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Claudia Roth
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Frage von Peter M. •

Frage an Claudia Roth von Peter M. bezüglich Familie

Sehr geehrte Frau Roth,

auf eurer Internetseite findet man unter dem Thema "Lesben & Schwule" folgendes Zitat: "Das rot-grüne Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001 war eine kleine Kulturrevolution." Davon abgesehen, dass mir nicht klar ist, warum Transsexuelle und Intersexuelle unter der Kategorie "Lesben & Schwule" besprochen werden, geht mein Hauptanliegen in eine andere Richtung. Meine These ist, dass das Lebenspartnerschaftsgesetz eben KEINE Kulturrevolution war, sondern bestehende heteronormative Strukturen der Gesellschaft über die Normalisierung von gleichgeschlechtlichen Paarbeziehungen gestärkt hat. Es wurde bestätigt, dass die Ehe bzw. Lebenspartnerschaft - in Form von einer am besten lebenslangen Zweierbeziehung - als einzige legitime Form des Zusammenlebens angesehen wird, denn einen rechtlichen Rahmen für andere Beziehungsformen gibt es immer noch nicht. Dies geht an der Lebenswirklichkeit vieler Menschen vorbei.

Leider ist auf eurer Internetseite auch zu lesen (unter dem Thema Familie), dass für euch eine Familie da ist, wo Kinder sind. Reproduktion wird somit immer noch als zentrale Aufgabe von Lebensgemeinschaften angesehen. Alle anderen Formen des Zusammenlebens - beispielsweise eine Gemeinschaft von mehr als zwei Erwachsenen mit oder ohne Kinder, oder eine Gemeinschaft von Geschwistern - gelten folglich als "anders" und fallen aus dem juristischen Rahmen. Solche Beziehungen sind, besonders im Falle von Trennung oder gar Tod, somit von großer Unsicherheit geprägt.

Anstatt Paarbeziehungen weiterhin zur Norm zu erheben, gibt es andere Alternativen: Anstelle der Ehe könnte ein breiterer rechtlicher Rahmen eingeführt werden, der unterschiedlichsten individuellen Situationen gerecht wird.

Warum das Engagement der Grünen nicht weitergeht und ALLE Formen des Zusammenlebens, die ja faktisch existieren, einschließt, ist mir nicht klar.

Beste Grüße

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Müller,

Ihre Einschätzung über die Vielfalt familiärer Lebensformen teilen wir und sind der Meinung, dass die Politik die gesetzlichen Rahmenbedingungen der gesellschaftlichen Realität anzupassen hat, und nicht umgekehrt. In diesem Zusammenhang möchten wir Sie auf die folgende Passage in unserem Bundestagswahlprogramm von 2009 (S. 117) hinweisen: "Familie ist da, wo Kinder sind oder wo Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen."

Und gerade deswegen haben wir trotz Wiederstände aus allen politischen Lagern auf die Verabschiedung des Lebenspartnerschaftsgesetzes gedrängt. Der vollständige Name dieses Gesetzes lautet "Entwurf eines Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften" (BT-Drucksache 14/3751). Mit diesem Schritt, der keinen Anspruch auf die Beseitigung aller Diskriminierungen in diesem Segment hat, wollten wir, dass der Staat die gelebte Realität endlich anerkennt und homosexuelle Paare rechtlich nicht mehr ignoriert und dadurch diskriminiert. Es handelt sich hier um Anerkennung von Paarbeziehungen, die unter Schwulen und Lesben am meisten verbreitet sind. Die Einbeziehung anderer Konstellationen hätte ein komplett neues Familienrecht erforderlich gemacht, wofür es keine politischen Mehrheiten gab.
Aber mit diesem Gesetz konnten viele Lesben und Schwule ihre oft existenziellen Probleme (z.B. bei nicht-deutschen PartnerInnen) lösen - ein nicht zu unterschätzendes Verdienst diesen Gesetzes.
Und das war schon eine kleine Kulturrevolution, über die wir auf unserer Webseite schreiben. Sie bezieht sich auf die dadurch gewachsene und weiter wachsende gesellschaftliche Akzeptanz von Schwulen, Lesben und anderen „unkonventionellen“ Lebensentwürfen.
Die ersten Verpartnerungen in großen wie in kleineren Städten sorgten für mehr Sensibilität im Umgang mit diesem Thema und für mehr Aufmerksamkeit für die bis dahin verdrängten Lebensrealitäten. Viele lokale Medien haben darüber berichtet, was zum Abbau von homophoben Klischees beitragen konnte und viele Menschen zu selbstbewusstem Leben ermutigt hat. Und alle Studien nach dem Inkrafttreten diesen Gesetzes belegen, dass es der Toleranz und der Akzeptanz gegenüber Homosexuellen sehr dienlich war.

Die grüne Bundestagsfraktion setzt sich für die Anerkennung der Vielfalt verschiedener familiärer Lebensformen ein und wird sich auch in der Zukunft dafür stark machen, mit einer modernen Familienpolitik Antworten auf die sich wandelnde gesellschaftliche Realität zu finden. Auch in der laufenden Legislaturperiode arbeiten wir an neuen Konzepten, die die neuen Familienformen und Lebensentwürfe wie Regenbogenfamilien oder generationsübergreifende Verantwortungsgemeinschaften stärken sollen. das Ziel ist, den unterschiedlichen individuellen Situationen der in Deutschland lebenden Menschen gerecht zu werden.

Mit freundlichen Grüßen

Das Mitarbeiter-Team im Bundestagsbüro

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