Frage an Claudia Roth von sven h. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrte Frau Roth
Warum distanzieren sich die Grünen nicht genauso lautstark und vehement von Ehrenmorden in Folge der Scharia wie gegen die Defamierung ausländischer Mitbürger und deren Glauben?
Wie können die Grünen damit umgehen das in den Supermärkten Fleisch verkauft wird, was geschächtet wurde, werden Mitbürger muslimischen Glaubens ein eigenens Tierschutzgestz bekommen oder müssen sie geschächtetes Fleisch aus muslimischen Ländern beziehen?
Da der muslimische Glaube ja ein friedliche Glaubensrichtung ist, werden die Grünen die Rechte der Frau im muslimischen Glauben in der Öffentlichkeit diskutieren und sich für deren Rechte einsetzen?
Welche Strategie haben die Grünen gegen Zwangshochzeiten, Ehrenmorden, Schächtung von Tieren?
Mit freundlichen Grüssen Nils Hennemann (Grüner aus Überzeugung)
Sehr geehrter Herr Hauswald oder Herr Hennemann,
politische Parteien können sich von gesellschaftlichen Problemen ja nicht distanzieren. Sie stehen in der Pflicht, realistische und praktische Antworten darauf zu formulieren. EINE Strategie gegen drei sehr unterschiedliche Themen wie „Zwangshochzeiten, Ehrenmorde und Schächtung von Tieren“ kann es nicht geben. Denn sie betreffen sehr unterschiedliche Bereiche. Aber eine moderne und umfassende Gesellschaftspolitik hat die Aufgabe, politische Konzepte für den Umgang mit ihnen zu erarbeiten. Und das haben wir stets in unseren zahlreichen Stellungnahmen und Positionspapieren getan.
In vielen Ländern der Welt und auch in Deutschland kommt es zur Zwangsheirat, von der nicht nur Mädchen betroffen sind. Diese Art der Unterdrückung von Selbstbestimmungsrecht wird meistens nicht religiös, sondern mit Stammes- oder Familientraditionen begründet. Deshalb ist sie kein Phänomen, das nur unter den gläubigen Muslimen zu finden ist. Da der Staat nicht in der Lage ist, auch die intimsten und privatesten Entscheidungen und Prozesse im Leben der Menschen zu kontrollieren und dabei mitzubestimmen, kann er nur dafür sorgen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die dieses Problem auf ein Minimum zu reduzieren.
Das A und O dieser Politik ist eine stetige Aufklärungsarbeit in allen Lebensbereichen, eine glaubwürdige Gleichberechtigungs- und Gleichstellungspolitik zwischen Mann und Frau, eine ernst gemeinte Antidiskriminierungspolitik in allen Gesellschaftsbereichen und die Bekämpfung von allen Formen von Ausgrenzung und Rassismus. Einzelne Zwangsheiratsfälle lassen sich zwar nicht verhindern, aber eine moderne Gesellschaftspolitik kann den Betroffenen, ob Frau oder Mann, den Ausstieg und den Befreiungsschlag erleichtern. Es gibt mehrere Organisationen und Verbände, die Aktionen und Kampagnen gegen Zwangsheirat gestartet haben. Die Erfolge ließen sich weder statistisch noch in der Praxis bewerten. Denn das Hauptproblem ist, dass Zwangsheirat oder das, was als solche bezeichnet und interpretiert wird, sich meistens im Dunklen abspielt.
Auch Bündnis 90/Die Grünen haben während der rot-grünen Regierungszeit viel unternommen, um Zwangsverheiratungen zu bekämpfen und vor allem den Opfern zu helfen: Bereits zu Regierungsantritt 1998 haben wir - gegen den erbitterten Widerstand der Union - die Frist für ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für EhegattInnen von vier auf zwei Jahre gesenkt. MigrantInnen, die durch ihre Partner physische oder psychische Gewalt erfahren, konnten ab diesem Zeitpunkt sofort ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten. Als erste Fraktion im Bundestag haben wir uns mit dem Thema im Rahmen zweier Fachgespräche befasst. Wir haben die Zwangsverheiratung als besonders schweren Fall der Nötigung ins Strafgesetzbuch aufgenommen. Und mit dem Gewaltschutzgesetz bieten wir den Frauen Schutz und Unterstützung bei der Flucht aus einer Gewaltbeziehung in ein Frauenhaus.
