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Claudia Roth
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von irmgard r. •

Frage an Claudia Roth von irmgard r. bezüglich Familie

hallo frau roth,

man liest jeden tag in der presse, dass es kinder und familien gibt, die nicht einmal genug zu essen in deutschland haben. ich finde das einen skandal!!! auf der einen seite werden rente tagtäglich angegriffen und die presse und die politiker sagen, es fehlt der nachwuchs!!! irgend etwas läuft doch falsch mit der momentanen politik!!! ich dachte immer, die jugend ist die garantie für den staat nicht zu überaltern???
kann man politikern überhaupt noch trauen????
hat der staat nicht bei jugendlichen total versagt, lehrstellenproblem, wird von jahr zu jahr brisanter, jugendkriminalität, gewalt an kindern nimmt täglich zu,ämter fühlen sich überfordert.
das leben ist was die grundnahrungsmittel anbelangt, so teuer wie nie zu vor.
WAS HABEN FAMILIEN EIGENTLICH FÜR EINE ZUKUNFT IN DEUTSCHLAND??

mfg

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Rdomiselsky,

mit Dank für Ihre Mail und für Ihr Interesse möchte ich Ihnen im Namen von Frau Claudia Roth antworten.
Natürlich haben Familien eine Zukunft in Deutschland, wenn wichtige Weichenstellungen sobald wie möglich und ohne Zeitverlust vorgenommen werden.
Diese Frage beschäftigt alle im Bundestag vertretenen Parteien. Die große Koalition, die die aktuelle Bundesregierung stellt, kann immer mit der Unterstützung der Opposition rechnen, wenn sie eine Politik der Familienförderung betreibt, die ohne ideologische Vorbehalte und frei von Lobby-Interessen ist.
Wir sind für einen massiven Ausbau der Kinderbetreuung. Aus diesem Grunde betonen wir immer wieder, dass der notwendige Ausbau eine politische Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen ist. Für kommende Mehrbelastungen ist ein gerechter Ausgleich zu finden. Ebenso ist eine direkte Finanzbeteiligung des Bundes zu prüfen und auch politisch zu klären. Die Ganztagsbetreuung von Kindern führt nicht dazu, dass Kinder „abgestellt“ werden und sich von der Familie entfernen. Externe Kinderbetreuung funktioniert nicht gegen, sondern in Ergänzung zur familiären Betreuung. Es ist erwiesen, dass auch eine ganztägige Betreuung in Einrichtungen - mit entsprechender Qualität - dem Kindeswohl entspricht. Unsere gesellschaftliche Entwicklung ist von zunehmend ausdifferenzierten Familienformen, erhöhten Mobilitätsanforderungen und der vielfachen Auflösung von Strukturen im sozialen Nahbereich gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund gewinnen die Sozialisationsleistungen von Kitas, Kindergärten und Horten enorm an Bedeutung und stellen eine Bereicherung für das kindliche Aufwachsen dar. Hier finden Kinder zusätzliche Möglichkeiten, soziale und kognitive Kompetenzen zu erwerben. Nicht selten erfahren Kinder hier eine für ihre Entwicklung unerlässliche Kontinuität, die sie zuhause vielleicht nicht vorfinden. Es gibt immer mehr Einzelkinder. Für sie bietet oftmals nur die KiTa die einzige Chance, intensiv mit Gleichaltrigen zusammen zu sein. Die Entscheidung für eine Kitabetreuung bzw. über Form und Umfang haben selbstredend die Eltern zu treffen. Der Staat kann und soll das nicht übernehmen. Er muss aber ein entsprechendes Angebot bereithalten und somit Wahlmöglichkeiten schaffen. Übrigens: wichtiger als die Frage, wie lange Kinder Zeit mit ihren Eltern verbringen, ist die, wie sie zusammen ihre Zeit gestalten. Der Ausbau von Ganztagsbetreuung bedeutet nicht - wie manchmal kritisch unterstellt wird - für alle Kinder den Zwang, ganztags in eine Einrichtung zu gehen. Vielmehr ist sie ein Angebot, das Wahlfreiheit ermöglichen soll. Die rot-grüne Bundesregierung hat nachweislich die Summe der Leistungen für Familien erhöht. Lediglich beim Erziehungsgeld ist es zu vertretbaren Kürzungen gekommen, nachdem das Familienministerium auch seinen Beitrag zu einer ressortübergreifenden Konsolidierungsrunde hat leisten müssen. Für die ersten sechs Monate Erziehungsgeldbezug wurde die sehr großzügige Einkommensgrenze abgesenkt. Das war eine nicht erfreuliche, aber vertretbare Maßnahme.
Familien in Deutschland verfügen überwiegend insgesamt über sichere materielle Verhältnisse. Kinder sind also zunächst kein Armutsrisiko an sich. Besondere Lebenslagen von Familien können jedoch zu Armut samt den vielschichtigen Folgen führen. Die Hauptursache für Armut sind in erster Linie Arbeitslosigkeit eines oder beider Elternteile, Krisen wie Trennung und Scheidung (sowie in zahlreichen Fällen nicht geleistete Unterhaltszahlungen für Kinder) und auch Niedrigeinkommen, die nicht ausreichen, um auch die Bedarfe der Kinder abzudecken. Besonders stark betroffen sind dabei allein Erziehende und Familien mit Migrationshintergrund. In diesen Fällen entstehen oftmals Armutskarrieren, also dauerhafte Armut, die nicht selten sogar noch ´vererbt´ wird.
Für Paare mit zwei Kindern ist in den vergangenen Jahren ein Rückgang der Armutsquote zu verzeichnen. Damit konnten jedoch die durch anhaltend hohe Arbeitslosigkeit bedingten Armutsfolgen nicht ausreichend kompensiert werden. Weitere, zielgenaue Maßnahmen sind notwendig. Alleinerziehenden, deren Armutsquote mit 30 Prozent konstant hoch ist, mangelt es vielfach an Möglichkeiten der Kinderbetreuung, ihnen ist damit bereits der Zugang zum Arbeitsmarkt und zu eigenem Erwerbseinkommen verwehrt. Das kann sich nur mit dem Ganztagsschulprogramm und einem flächendeckenden Ausbau der Kinderbetreuung ändern. Ferner ist eine Reform des Unterhaltsrechtes nötig, die Kinder im Unterhaltsverfahren bevorzugt behandelt. Die materielle Versorgungslage ist jedoch nur eine Facette der Armutsproblematik. Von entscheidender Bedeutung wird es sein, gerade auch Kindern aus schwierigen Verhältnissen einen zukunftsträchtigen Bildungsweg zu gewährleisten. Das gilt auch und besonders für Kinder mit Migrationshintergrund. In kaum einem vergleichbaren Land sind die Bildungs- und damit die späteren Teilhabechancen so eng mit der sozialen Herkunft verknüpft wie in Deutschland. Ohne einen gerechten Zugang zur Schlüsselressource der Zukunft bleiben die Perspektiven von Kindern in Armut überaus problematisch. Sowohl ihre Lebenskompetenzen als auch formale Schulabschlüsse werden ohne adäquate Maßnahmen und Angebote weit hinter ihre Möglichen bleiben. Auch aus diesem Grund setzen die Grünen klare Priorität auf den Ausbau der Infrastrukturen für Kinder und Familien.

Mit freundlichen Grüßen

Ali Mahdjoubi
Wissenschaftlicher Mitarbeiter

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