Frage an Claudius Holler von Frauke S. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
“The End is near. I have no illusions about this regime or its leader, and how he will pluck us and hunt us down one by one till we are over and done with ... This is a losing battle and they have all the weapons …” (Sandmonkey, ägyptischer Blogger)
Sehr geehrter Herr Holler,
mit Entsetzen beobachte ich die staatlich organisierte Gewalt die zurzeit in Ägypten gegen weitgehend friedliche Demonstranten angewendet wird. Es gibt gute Gründe, anzunehmen, dass hierbei auch Waffen benutzt werden, die durch deutsche Rüstungsbetriebe hergestellt und nach Ägypten geliefert wurden (Vgl.: http://www.tagesspiegel.de/politik/militaerische-dominanz-mit-unseren-waffen/3790440.html ).
Ich möchte Ihnen dazu folgende Fragen stellen:
1. Welche Rolle spielt Hamburg bei der Herstellung und beim Export deutscher Waffen nach Ägypten? Wie viele Waffen, Waffenteile und andere Ausrüstungsteile für Polizei und Sicherheitsdienste Ägyptens wurden in den vergangenen Jahren über den Hamburger Hafen bzw. Flughafen verschifft? Welche Hamburger Betriebe sind direkt oder indirekt in Produktion und Export von Waffen nach Ägypten involviert (auch als Zulieferer oder Dienstleister)? Welche Bedeutung hat dies für die Hamburger Wirtschaft? Wie hoch sind die Steuereinnahmen, welche die Stadt Hamburg daraus bezieht?
2. Wie bewerten Sie die Bedeutung der Rüstungsexporte für die Hamburger Wirtschaft in ethischer Hinsicht? Sehen Sie eine Mitschuld Hamburger Unternehmer an der Etablierung und Stützung der Diktatur in Ägypten oder vergleichbarer Staaten durch Lieferung von Waffen und Ausrüstung an die staatlichen Sicherheitskräfte?
3. Würde die Hamburger Rüstungsindustrie in wirtschaftlicher Hinsicht von einer Regierungsbeteiligung Ihrer Partei profitieren oder müsste Sie mit Einschränkungen rechnen? Haben Sie ggf. ein Konzept für wirtschaftliche Alternativen?
4. Halten Sie die bisherige Gesetzeslage zur Kontrolle von Rüstungsexporten für ausreichend? Welche Änderungen würden Sie ggf. fordern?
Sehr geehrte Frau Silbermann,
vielen Dank für ihre Anteilnahme an den Geschehnissen in Ägypten. Ich verfolge die Entwicklung auch gebannt und mit Schrecken. Dennoch will ich an ein "Happy End" glauben und daran, dass sich eine friedliche Revolution wider dem Unrecht auch in andere Länder fortpflanzt. Insbesondere verknüpfe ich damit die Hoffnung, dass sich die NATO oder andere westliche Militärmächte heraushalten und die UNO auf eine friedliche Lösung hinarbeitet. Eine Lösung die auch und vor allem von der Bevölkerung begrüßt wird.
Bitte verzeihen Sie mir, dass ich aus guten Gründen außer Stande bin Ihre Fragen wirklich fundiert und in aller Tiefe zu beantworten.
Weder Ich, noch die Piratenpartei stehen aktuell in parlamentarischer oder gar Regierungsverantwortung, so dass uns oder - noch nicht vorhandenen - thematischen Mitarbeitern lediglich dieselbe Information zur Verfügung steht, wie der Bevölkerung.
Einige Antworten zu Zahlen und offiziellen Fakten finden Sie in jedem Fall hier:
1. http://www.bicc.de/ruestungsexport/pdf/countries/2010_aegypten.pdf
2. http://www.sipri.org/search?SearchableText=germany
3. http://www.bmwi.de/BMWi/Navigation/Presse/pressemitteilungen,did=373860.html
4. http://www.geopowers.com/News/News_II_2009/IGMetall_Heerestechnik_5.2009.pdf
Zu Ihren Fragen dennoch ein wenig persönliche Einschätzung und/oder Bewertung:
1. Rüstungsmittel werden sicherlich in Hamburger Werften und bei EADS hergestellt, vor allem aber auch über den Hamburger Hafen verschifft. Meinem Gefühl nach spielt Hamburg im Vergleich mit dem Süden der Republik, in produzierenden Bereich eine kleinere Rolle. Eine wirtschaftliche und steuerliche Bedeutung ist aber in jedem Fall vorhanden.
2. Was Kriege und Militär-Diktaturen angeht, sehe ich generell eine Mitverantwortung und Mitschuld bei Rüstungsbetrieben und -nationen. Dies ist eine logische Schlussfolgerung. Einzig die Ächtung besonders grausamer Waffen und Lieferstopps für besonders menschenrechtsverletzende Staaten, lassen die westliche Rüstungsindustrie bzw. die politischen Entscheidungsträger etwas besser dastehen, als manch anderes Land. Ich persönlich bezweifle jeglichen Mehrwert kriegerischer "Konfliktbewältigung" und sehe die Ursachen derartiger Eskalationen schändlich vernachlässigt. Kriege zu vermeiden ist insbesondere Aufgabe einer menschenfreundlichen Entwicklungs- und Bildungspolitik und wirtschaftlicher Verträge, die ein friedliches Miteinander im höchsten Maße privilegieren. Leider werden auch wir Piraten in naher Zukunft kaum mit der Machtfülle ausgestattet sein, die Realitäten komplett zu kippen.
3. Diese Frage schließt zu viele Faktoren mit ein, dass es vermessen wäre darauf eine Antwort zu geben. Wir Piraten, gerade in Hamburg, haben keinerlei wirtschaftlichen Fokus auf Rüstung und streben wirtschaftliche und wissenschaftliche Impulse eher im Bereich Energie, Medien, ziviler Technik und Bildung/Soziales an.
Aber für die nötige Transparenz und Öffentlichmachung werden wir ganzheitlich sorgen, auch auf ihre Fragestellung bezogen.
4. Meine persönliche Wunschvorstellung einer friedlichen Welt ohne Waffen, ist leider auf die nächsten Jahrzehnte dazu verdonnert Utopie zu bleiben. Aber ich und auch die Piratenpartei würden strengere Maßnahmen und transparentere Abwicklung mittragen und auch anregen. Der Weg ist leider noch ein langer und mit etlichen Hürden versehen und die Interessen im Rüstungsbereich werden von vielen Kräften unterstützt.
Ich weiß, dass Sie von meiner Antwort ähnlich enttäuscht sein werden, wie ich resigniert bin, diese Aussagen so treffen zu müssen. Aber nichts liegt mir ferner, als haltlose Versprechungen zu geben, bloß um Gefallen zu finden. Das ändert nichts an meiner persönlichen Philosophie und dem Wunsch nach einer friedvollen Welt.
mit freundlichen Grüßen
Claudius Holler