Frage an Claudia Roth von Felix S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hierzu habe ich eine weitere Frage, leider war bei Google nichts über die Sachverhalte zu finden, lediglich eine Randbemerkung über die Exkommunikation von Frau Roth 1994 auf der Seite eines Schwulenreferats. Warum genau wurde sie mit Kirchenbann belegt? Was war ausschlaggebend, wirklich nur der Sachverhalt dass sie sich für die Rechte von Homosexuellen einsetzt? Und welcher Bereich ist damit gemeint? Hat sie sich für die Rechte von Homosexuellen INNERHALB der katholischen Kirche gesprochen? Und wenn das der Grund war für den Kirchenbann, dann habe ich eine weitere Frage; Setzt sich Frau Roth auch für Homosexuelle in anderen Religionsgemeinschaften und deren Institutionen ein? Weil ich davon nie etwas mitbekomme. In dem Kontext höre ich immer nur, wie sie die katholische Kirche kritisiert. Ich wäre sehr an einer Beantwortung dieser Fragen interessiert, durch frau Roth oder ihr Team. Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Schoppmeyer,
wenn Sie alles zum Hintergrund des Kirchenbanns erfahren wollen, würden wir Ihnen die Lektüre des Buchs von Claudia Roth „Das Politische ist privat - Erinnerungen für die Zukunft“ empfehlen. Im Kapitel 8 wird alles genau beschrieben. Hier die wichtigsten Punkte, die Ihre Fragen betreffen: Frau Roth war in der Zeit von 1990 bis 1998 Europaabgeordnete. Das Europaparlament befasste sich 1994 zum ersten Mal mit der Lage von Schwulen und Lesben. Sie wurde Berichterstatterin für den Report über „Gleiche Rechte für Schwule und Lesben“.
Ihr Bericht listete zum allerersten Mal umfassend alle Diskriminierungen der Schwulen und Lesben in Europa auf. Die Ergebnisse waren erschreckend und betrafen in Abstufungen jedes Land - mit Ausnahme der Niederlande. In einer langen Aufstellung listete sie die Missstände in den damaligen EU-Mitgliedsstaaten auf. Sie wurden aufgefordert, „im Zusammenwirken mit den nationalen Lesben- und Schwulenorganisationen Maßnahmen und Kampagnen zur Bekämpfung jeglicher Form der sozialen Diskriminierung von Homosexuellen einzuleiten.“ Allenthalben Verbote, Benachteiligungen, Einschränkungen von Freizügigkeit, gesellschaftliche Ächtung, hohe Suizidraten - ein wahrer Abgrund, der sich da auftat. Nachdem sie den Bericht im Innenausschuss vorgestellt hatte, kam er ins Parlament und wurde nach heftigen Debatten und Beschimpfungen angenommen. Der große Widerhall in den Medien kam allerdings erst mit Verzögerung, als der Papst sich in einer Sonntagspredigt über diesen Beschluss erregte und das Anathema verhängte, namentlich gegen Frau Roth und alle die, die den Bericht unterstützt hatten. Man erklärte ihr, dass das Anathema eine Verfluchung sei, ein mittelalterlicher Bann, der Häretiker und Sünder ohne Willen zur Umkehr verstößt und dem Zorn Gottes überantwortet. Frauen wurde er auferlegt, bevor sie als Hexe verbrannt wurden. In diesem Fall handelte es sich wohl um den „Kleinen Kirchenbann“, der die Sünder noch nicht endgültig verflucht, sondern sie nur vom Gottesdienst und den Sakramenten ausschließt. Nachdem sie dergestalt verflucht und gebannt war, begann die Auseinandersetzung auch medial. Vor allen Dingen in den katholischen Ländern wurde kontrovers über das Weltbild der Kirche diskutiert. Dank des Kirchenbanns waren nun alle gezwungen, die Worte „schwul“ und „lesbisch“ in den Mund zu nehmen und der Bann wurde zur besten Werbung für den Bericht und für das Thema insgesamt.
Wie Sie sehen, ging es hierbei um eine allgemeine und umfassende Gleichberechtigung und Gleichstellung von Andersliebenden. Die katholische Amtskirche spielte in diesem Zusammenhang eine negative Rolle in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Es ging also nicht um die Rechte von Homosexuellen innerhalb der Kirche. Selbst in der Kirche bestreitet kaum jemand die Universalität der Menschenrechte und ihre Gültigkeit auch innerhalb der Kirche. Das Gleiche gilt für alle andere Religionsgemeinschaften und Institutionen. Im Buch können Sie reichlich fündig werden.
Wir haben leider nicht die Möglichkeit und auch keine Kapazitäten, den offensichtlich einseitigen Kontext Ihrer Informationsgewinnung dauerhaft zu korrigieren. Deshalb empfehlen wir Ihnen die regelmäßige Lektüre anderer Quellen als die bisherigen.
Mit freundlichen Grüßen
Das Mitarbeiter-Team von Claudia Roth