einer Studie zum Thema beigelegt:
https://blog.campact.de/wp-content/uploads/2018/10/Zusammenfassung-Studie-JEFTA.pdf
Mit freundlichen Grüßen,
Wolfgang Harr
Sehr geehrter Herr Harr,
vielen Dank für Ihre E-Mail zum Handelsabkommen mit Japan. Gerne gehe ich auf die von Ihnen vorgebrachten Punkte und einige weitere Missverständnisse zu dem Handelsabkommen ein.
Zunächst ist die Frage, ob es sich beim Handelsabkommen mit Japan (Volltext unter https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52018PC0192&from=EN ) um ein gemischtes Abkommen handelt, das von den Parlamenten aller EU-Mitgliedsstaaten ratifiziert werden muss, eine juristische, die damit auch der Prüfung durch den Europäischen Gerichtshof standhalten muss. In jedem Fall, auch bei Abkommen, die "nur" vom Europäischen Parlament, der direkt gewählten Vertretung der Bürger Europas, und den demokratisch gewählten Regierungen der Mitgliedsstaaten abgesegnet werden müssen, ist die demokratische Legitimation der europäischen Handelspolitik sichergestellt.
Die Investitionsschutzklauseln, die in der Vergangenheit zu großer Verunsicherung geführt haben, sind im aktuellen Abkommen so nicht enthalten- auch weil die Europäische Union im Moment eine Vereinbarung zur Einrichtung eines ständigen multilateralen Handelsgerichtshofes erreichen möchte, der über ordentlich und ständig berufene Richter verfügt sowie einen institutionalisierten Berufungsmechanismus umfassen soll. Weitere Details und das Verhandlungsmandat der Mitgliedsstaaten an die Kommission finden Sie unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2017/september/tradoc_156042.pdf und http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-12981-2017-ADD-1-DCL-1/en/pdf .
Während den Verhandlungen genauso wie jetzt werden die Interessen und Belange von Kleinunternehmern, Gewerkschaften und der Zivilgesellschaft selbstverständlich aufgenommen. Beispielsweise werden diese Belange durch den Wirtschafts- und Sozialrat der Europäischen Union (EWSA), das Europäische Parlament oder andere zivilgesellschaftliche Organisationen wie die European Consumer Organisation BEUC vorgebracht. Sie finden eine ausführliche Übersicht über Konsultationen, Zusammenfassungen über alle Verhandlungsrunden sowie konkrete Textvorschläge der EU unter http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/eu-japan-economic-partnership-agreement/meetings-and-documents/ .
Der Volltext enthält außerdem eine verbindliche Zusage beider Vertragsparteien, das Pariser Klimaschutzabkommen komplett einzuhalten (Artikel 16.4, Nummer 4). Darüber hinaus verbietet das Handelsabkommen explizit von etablierten Standards, beispielsweise im Umweltbereich, abzuweichen bzw. diese nicht durchzusetzen (siehe Präambel, Artikel 7.6, Nummer 2b und insbesondere der gesamte Artikel 16.2). Das bereits erreichte Schutzniveau bleibt somit unverändert. Im Hinblick auf Nachhaltigkeitsaspekte wurde in einer unabhängigen Studie (Volltext unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2016/may/tradoc_154522.pdf ) zur Folgenabschätzung des geplanten Abkommens festgestellt, dass dieses die Entwicklung ressourcenschonender Technologien fördere, dazu beitrage den Energiebedarf beider Vertragsparteien dauerhaft zu stabilisieren und einen Importanstieg natürlicher Ressourcen zu vermeiden. Japan allerdings Importvorschriften zu machen ist weder Sinn noch Zweck eines europäischen Handelsabkommens - und wir würden ähnliche Forderungen von Drittstaaten in Verhandlungen ebenso wenig akzeptieren wollen.
Weiterhin ist dem Thema "Handel und nachhaltige Entwicklung" das gesamte Kapitel 16 gewidmet, mit dem sichergestellt werden soll, dass der Handel Umweltschutz und soziale Entwicklung unterstützt und die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder und Fischbestände fördert. In diesem Kapitel wird auch beschrieben, wie die Zivilgesellschaft in die Durchführung und Überwachung dieser Bestimmungen einbezogen wird. Es enthält zudem eine Verpflichtung zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzübereinkommens sowie einen eigenen Überprüfungsmechanismus.
Weiterhin bleiben die Umweltziele der EU bis 2030 Treibhausgasemissionen um mindestens 40 % (gegenüber dem Stand von 1990) zu senken, den Anteil erneuerbarer Energiequellen auf mindestens 27% zu erhöhen und die Energieeffizienz um mindestens 27% zu steigern, vollkommen unberührt und haben unverändert weiter Geltung. Alle Details unter https://ec.europa.eu/clima/policies/strategies/2030_de .