Das reicht uns aber noch nicht. Wir wollen erreichen, dass ein sofortiges eigenständiges Aufenthaltsrecht auch dann erteilt wird, wenn eine Frau (oder ein Mann) glaubwürdig versichern kann, dass sie (oder er) in Deutschland zwangsverheiratet wurde. Für die minderjährigen Kinder gilt ein solches Aufenthaltsrecht dann automatisch mit.
Schwieriger verhält es sich mit populistischen Forderungen nach der Ausweisung der Täter/innen – sofern es sich dabei um nicht-deutsche Staatsangehörige handelt. Der Ehemann selbst zum Beispiel ist oft genug ebenfalls Opfer - auch wenn er letztlich in den meisten Fällen weniger zu erleiden hat als die Frau (als Opfer der Zwangsverheiratung). Bei den Eltern, von denen eine solche Zwangsverheiratung ja meist ausgeht, stellt sich zunächst das Problem, dass die Opfer einer Zwangsverheiratung in den seltensten Fällen tatsächlich ihre Eltern anzeigen – denn das würde bedeuten, dass Tochter oder Sohn gegen die eigene Familie vor Gericht ziehen muss. Das Signal, das von dem Verbot der Zwangsheirat ausgeht, halten wir aber auch schon als Wert an sich für wichtig.
Eine Ausweisung der Täter hängt davon ab, wie hoch die Strafe vom Gericht bemessen wird. Das Strafgesetzbuch sieht für schwere Nötigung eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vor. Ab einer Freiheitsstrafe von drei Jahren sieht das Ausländerrecht eine Ausweisung im Anschluss an die Verbüßung der Strafe als zwingend an, bei zwei Jahren werden die TäterInnen im Regelfall ausgewiesen und darunter liegt es im Ermessen der Richterinnen und Richter. Wenn man allerdings bedenkt, wie schwer es den Opfern sowieso schon fällt, ihre eigene Familie zu verklagen, dann stellt sich die Frage, ob eine solche Ausweisung die psychologische Hürde für die Opfer, die Familie zu verklagen, nicht noch erhöht.
Eine Verlängerung der Frist zur Aufhebung einer durch Drohung erzwungenen Ehe halten auch wir für sinnvoll. Die Eheaufhebung ist schon aus symbolischen Gründen für viele Betroffene die bessere Alternative zur Scheidung. Vieles spricht dafür, dass die bisherige Frist von einem Jahr zu kurz ist. Eine Frist muss allerdings weiterhin bestehen, da wir keine unbegrenzte Aufhebbarkeit ermöglichen können. Eine Verlängerung auf ca. drei Jahre erscheint sinnvoll.
Das Problem mit Ehrenmorden ist genauso wie Zwangsheirat nicht religionsspezifisch. Die UN-Menschenrechtskommission berichtet bereits seit einigen Jahren regelmäßig über das Thema. Für das Jahr 2000 schätzte die UNO 5000 Ehrenmorde weltweit. Genauere Zahlen liegen nicht vor. Auch in Deutschland ist eine genaue Eingrenzung schwierig. Insgesamt gilt, dass Verwandtschaftsbeziehungen bei Tötungsdelikten eine große Rolle spielen. Im Jahr 2002 wurden in unserem Land 412 Frauen Opfer von Mord- und Totschlagsdelikten - mehr als die Hälfte davon stand in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zum Täter. Wie viele dieser Fälle als „Ehrenmord“ einzustufen sind, ist der Polizeistatistik nicht zu entnehmen.
