Frage an Christoph Ahlhaus von Martin H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Moin Herr Ahlhaus!
Da Sie mitlerweile dazu übergegangen sind, an Sie gerichtete Fragen zu beantworten, bitte ich Sie, erneut zu meiner Frage vom 10.1.2005 Stellung zu nehmen:
Bitte begründen Sie, die von u.a. Ihnen vorgeschlagene zeitliche Trennung von Volksentscheiden von den allgemeinen Wahlen. Was macht Volksentscheide abseits der allgemeinen Wahlen kostengünstiger? Warum wollen Sie Eintragung und Urnenwahl nur bei amtlichen Stellen zulassen? Soll die von Ihnen und Ihren Kollegen eingebrachte Änderung der Volksgesetzgebung die erfolgreiche Durchführung von Volksentscheiden be- oder gar verhindern? Der Vorschlag erweckt den Eindruck einer knallhart kalkulierten Einschränkung der Bürgerrechte oder den Eindruck krasser Inkompetenz; was von beidem trifft zu?
Vielen Dank und mit den besten Wünschen,
Martin Hensch
Sehr geehrter Herr Hensch,
da Sie dem Senat, meinen Fraktionskollegen und mir bereits vor Beantwortung Ihrer Frage "krasse Inkompetenz" unterstellen, kann ich nicht von einem wirklichen Interesse an meiner Antwort ausgehen. Trotzdem werde und kann ich Ihnen folgende inhaltliche Antwort geben:
durch Beschluss der Bürgerschaft vom 12. November 2004 hat die Bürgerschaft den Senat ersucht, einen Gesetzesentwurf vorzulegen, der die folgenden Vorgaben berücksichtigt:
1. Bei der Durchführung von Volksbegehren wird die Eintragungsfrist um eine Woche verlängert.
2. Zur Eintragung bei Volksbegehren werden zum Schutz der Vertraulichkeit ausschließlich Einzelbogen anstelle von Eintragungslisten verwendet.
3. Eintragungen zur Unterstützung von Volksbegehren finden ausschließlich in den amtlichen Stellen statt.
4. Volksinitiatoren sind verpflichtet, die mit der Umsetzung voraussichtlich verbundenen Mehrausgaben nach Art und Höhe zu benennen und hierfür einen konkreten Deckungsvorschlag zu unterbreiten.
5. Allgemeine Wahlen und Volksentscheide werden zeitlich voneinander abgekoppelt.
6. Der Zugang zur Briefabstimmung soll erleichtert und ihre Durchführung vereinfacht werden. Volksentscheide sollen künftig nicht mehr in den bisherigen Abstimmungslokalen mit ehrenamtlichen Abstimmungsvorständen durchgeführt, sondern in bezirklichen Dienststellen durchgeführt werden.
Ziel dieses Beschlusses ist es, ein einfacheres und kostengünstigeres Volksabstimmungsverfahren in Hamburg einzuführen, das die Beteiligungsrechte der Bürger nicht einschränkt. Bislang gibt es bei der Durchführung von Volksentscheiden einen zwingenden Verweis auf das Wahlrecht zur Hamburgischen Bürgerschaft. Für einen Volksentscheid, der nicht zeitgleich mit einer allgemeinen Wahl durchgeführt werden kann, müssen bei der Durchführung eines Volksentscheides dieselben Vorkehrungen getroffen werden wie bei einer Bürgerschaftswahl. Demnach müssten ca. 1290 Wahllokale bereitgestellt, die Entschädigungen für ca. 11.000 Wahlhelfer gezahlt und Aushilfskräfte für die Bearbeitung der Briefabstimmungsanträge bereit gestellt werden.
