Daniel Baldy
Daniel Baldy
SPD
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Frage von Claus S. •

Sehr geehrter Herr Abgeordneter Baldy, warum geht man in Sachen Wahlrechtsreform nicht einfachere Wege? Mit freundlichen Grüßen Claus Schubert

Erläuterung:
1. Reine Verhältniswahl (598 Abgeordnete).
2. Verhältniswahl / Mehrheitswahl je zur Hälfte (299 Abgeord. nach Liste / 299 Abgeord. nach direkter Wahl).
3. Wie Punkt 2. jedoch mit der Möglichkeit der Listenveränderung durch den Wähler (598 Abgeord.).
4. Reine Mehrheitswahl (Erstplatzierte(r) und Zweitplatzierte(r) = 598 Abgeordnete).

Daniel Baldy
Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr S.,

vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihre Ideen zu diesem wichtigen Thema.

Die Wahlrechtsreform zur Begrenzung des Bundestages war lange überfällig.

Wichtig beim Wahlrecht sind zwei Prinzipien:
Zum einen muss die Besetzung des Bundestages die Mehrheitsverhältnisse bei der Wahl widerspiegeln. Dies wird über die Zweitstimmen geregelt. Eine Partei, die beispielsweise 20 Prozent der Zweitstimmen erhält, soll also auch im Bundestag entsprechend vertreten sein.

Außerdem ist die lokale Repräsentanz wichtig. Der Bundestag soll ein Spiegelbild Deutschlands sein – dazu gehört auch eine angemessene Vertretung der einzelnen Wahlkreise.

Im bisherigen Wahlrecht hat jeder Wahlkreis eine:n direkt gewählte:n Abgeordnete:n in den Bundestag geschickt. Dazu kamen die Abgeordneten, die über die Listenplätze ein Mandat erlangt haben.
Um die oben erwähnten Mehrheitsverhältnisse bei der Besetzung mit direkt gewählten Abgeordneten nicht zu verzerren, waren Überhangs- und Ausgleichsmandate nötig.

Die Bundestagswahl war also eine Verhältniswahl mit einer vorgeschalteten Mehrheitswahl in den Wahlkreisen.

Dadurch wuchs jedoch die Anzahl an Abgeordneten, die dem Bundestag angehören, rasant an.
Das Bundesverfassungsgericht urteilte, das damit die Regelgröße des Parlaments unverhältnismäßig weit überschritten wird und gab uns als Gesetzgeber die Aufgabe, ein neues Wahlrecht zu beschließen, das den Vorgaben des Urteils gerecht wird.

Zudem urteilte das Gericht, dass die Prinzipien der Verhältniswahl und der lokalen Repräsentanz im neuen Wahlrecht zu beachten sind, die Bundestagswahl im Grundcharakter aber eine Verhältniswahl sein soll.

Das Entstehen von Überhang- und Ausgleichsmandanten wird zukünftig ausgeschlossen. Hierzu wird der vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Grundcharakter der Bundestagswahl als Verhältniswahl konsequent weitergeführt. Allein die mit der Zweitstimme gewählten Landeslisten der Parteien sind für das Kräfteverhältnis der Parteien im Parlament ausschlaggebend. Damit dieses Kräfteverhältnis nicht mehr durch Überhangmandate verfälscht und durch Ausgleichsmandate wiederhergestellt werden muss, werden zukünftig nur noch die Sitze vergeben, die von den Parteien nach ihrem Zweitstimmenergebnis errungen wurden.

Es wird weiterhin nur zwei Stimmen geben. Die Zweitstimme allein wird für die Verteilung der nunmehr 630 Sitze des Bundestags maßgeblich sein. Mit der Zweitstimme werden die Landeslisten der Parteien gewählt und mit der Erststimme über Kreiswahlvorschläge in 299 Wahlkreisen abgestimmt.

