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Claudia Roth
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Frage von horst m. •

Frage an Claudia Roth von horst m. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

eine frage zu den uns zugemuteten zwangsgesetzen

das private insolvenzverfahren dauert in der brd 7 jahre in anderen EU staaten 1- 3 jahre , denken sie die gläubiger können in dieser zeit , in der die schuldner unter sozialhilfe niveau gepresst werden , mit großartigen rückzahlungen rechnen ? viele tausend bürger werden in diesem zusammenhang darüber hinaus noch unter strafandrohung zu abgabe einer EV erpresst .
ist ihnen das wort menschenwürde ein begriff ?ändern sie doch das grundgesetz in diesem punkt , und schreiben sie dort hinein menschenwürde ist abhängig vom einkommen und kontostand .

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Maier,

die ständige Anpassung des Insolvenzrechts an die Praxis und an die Bedürfnisse der Zeit ist wichtig. Die bundesdeutsche Marktwirtschaft bedeutet für alle Marktteilnehmenden – für Verbraucherinnen und Verbraucher ebenso wie für Unternehmerinnen und Unternehmer - das ständige Risiko, sich zu verschulden. Mit diesem Risiko der Insolvenz muss jeder leben. Wir brauchen aber Regelungen, die im Falle einer Insolvenz für alle Beteiligten eine akzeptable Situation schaffen. Den Verschuldeten muss der wirtschaftliche Neustart möglich sein, sie müssen sich in absehbarer Zeit von den Schulden lösen können. Die Gläubiger müssen darauf vertrauen können, dass sie im Fall der Insolvenz nicht gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt werden. Zudem ist ihre Erwartung berechtigt, dass die Verschuldeten sich anstrengen, um die Schulden abzubezahlen. Die Grünen im Bundestag haben sich deshalb für eine Gestaltung des Insolvenzrechts eingesetzt, das diese unterschiedlichen Bedürfnisse im Alltag und in der Praxis befriedigen kann.

Am 1. Januar 1999 ist das Konkursrecht durch ein neues Insolvenzrecht ersetzt worden. Nach über 120 Jahren - die alte Konkursordnung stammte aus dem Jahre 1871 - ging der Gesetzgeber zum Teil völlig neue Wege. Nicht mehr der Grundgedanke des wirtschaftlichen Endes von überschuldeten und zahlungsunfähigen Rechtspersonen, sondern die Idee einer zweiten Chance wurde dem neuen Insolvenzrecht zugrunde gelegt. Ein besonderer Beleg dafür ist die eingeführte Verbraucherinsolvenz. Im Jahre 2001 wurde dieser Grundgedanke mit der Ausdehnung der Regelinsolvenz auf Selbstständige und Freiberufler weitergeführt. Der Grundgedanke einer zweiten Chance ist Ausdruck eines menschenrechtlich und sozial geprägten Vorgehens. Dabei wird Menschen, die in unüberwindbare wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, ein - wenn auch schwieriger - Weg eröffnet, in Zukunft wieder am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben selbstbestimmt teilnehmen zu können. Dies geschieht nicht einseitig zulasten der Gläubiger, verschiebt aber die Gewichte zugunsten der insolventen Schuldner. Diese Folge der Reform des Konkursrechts zum Insolvenzrecht war gewollt und hat sich bis heute im Grundsatz als der richtige Weg erwiesen.

Es kann nicht ausbleiben, dass bei einem so grundsätzlichen gesetzlichen Neuanfang nach einiger Zeit der praktischen Anwendung Schwachstellen zum Vorschein kommen und Ungereimtheiten sichtbar werden. Deshalb ist es richtig, dass periodische Überprüfungen des neuen Insolvenzrechts stattfinden. Dieser Mechanismus arbeitet aber nicht immer reibungslos und braucht meistens länger als erwartet.

Gegenwärtig wird das Insolvenzrecht und insbesondere das Verfahren der Verbraucherinsolvenz reformiert. Die Bundesregierung hat dazu am 22. August dieses Jahres einen Entwurf beschlossen. Schuldner und Schuldnerinnen, denen überhaupt kein Geld zur Verfügung steht, um ihre Schulden zu begleichen, sollen anstatt wie bislang ein Insolvenzverfahren zu durchlaufen, an einem vereinfachten Entschuldungsverfahren teilnehmen und dann in die 6-jährige Wohlverhaltensperiode gehen. Wir unterstützen dieses Reformvorhaben, weil dadurch verschuldeten Privatpersonen in absehbarer Zeit ein wirtschaftlicher Neuanfang ermöglich wird. Allerdings sollen sich Schuldner und Schuldnerinnen nach eben diesen Reformplänen 6 Jahre wohl verhalten, das heißt, dass ihr Einkommen und Vermögen, das über der Pfändungsfreigrenze liegt, vollständig zur Schuldentilgung verwendet wird. Dagegen liegt der europäische Standard der Wohlverhaltensperiode bei 3 – 5 Jahren. Dass die Zeiträume und die Bedingungen in den europäischen Ländern stark variieren, ist auf unterschiedliche Rechtsprechungstraditionen zurückzuführen. Innerhalb der grünen Bundestagsfraktion wird gegenwärtig über eine Verkürzung der Wohlverhaltensperiode diskutiert. Eine Harmonisierung in diesem Bereich wird voraussichtlich Jahre dauern.

Mit freundlichen Grüßen

Im Auftrag
Ali Mahdjoubi
Wissenschaftlicher Mitarbeiter

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