Nähere Hinweise gibt hier die Kriseneinrichtung „Papatya“, die sich um junge Migrantinnen in Berlin kümmert. Dort nimmt man an, dass in den Jahren von 2000 bis 2004 in Deutschland insgesamt vierzehn Frauen Ehrenmorden zum Opfer fielen. Aber nicht nur Frauen sind Opfer. Papatya geht für den gleichen Zeitraum von zwölf Ehrenmorden an Männern aus. Der UNO zufolge spielen Ehrenmorde in Länder aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen eine Rolle: neben Pakistan, Bangladesh, der Türkei und Ländern des Nahen Ostens werden auch Indien, Brasilien, Ecuador oder Italien genannt. Wichtiger als besondere kulturelle und religiöse Zugehörigkeiten scheinen traditionell-patriarchalische Familienstrukturen und entsprechende Vorstellungen von „Familienehre“ zu sein. Hier vor allem liegt das Problem, das mit Blick auf Lösungsstrategien bedacht werden muss.
Die Debatte um Ehrenmorde und Gewalt gegen Migrantinnen wird nur dann erfolgreich sein, wenn wir sie verantwortlich führen. Ausgerechnet diejenigen, die seit Jahrzehnten für die Rechte von Migrantinnen streiten, diejenigen, die sich für Frauenhäuser - auch für Migrantinnen – stark gemacht haben, sollen plötzlich naive „Gutmenschen“ sein – so, als gäbe es wie bei den neuen Kämpfen für Frauenrechte und sexuelle Aufklärung nur noch eine Antwort auf alle Probleme: Gesetzesverschärfungen. Man will das Jugendstrafrecht verschärfen, will Verfassungsrechte einschränken, man will tatsächlich glauben machen, dass eine diskriminierende Ausländerpolitik – die Politik der „Starken Männer“ – die Emanzipation von Migrantinnen in Deutschland vorantreiben würde.
Die Gesetze, die wir haben, sind alles andere als blind. Sie gelten für alle – auch für diejenigen, die glauben, im Namen der „Ehre“ schlimme Verbrechen begehen zu dürfen. Dass es hier in der Bestrafung keinen falschen „Rabatt“ gibt, hat der Bundesgerichtshof klargestellt. Was wir brauchen ist eine gezielte Sensibilisierung der Zivilgesellschaft, der Sozialarbeit, der Polizei, der Justiz und der Juristenaus- und -fortbildung. Die entsprechenden Schutzeinrichtungen für Frauen benötigen ausreichende finanzielle Mittel – gerade in Zeiten knapper Kassen müssen wir dies sicherstellen. Auch die bessere Erfassung von Gewaltdelikten gegen Migrantinnen ist unverzichtbar für eine erfolgreiche Gegenstrategie.
Auch in der Türkei wurden wir mit dem Thema Ehrenmorde immer wieder konfrontiert. In Diyarbakir und Istanbul haben wir hierzu viele Gespräche geführt. Mit Blick auf die Strafrechtsreform in der Türkei haben wir uns in Zusammenarbeit mit vielen türkischen Frauenorganisationen für eine harte Bestrafung von Ehrenmorden eingesetzt. Was wir heute brauchen, ist die Entwicklung einer lebendigen multikulturellen Demokratie, in die auch Frauen mit Migrationshintergrund viel stärker einbezogen sind als bisher. Jede fünfte Ehe bei uns ist binational, jedes fünfte Schulkind hat einen Migrationshintergrund. Das muss auch in Zivilgesellschaft und Politik zum Ausdruck kommen. Das rot-grüne Zuwanderungsgesetz mit den verbesserten Möglichkeiten des Spracherwerbs war hierzu ein erster Schritt.
Zum Schächten ist für die Rechtsprechung in Deutschland immer noch das letzte Urteil des Verfassungsgerichts maßgebend. Die grüne Bundestagsfraktion setzt sich bei der aktuellen Debatte dafür ein, gemeinsam mit den betroffenen Religionsgemeinschaften (vor allem die jüdische und islamische), Tierschutzorganisationen und dem Parlament nach Lösungen zu suchen, die den Weg zum Schächten mit Betäubung möglich machen sollen. Damit wird allerdings die Frage nicht beantwortet, wie die Abwägung des Hohen Gerichts bei zwei wichtigen Verfassungsgütern - Religionsfreiheit und Tierschutz – ausfallen würde.
Mit freundlichen Grüßen
Das Büro-Team von Claudia Roth