Künftig sind Wahlkreiskandidierende einer Partei nur dann als Abgeordnete des Wahlkreises gewählt, wenn sie einen durch ihre Partei nach deren Zweitstimmenergebnis im betreffenden Land errungenen Sitz erhalten. Hierzu werden alle Wahlkreiskandidierenden einer Partei mit den meisten Erststimmen gereiht. Die Reihenfolge richtet sich nach dem prozentualen Anteil der Erststimmen in den Wahlkreisen, beginnend mit dem höchsten Erststimmenanteil. In dieser Reihenfolge werden die durch ihre Partei nach deren Zweitstimmenergebnis errungenen Sitze zunächst an die Wahlkreiskandidierenden vergeben.
Sind mehr Sitze der Partei zu vergeben, als Wahlkreiskandidierende der Partei im Land erfolgreich waren, werden die verbleibenden Sitze an die Kandidierenden der Landesliste der Partei in der dort festgelegten Reihenfolge vergeben.
Sind Sitze nicht durch das Zeitstimmenergebnis gedeckt, werden sie nicht an die Wahlkreiskandidierenden vergeben.

So erreichen wir unser Ziel einer deutlichen Verringerung der Parlamentssitze bei gleichzeitigem Erhalt der 299 Wahlkreise und des Verhältniswahlrechts.

Bei diesem wichtigen Thema ist mir der Austausch mit Bürger:innen besonders wichtig.
Für Ihre Vorschläge möchte ich Ihnen daher danken. Gern gehe ich näher darauf ein.

Bei einer reinen Verhältniswähl würde die Repräsentation möglichst vieler Wahlkreise gar nicht beachtet werden.
Diese beiden Prinzipien müssen aber abgewogen werden. Eine Wahlrechtsreform muss beidem Rechnung tragen.

Der zweite und dritte Vorschlag folgen dem Prinzip des Grabenwahlrechts, wie es die CDU und CSU vorgeschlagen haben.

Beim Grabenwahlsystem wird wie derzeit die Hälfte der Mandate von in den Wahlkreisen direkt gewählten Abgeordneten besetzt, jedoch unabhängig von den Zweitstimmenergebnissen. Die zweite Hälfte der Mandate wird entsprechend dem Zweitstimmenergebnis an Listenkandidaten vergeben. Damit werden zwar 299 Listen- und 299 Wahlkreismandaten gleichranging besetzt und die gesetzlichen Regelgröße von 598 Abgeordneten eingehalten. Die Mehrheitswahl wäre hier jedoch gleichrangig mit der Verhältniswahl verbunden, was mehrheitserhebliche Umschichtungen ermöglicht. Es kann so passieren, dass die nach Zweitstimmen zweitgrößte Partei die meisten Mandate erlangt. Es würde die Union zudem noch stärker als bisher bevorteilen, denn bei den Bundestagswahlen 2009, 2013 und 2017 hätte das Modell zu einer absoluten Mehrheit der Union geführt. Kleinere Parteien ohne Wahlkreismandate würden dagegen benachteiligt.

Die Wahlrechtskommission hat in der Gesamtschau der Alternativen zur Vermeidung von Überhangmandaten deshalb mehrheitlich empfohlen, dass einer Partei in einem Land nur so viele Wahlkreismandate zugeteilt werden sollten, wie ihrer Landesliste Mandate zur Verfügung stehen.

Auch eine Mehrheitswahl, bei der Erst- und Zweitplatzierte aus den Wahlkreisen ins Parlament einziehen, ist problematisch.
Denn hierbei würden große Parteien wie die SPD oder die CDU/CSU, die häufig Wahlkreise direkt gewinnen, gegenüber kleineren Parteien bevorzugt.
Die Besetzung des Bundestages würde damit nicht mehr dem Stimmenverhältnis der einzelnen Parteien gerecht werden.
Ein daraus resultierendes Zwei-Parteien-Parlament, wie wir es aus anderen Ländern kennen, darf keine Option sein.

Wir sind überzeugt, dass unsere Wahlrechtsreform den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Rechnung trägt und eine Vertretung der einzelnen Wahlkreise im Bundestag ermöglicht, ohne dabei die Wahlergebnisse zu verzerren.

Klar ist, dass wir diese Reform öffentlich bewerben und erklären müssen.
Bürger:innen muss klar sein, weshalb das Wahlrecht überhaupt angepasst wurde und wie die nächste Bundestagswahl ablaufen wird.

Hierbei sehe ich uns als Bundespolitik in der Pflicht.

Mit freundlichen Grüßen
Daniel Baldy, MdB

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