Frage an Claudia Roth von Thomas B. bezüglich Kultur
Sehr geehrte Frau Roth,
meine Fragen beziehen sich auf die öffentliche Gesprächskultur in Deutschland bzw. Ihre persönliche Einstellung dazu. Ich gebe Ihnen Recht, wenn Sie in Einzelfällen sprachliche Entgleisungen beklagen und die Urheber dieser Äußerungen zu Entschuldigungen auffordern.
Wenn aber nun Ihnen selbst eine sprachliche Entgleisung unterlaufen ist - Sie bezeichneten den umstrittenen Augsburger Bischof als Mixa als "durchgeknallten Oberfundi" - müssten Sie sich nicht dann, Ihren eigenen Maßstäben folgend und unabhängig von der Richtigkeit (oder Nicht-Richtigkeit) Ihrer inhaltlichen Kritik an Mixa, ebenfalls entschuldigen?
Nun hat ein Sprecher des Bischofs Ihre Äußerungen mit der Propaganda gegen die katholische Kirche in der NS-Zeit verglichen. Ihre Bundesgeschäftsführerin Lemke wies derartige Vergleiche als "unverschämte Beleidigung" zurück. In der Tat könne man den Standpunkt vertreten, dass überzogene Vergleiche mit Unrechtsregimen in demokratischen Debatten nichts verloren haben. Wen dem aber so ist, dann muss man auch Folgendes bedenken: Sie selbst haben, wie Sie in einer Antwort auf die Frage eines anderen Bürgers ausführen, einmal gesagt, Bischof Mixa spiele "mit der sprachlichen Nähe zu Verbrechen von Gulag bis Pol Pot". Stellt dies nicht einen ähnlich unpassenden Vergleich dar wie die Äußerung des Sprechers von Bischof Mixa? Wie stehen Sie heute zu dieser Äußerung - würden Sie sie bei ähnlicher Gelegenheit noch einmal tätigen? Oder sehen Sie hier die Notwendigkeit einer Entschuldigung von Ihrer Seite?
Mit freundlichen Grüßen
T. Baader
Sehr geehrter Herr Baader,
bei Ihrer Beschreibung von Entgleisungen bringen Sie einiges durcheinander: ein umgangssprachlich-salopper Ausdruck kann beleidigend wirken, aber eine Entgleisung im politischen Diskurs hat meistens die Wirkung, schlimme Verbrechen und Tendenzen von Unrechtssystemen zu verharmlosen oder zu relativieren.
Der Bischof ist nicht nur in der Frage der Familienpolitik als ein fundamentalistischer Bischof aufgefallen, sondern auch als Spalter in der Ökumene und in der Gesellschaft. Er suspendiert Pfarrer wegen ökumenischen Engagements, will „Kreationismus“ im Schulunterricht – und bezeichnet diejenigen, die das aus wissenschaftlicher Verantwortung nicht wollen, als totalitär. Er rückt demokratisch gut legitimiertes rot-grünes Regierungshandeln – und inzwischen auch das einer christdemokratischen Ministerin – in die Nähe von Unrechtsregimes. Diese ständigen und bewussten sprachlichen Entgleisungen sind nicht hinnehmbar und offen zu kritisieren. Ein Bischof, der die politische Kultur eines demokratisch verfassten Landes mit Begrifflichkeiten von Unrechtssystemen vergiftet und sich politisch klar positioniert, muss auch mit massiver Kritik rechnen.
Die gleichen sprachlichen Niederungen werden betreten, wenn Mixa den Ausbau von Kinderkrippen als „staatliches Umerziehungsprogramm“ bezeichnet. Wer einmal Solschenizyn gelesen hat oder weiß, was Ende der 70er Jahre in Kambodscha geschehen ist, der kann über eine solche Wortwahl nur schockiert sein, denn dort waren wirklich „staatliche Umerziehungsprogramme“ in Kraft. Wenn Mixa die Politik für den Ausbau von Krippenplätzen schließlich als Degradierung von Frauen zu Gebärmaschinen diskreditiert, dann strahlt sein Totschlagsvokabal weithin aus in den Bereich der Kinderbetreuung. Er befürchtet, dass bessere Infrastrukturen der Kinderbetreuung Frauen dazu „verleiten“, diese dann auch zu nutzen, wodurch sie zu Gebärmaschinen reduziert würden bzw. sich zu Gebärmaschinen reduzieren ließen. In dieser Sprachlogik würden sich Erzieherinnen und Helferinnen bei der Reduzierung von Frauen zu Geburtsmaschinen mitschuldig machen. Wie weitreichend Mixas Aussage zu verstehen ist, wird auf immer Geheimnis des Bischofs bleiben – oder desjenigen, der ihm hier Zunge und Feder geführt hat. Die Wirkung seiner Worte war auf jeden Fall desaströs, sie sind bei Kirchen, Politik und Verbänden zu Recht auf scharfe Kritik gestoßen. Interessant zu wissen ist, dass die vorgebliche Wertschätzung für die erziehende Mutter und das Wohl des Kindes auch ein Argument von fundamentalistischen Herrschern im Iran ist, um Frauen an einer gleichberechtigten Partizipation am gesellschaftlichen Leben zu hindern.
Die eigentliche Kritik an diesen sprachlichen Entgleisungen ist, dass damit eine fortwährende Relativierung von Unrechtssystemen und großen Menschheitsverbrechen einhergeht. Dies werden wir weiterhin anprangern und kritisieren. Die Notwendigkeit für eine Entschuldigung besteht nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Das Mitarbeiter-Team von Claudia Roth