Dem obigen Vorgaben-Katalog liegen folgende Überlegungen zu Grunde:
Zu 1. Bei der Durchführung von Volksbegehren wird die Eintragungsfrist um eine Woche verlängert. Bislang haben die Bürger die Möglichkeit, ein Volksbegehren innerhalb von 2 Wochen zu unterstützen. Dabei bleiben Unterschriftensammlungen zulässig. Das Quorum in Höhe von 10.000 Unterschriften bleibt unverändert. Wenn die Unterschriften künftig ausschließlich in öffentlichen Stellen geleistet werden können, empfiehlt sich die vorgeschlagene Verlängerung auf 3 Wochen als Kompensation.
Zu 2. Zur Eintragung bei Volksbegehren werden zum Schutz der Vertraulichkeit ausschließlich Einzelbogen anstelle von Eintragungslisten verwendet. Eintragungslisten werden durch einzelne Eintragungsformulare ersetzt werden. Eintragungslisten verhindern naturgemäß einen umfassenden Datenschutz, da Abstimmungsberechtigte bei der Eintragung erfahren, wer noch das Volksbegehren unterstützt hat. Zugleich bieten solche Eintragungsformulare die Möglichkeit, eine maschinelle Auswertung einzuführen.
Zu 3. Eintragungen zur Unterstützung von Volksbegehren finden ausschließlich in den amtlichen Stellen statt.
Seit 2001 haben die Initiatoren bei der Durchführung des Volksbegehrens die Möglichkeit, neben den zuständigen Dienststellen selbst Unterschriften zu sammeln. Diese Erweiterung hat dazu geführt, dass 95 % aller Unterschriften nicht in amtlichen Stellen abgegeben worden sind. Artikel 50 der Hamburger Verfassung schreibt jedoch vor, dass das Volksbegehren vom Senat durchzuführen ist, um ein neutrales Verfahren zu gewährleisten. 9 von 16 Bundesländer schreiben ebenfalls vor, dass die Unterschriften ausschließlich in den amtlichen Stellen zu leisten sind. Auch das bisher erfolgreichste Hamburger Volksbegehren "Für ein neues Wahlrecht" (1998) mit 200.000 Eintragungen fand ausschließlich in den Ämtern statt! Wenn Bürger eine Initiative unterstützen wollen, tun sie dies unabhängig von der Frage, wo sie ihre Unterschrift leisten müssen. Weiterhin gibt es die Möglichkeit der Briefeintragung, was bisher kaum Erwähnung fand: Rein theoretisch könnten die Initiatoren vor Ort diese Anträge verteilen und keiner müsste zu den Ämtern. Gegen die Sammlung durch Initiatoren spricht zudem, dass in der Vergangenheit häufig sozialer Druck auf die Stimmberechtigten ausgeübt wurde, zumal Stimmensammler pro Unterschrift bzw. Unterschriftsliste bezahlt wurden.
Zum Teil wird behauptet, dass eine amtliche Mitteilung über Beginn des Begehrens per Brief an alle Haushalte mit den damit verbundenen Portokosten erfolgen müsste und die Sparvorgaben insoweit unrealistisch seien. Hierbei wird übersehen, dass die Benachrichtigung über Amtlichen Anzeiger, Zeitungen, Litfasssäulen etc. kostengünstig erfolgen kann.
Zu 4. Volksinitiatoren sind verpflichtet, die mit der Umsetzung voraussichtlich verbundenen Mehrausgaben nach Art und Höhe zu benennen und hierfür einen konkreten Deckungsvorschlag zu unterbreiten. Das geltende Recht sieht lediglich vor, dass Volksinitiativen einen Deckungsvorschlag enthalten sollen. In der Praxis haben sich die Initiativen nicht an diese Vorgabe gehalten, so dass es diesbezüglich einer Konkretisierung bedarf, um die Notwendigkeit eines Deckungsvorschlages zu verdeutlichen. Gerade in Anbetracht der derzeitigen Haushaltslage sollten die Initiatoren zusätzlich allen Abstimmungsberechtigten mitteilen, welche Kosten für den öffentlichen Haushalt mit der Umsetzung der Initiative verbunden sind. Bürger, die an einem Volksentscheid teilnehmen, müssen dann auch ihrer Gesamtverantwortung als "Quasi"-Gesetzgeber gerecht werden und auch die finanziellen Folgen ihres Handels berücksichtigen.