Wasser und Abwasser sind grundsätzlich Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Jede Kommune entscheidet heute selbstständig, ob sie diese Aufgabe selbst wahrnimmt oder einem privaten Dienstleister überträgt. Lediglich eine Änderung ergibt sich durch JEFTA: Wenn Kommunen sich entscheiden, die Versorgung an einen privaten Dienstleister zu übertragen, können sich in Zukunft neben europäischen, südkoreanischen und kanadischen Anbietern (die bereits heute an solchen öffentlichen Ausschreibungen teilnehmen können) auch japanische Anbieter an europaweiten Ausschreibungen beteiligen. Entscheidet sich eine Kommune die Wasserversorgung anstatt durch einen privaten Anbieter zu einem späteren Zeitpunkt wieder selbst wahrzunehmen, ist dies auch weiterhin problemlos möglich. Dies ist eine der zentralen Aspekte aller Handelsabkommen der EU - siehe http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=1128&serie=793&langId=de. Die Entscheidungshoheit ist und bleibt bei der Kommune. Kommunale Monopole und zukünftige Re-monopolisierungen genau wie die Freiheit der Inländerbegünstigung im Bereich der Wasserversorgung und der öffentlichen Daseinsvorsorge generell bleiben damit auch weiterhin problemlos möglich. Dies hat die EU im Vorbehaltskatalog (Volltext: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2018/august/tradoc_157233.pdf#page=1 ) für aktuelle und zukünftige Maßnahmen klar ausgewiesen (Seite 138). Städte und Kommunen sind und bleiben frei, alle Dienste frei zu regulieren, die sie im öffentlichen Interesse erachten. Der Status Quo bleibt unverändert - vor und nach JEFTA. Weitere Informationen finden Sie hier: https://ec.europa.eu/germany/news/20180706-eu-japan-abkommen_de .
Weiterhin ist das Vorsorgeprinzip, neben Referenzen auf Rechtsakte der EU, die alle nach diesem Prinzip arbeiten, explizit im Artikel 16.9 ausgewiesen. Weitere Informationen stehen Ihnen hier zur Verfügung: http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2017/july/tradoc_155718.pdf .
Die Frage, ob nicht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu CETA vor der Ratifikation des Abkommens mit Japan abzuwarten wäre, sollte sich selbst auflösen können, da das Gericht in Karlsruhe noch in diesem Jahr ein Urteil fällen wird (siehe https://www.bundesverfassungsgericht.de/DE/Verfahren/Jahresvorausschau/vs_2018/vorausschau_2018_node.html ) - und damit klar vor dem Ratifizierungsprozess, der im Frühjahr 2019 auf der Agenda stehen wird. Allerdings kann ich nicht nachvollziehen, inwiefern die schon lange und problemlos praktizierte regulatorische Kooperation auf internationaler Ebene ein verfassungsrechtliches Problem darstellen sollte. Man versteht unter diesem Stichwort lediglich den informellen Austausch der Regulatoren beider Seiten bei der Erstellung von neuen Standards. Unser regulärer Gesetzgebungsprozess und unsere Souveränität bleiben völlig unberührt und selbstverständlich sind es die gewählten Vertreter beider Seiten, die das jeweilige Schutzniveau festlegen, im Rahmen dessen dann Experten kooperativ nach sich gut ergänzenden technischen Lösungen suchen. Der im geplanten Abkommen vorgesehene Regulierungsausschuss hat außerdem keine Entscheidungskompetenz und schon gar keine Möglichkeit, den ausgehandelten Vertrag nachträglich zu verändern (vergleiche Artikel 18.14). Die Zusammenarbeit der beiden Vertragsparteien erfolgt freiwillig und hat wiederum keinerlei Auswirkungen auf das Schutzniveau in der EU in allen Bereichen (Artikel 18.1, Nummer 2).
Der Handel zwischen der EU und Japan hat enormes Potential. Schon jetzt beläuft sich das gegenseitige Handelsvolumen auf rund 90 Milliarden Euro jährlich. Mit einem Handelsabkommen wollen wir nicht nur einen größeren Warenaustausch erreichen, sondern auch den Welthandel im Sinne unserer Werte prägen, sodass wir uns nicht später den Anforderungen und Standards z.B. Chinas beugen müssen. Ein Handelsvertrag mit einem Land, das unsere Werte teilt und gleichzeitig die weltweit drittgrößte Wirtschaftsmacht ist, kann uns bei beiden Zielen nur weiterhelfen.
Ich hoffe, dass ich Ihnen weiterhelfen konnte und verbleibe
mit freundlichen Grüßen ...
Daniel Caspary.