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Claudia Roth
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Guntram S. •

Frage an Claudia Roth von Guntram S. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Frau Roth,

vor Kurzem hörte ich, dass Bündnis90/Die Grünen bereits ein Einkommen von 80.000 Euro mit dem sogenannten "Spitzensteuersatz" belegen wollen. Dazu meine Fragen:

Ist an diesem Gerücht etwas Wahres dran?

Wenn ja: 80.000 Euro (brutto) sind heute ein Einkommen, mit dem eine Familie zwar ganz gut über die Runden kommen kann, d.h. über dem Existenzminimum liegt, aufgrund der hohen Steuerlasten durch indirekte Steuern kann man aber nicht wirklich von "Reichtum" sprechen. Halten Sie den Spitzensteuersatz auf ein "mittleres Einkommen" nicht für unangemessen?

Wäre es nicht ein viel besserer Weg, anstelle die PERSONENBEZOGENE Einkommenssteuer zu erhöhen, eine sogenannte "Automatisierungssteuer" einzuführen, d.h. Betriebe, deren Gewinne zum großen Teil nicht durch Personal, sondern durch Roboter erwirtschaftet werden (z.B. durch automatische Fertigungsstraßen) mit einer am Automatisierungsgrad orientierten Gewerbesteuer zu belegen?

Warum werden überhaupt in diesem Staat so viel Steuern verlangt?

Früher kamen die Fürsten doch auch mit "dem Zehnten" aus, selbst das war vielen Bauern zu viel.

Welche konkreten Ideen haben die Grünen, überflüssige Staatsausgaben zu REDUZIEREN, um den Bürger zu entlasten?

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Seiß,

es ist kein Gerücht, sondern basiert auf den Berichterstattungen über den Bundesparteitag von Bündnis 90/Die Grünen im November 2011 in Kiel. Auf diesem Parteitag wurde unter anderem folgender Antrag beschlossen:

http://www.gruene-partei.de/cms/default/dokbin/397/397727.solide_solidarisch_gruen_unsere_haushalt.pdf

Belastet werden durch dieses Steuermodell der Einkommensteuer alle, die über dem heutigen Spitzensteuersatz von 52880 Euro zu versteuerndes Einkommen haben, weil ab hier schon erste leichte Erhöhungen greifen. Der Spitzensteuersatz von 49% wird dann bei 80.000 Euro zu versteuerndes Einkommen erreicht. Um manche Missverständnisse zu vermeiden, muss klar gestellt werden, dass es sich hier um Grenzsteuersätze handelt, d.h. dass die 49% nur auf das Einkommen oberhalb von 80.000 Euro angewendet werden. Die ersten 8.004 Euro (Grundfreibetrag) z.B. sind auch bei Spitzenverdienern steuerfrei. Die Durchschnittsbelastung liegt bei 80.000 Euro daher im vorgesehenen Tarif bei 35% und im heutigen Tarif bei 33,5% (jeweils schon inklusive Soli). Daher beträgt die Steuererhöhung eben nicht 7%-Punkte, wie es der Grenzsteuersatzvergleich von 49% und 42% suggeriert, sondern lediglich 1,5%-Punkte. Ein zweites häufiges Missverständnis resultiert daraus, dass das zu versteuernde Einkommen mit Bruttolohn verwechselt wird. Es ergeben sich aber zum Teil beträchtliche Abzüge vom Brutto, bis man beim zu versteuernden Einkommen angelangt ist. So können Werbungskosten und Sozialversicherungsbeiträge abgesetzt werden.

Hat ein Arbeitnehmer nur die normalen Absetzungsmöglichkeiten, die jeder hat, entspricht ein zu versteuerndes Einkommen von 80.000 einem Brutto von monatlich mindestens 7.300 Euro. Zusammen mit unserer Erhöhung des Grundfreibetrags gibt es Mehrbelastungen erst bei einem zu versteuernden Einkommen von etwa 58.500 Euro. Das entspricht wiederum einem monatlichen Brutto von mindestens 5.500 Euro. Wohlgemerkt bei einem Single. Bei Verheirateten verdoppeln sich bei der heutigen Form des Ehegattensplittings die entsprechenden Beträge. In der Steuerstatistik entspricht das übrigens etwa einer Million Singles und 600.000 Paaren, die belastet würden. In der Verdienststatistik des Statistischen Bundesamtes verdienen weniger als 4% der Arbeitnehmer mehr als 5.500 Euro. Hinzu kommt, dass die Belastungen natürlich zu Beginn sehr gering sind und wie gesagt erst bei 7.300 Brutto 1,5% ausmachen. Einen Verdienst darüber hinaus haben nur etwa 1,5% aller Arbeitnehmer. Diese geringe Zahl macht deutlich, dass es sich hier nicht um die Mittelschicht handeln kann. Das DIW zählt alle, die mehr als 150% des Medianeinkommens verdienen als zur Oberschicht gehörig. Das entspricht in etwa 4.000 Euro Brutto und betrifft etwa 15% der Bevölkerung. Der größte Teil der Oberschicht wird also im grünen Steuermodell sogar noch leicht entlastet. In der Regel wird das Durchschnittseinkommen in Deutschland überschätzt. Das resultiert dann in Steuervorschlägen wie der Reichensteuer, die nicht zielführend sind, weil sie kaum zu zusätzlichen Staateinnahmen führen.

Eine Maschinen- bzw. Automatisierungssteuer vertreten wir nicht. Schon die Bemessungsgrundlage ist hier unklar und nicht einfach quantifizierbar. Die Erhebung einer wie auch immer definierten Automatisierungssteuer kann höchstwahrscheinlich nur mit einem bürokratischen Monstrum einhergehen, das dann den Sinn des Vorhabens überschatten könnte. Zudem wären die Anreizeffekte fragwürdig, da Automatisierung nicht grundsätzlich schlecht ist. Die beste Antwort auf eine Automatisierung, die durch Produktivitätssteigerung nur zur Gewinnmaximierung der Kapitalseite führt, ist die Besteuerung von Kaitaleinkommen. Das wollen wir durch die Abschaffung der ungerechten Abgeltungsteuer erreichen, die Kapitaleinkommen privilegiert. Mit dem grünen Modell der Bürgerversicherung müssen auch Kapitaleinkommen ihren adäquaten Beitrag zu Sozialversicherungen leisten.

Beim mittelalterlichen Zehnten ging es um eine Bruttobesteuerung der Einnahmen. Damit wurden 10% der Ernten eingefordert und das auch dann, wenn kein Gewinn sondern ein Verlust vorlag. Damit entsprach diese Steuer eher einer Umsatzsteuer ohne Vorsteuerabzug. Auch gab es hier keinen Grundfreibetrag wie in der Einkommensteuer. Damit war sie für die Bauern oft höher als eine Einkommensteuer von z.B. 50% und war auch dann zu zahlen, wenn die Bauern nicht einmal das eigene Existenzminimum erwirtschafteten. Hinzu kamen noch erhebliche weitere Abgaben unter anderen an die Kirche.

Mit freundlichen Grüßen

Das Mitarbeiter-Team im Bundestagsbüro

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