Frage an Cornelia Möhring von Alexandra S. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrte Frau Möhring,
die derzeitige gesellschaftliche und politische Entwicklung durch die Diskussion über die Einführung einer Masernimpfpflicht beschäftigt mich sehr.
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat sich bereits 2016 im Rahmen der Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 019/06 mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit einer Impfpflicht beschäftigt.
In dieser Ausarbeitung (S. 5-6) ist festgehalten, dass eine generelle Impfpflicht mit dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit nicht vereinbar ist: „In der Abwägung [beider Positionen] sind außerdem die Schwere der Gefahr sowie die Wahrscheinlichkeit einer Infektion zu berücksichtigen. [...] Im Falle einer Maserninfektion beträgt die Sterblichkeit in Deutschland laut RKI dagegen nur 0,1 Prozent. [...] Ergibt die Abwägung im Ergebnis nur ein geringes Risiko, dürfte eine generelle Impfpflicht ein Eingriff in das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art 2 Abs. 2 GG darstellen, der verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen wäre.“
Wie begründen Sie es, dass drei Jahre nach dieser Ausführung des Wissenschaftlichen Dienstes eine Masernimpfpflicht (und gleichzeitig durch den Kombinationsimpfstoff auch eine für Mumps, Röteln und ggf. sogar Windpocken) eingeführt werden soll? Wie ist das verfassungsrechtlich zu rechtfertigen?
Mit freundlichen Grüßen
Alexandra Schirm
Sehr geehrte Frau A. S.,
ehrlich gesagt sollten Sie Ihre Fragen vor allem an die Abgeordneten von SPD und Union stellen, denn ich selbst sehe die Masern-Impfpflicht äußerst kritisch. Eher ohne Not hat Jens Spahn vor etlichen Monaten eine Debatte über die Impfpflicht gegen Masern vom Zaun gebrochen, die eine eigene Dynamik annahm. Die Entwicklung der Zahlen an Erkrankungsfällen der letzten Jahre gab zumindest keinen Anlass für die erzeugte Hysterie; die Fallzahlen zeigen alle paar Jahre ein Auf und Ab, wobei größere Ausbrüche schon länger zurückliegen, wie auch Zahlen des Robert Koch-Instituts belegen.
Dennoch: Masern sind eine schwerwiegende Viruserkrankung, die in den Jahrzehnten vor der Entwicklung eines Impfstoffes regelmäßig zu vielen Todesfällen und schweren geistigen und körperlichen Behinderungen geführt hat. Deshalb ist auch eine gleichbleibende Zahl an Ansteckungen mit Masern nicht befriedigend vor dem Hintergrund des erklärten Ziels der WHO, die Masern ausrotten zu wollen. Die Fraktion DIE LINKE. im Bundestag hat darum bereits vor fünf Jahren eine bessere Ausstattung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes gefordert, ohne dass aber die Bundesregierung und Bundesländer hier die erforderlichen Schritte eingeleitet haben.
Auch wenn die Todesraten in Deutschland verhältnismäßig niedrig sind, sieht das im weltweiten Maßstab ganz anders aus. Gerade in armen Ländern, die über eine mangelhafte Gesundheitsversorgung verfügen, ist der Anteil der Krankheitsverläufe, die mit dem Tod enden, deutlich höher (der Deutsche Ethikrat spricht hier von bis zu 28 Prozent, Seite 15, https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-impfen-als-pflicht.pdf). Angesichts globaler Mobilität durch Tourismus, aber auch Geschäftsreisen und ähnlichem sehe ich uns durchaus auch in der Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass Erreger, die hierzulande keine tödlichen Auswirkungen mehr haben, sich nicht weiter dorthin verbreiten können, wo es an finanziellen Ressourcen fehlt, um die Krankheit zu heilen. Deshalb finde ich durchaus, dass es ein richtiges und notwendiges Ziel gesundheitspolitischer Anstrengungen sein sollte, Masern durch Erhöhung der Impfquote auszurotten.
Eine Impfflicht gegen Masern lehne ich dennoch ab, weil sie angesichts der aktuellen Fallzahlen einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht darstellen würde. Die körperliche Unversehrtheit ist ein hohes, grundrechtlich geschütztes Gut. Die freiwillige und informierte Zustimmung in eine medizinische Behandlung ist Voraussetzung für ihre Legitimität und Akzeptanz. Darauf fußt das ganze Patientenrecht und das darf nicht leichtfertig relativiert werden – auch nicht für einen sinnvollen Zweck. Darüber hinaus ist es zudem höchst zweifelhaft, ob eine Erhöhung der Impfquote durch eine Impfpflicht erreicht werden kann. Europaweit gibt es keinen erwiesenen Zusammenhang zwischen Bestehen einer Impfpflicht und den Impfquoten. Menschen, die sich nicht impfen lassen wollen, werden sich wohl kaum von einem Bußgeld abschrecken lassen - zumal es statistisch oft besser situierte Menschen sind, die impfskeptisch sind. Und darüber hinaus dürfte eine Pflicht eher die Skepsis gegenüber Impfungen befördern - das zeigen etliche Beispiele von Ländern, die eine Impfpflicht haben, da die Bevölkerung dem staatlichen Zwang mit Misstrauen begegnet.
Für uns als LINKE ist die freiwillige und informierte Entscheidung der einzelnen Menschen die Leitschnur unserer Gesundheitspolitik und damit auch für unsere Vorschläge zur Erhöhung der Impfquote. Wie bei anderen Maßnahmen der Prävention sollte auch hier gelten: Information, Aufklärung und niedrigschwellige Angebote statt Zwang. Falls Sie weitergehendes Interesse an unseren Positionen und Forderungen zum Thema haben, finden Sie unter diesem Link eine Positionierung, die allerdings aus dem Jahr 2015 ist: https://www.linksfraktion.de/themen/positionspapiere/detail/impfen-foerdern-nicht-erzwingen/. Entsprechend sind manche Sätze zeitlich einzuordnen, die grundsätzliche Position, die hier formuliert wird, gilt für mich aber weiterhin.
Mit freundlichen Grüßen,
Cornelia Möhring