Zu 5. Allgemeine Wahlen und Volksentscheide werden zeitlich voneinander
abgekoppelt
Volksentscheide sollen grundsätzliche von allgemeinen Wahlen abgekoppelt werden. Bislang sieht das Volksabstimmungsgesetz einen "zeitlichen Trichter" vor, so dass Volkentscheide, die eigentlich drei Monate vor bzw. bis zu einem Monat nach einer allgemeinen Wahl stattfinden würden, ebenfalls am Wahltag durchgeführt werden. Aufgrund der Vielzahl von Volksinitiativen soll eine Gleichbehandlung sämtlicher Initiativen erfolgen. Die Einführung eines solchen Koppelungsverbotes würde beide demokratischen Elemente – die Neubildung des Parlaments und den Volksentscheid - stärker zur Geltung bringen. Theoretisch hätte es am Tag der Europawahl in diesem Jahr zu drei weiteren Entscheiden kommen können (Kita, Wahlrecht und LBK), wodurch jede Initiative an Bedeutung und die allgemeinen Wahlen an Bedeutung verloren hätten. Art. 50 Hamburger Verfassung will lediglich verhindern, dass ein Entscheid kurz vor einer allgemeinen Wahl stattfindet. Durch dass neue Wahlrecht werden die ehrenamtlichen Helfer bis zu mehreren Tagen damit beschäftigt sein, die Stimmhefte auszuzählen, so dass eine weitere Belastung durch die Bearbeitung von Volksentscheiden nicht mehr zumutbar ist.
Zu 6. Der Zugang zur Briefabstimmung soll erleichtert und ihre Durchführung vereinfacht werden. Volksentscheide sollen künftig nicht mehr in den bisherigen Abstimmungslokalen mit ehrenamtlichen Abstimmungsvorständen durchgeführt, sondern in bezirklichen Dienststellen durchgeführt werden. Um die Briefwahl effizienter zu gestalten, könnte auf die Auszählung in Abstimmungslokalen mit ehrenamtlichen Abstimmungshelfern und Vorständen verzichtet werden. Die Abstimmungsunterlagen könnten dazu zusammen mit der ohnehin erforderlichen amtlichen Information über den Gegenstand des Volksentscheides allen Abstimmungsberechtigten zugesandt werden. Diese erhielten die Möglichkeit der Inanspruchnahme der portofreien Briefabstimmung. Damit würde das Antragsverfahren zur Briefabstimmung entfallen. Dieses vorgeschlagene Verfahren hat sich bei der Durchführung des Bürgerentscheides auf Bezirksebene bereits bewährt.
Im Ergebnis lässt sich feststellen:
* Die Volksgesetzgebung wird weder faktisch abgeschafft noch erschwert.
* Es bleibt bei der Dreistufigkeit (Initiative /Begehren /Entscheid).
* Im Ländervergleich hat Hamburg weiterhin die niedrigsten Quoren.
* Das neue Verfahren spart pro Volksentscheid ca. 0,58 Mio. Euro.
* Die Stimmberechtigten erhalten zusätzliche Informationen über die Kosten,
die mit ihrer Entscheidung verbunden sind.
* Datenschutzrechtlichen Belangen wird verstärkt Rechnung getragen.
* Vereinfachtes Verfahren bei der Briefabstimmung.
Ich hoffe, Ihnen mit der ausführlichen Darlegung der Gründe für eine Änderung der Volksgesetzgebung weitergeholfen zu haben. Aus meiner Sicht werden wir auch nach der Gesetzesänderung eine lebhafte und erfolgreiche Volksgesetzgebung in Hamburg haben.
Mit freundlichen Grüßen
Christoph Ahlhaus MdHB