Frage an Christine Buchholz von Ralf B. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrte Frau Buchholz,
seit 2009 haben sie als friedenspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag für den Rückzug der Bundeswehr u.a. aus Afghanistan gekämpft. Am 27. Februar 2012 stellten sie und einige ihrer Fraktionskollegen einen Antrag im Bundestag "Für eine kostenfreie und umfassende Betreuung im Einsatz" (BT 17/8795), in der sie die "Aufhebung der bisherigen Zeitbegrenzung (der Internetnutzung) von 30 Minuten täglich" fordern.
Wieso meinen Sie, es der Bundeswehr dort angenehmer machen zu müssen und den Berufs-werbern der Bundeswehr einige zusätzliche Argumente bieten zu müssen, um Nachwuchs als Zeitsoldaten bei der Bundeswehr zu rekrutieren ?
mit freundlichem Gruß
Sehr geehrter Herr Bertram,
in dem von Ihnen genannten Antrag ging es nicht darum, der Bundeswehr die Kriegsführung in Afghanistan zu erleichtern. Die LINKE forderte „sicherzustellen, dass die Soldatinnen und Soldaten offen und sicher über ihre Erlebnisse im Einsatz berichten können und dabei im Einklang mit dem Brief-, Post-und Fernmeldegeheimnis aus Artikel 10 des Grundgesetzes keiner Überwachung unterliegen.“
Das Recht, frei und unüberwacht aus dem Kriegsgebiet zu berichten, darf weder durch Repressionsmaßnahmen oder Zensur eingeschränkt werden. Genausowenig sollte der freie Austausch in die Heimat über die Situation vor Ort durch finanzielle Belastungen unterbunden werden.
Genau dies war aber die Situation. Zum Zeitpunkt unseres Antrages standen einem Soldaten pro Tag weniger als 5 Freiminuten für Telefonate nach Deutschland zu. Darüber hinaus fallen teure Gebühren an. Bis heute existieren praktisch keine Möglichkeiten, ungestört zu telefonieren, denn stets hören andere Soldaten oder der militärische Geheimdienst MAD zu, wenn sie mit engen Verwandten oder anderen in der Heimat reden. Um diese Praxis zu beenden, fordert die Linke in dem Antrag praktische Maßnahmen wie einen kostenlosen Internetzugang.
Die Forderung nach kostenlosen Internetverbindungen deckt sich nicht mit den Interessen der Bundeswehrführung. Im Gegenteil. Militärische Apparate leben davon, dass sie Menschen isolieren. Das ermöglicht die Kontrolle von Informationen und Bildern, die nach draußen gehen.
Die Abschirmung der Soldaten soll auch den Korpsgeist stärken. Der ist nötig, damit sich Menschen unmenschlich verhalten, sprich auf andere schießen. Wer am Abend mit seiner Familie, mit seiner Partnerin und seinen Kindern telefoniert, der hat am nächsten Morgen meist nicht ganz so schnell vergessen, dass schießen und töten nicht normal ist. Es gibt zwar Soldaten, die Erfahrungswelten abspalten können – die sich abends mit ihren eigenen Kindern unterhalten, und am nächsten Tag auf andere schießen können. Aber es steht außer Frage, dass der Kontakt zur eigenen Familie diesem Prozess entgegenwirkt.
Wer von seinem Sohn jeden Abend am Telefon gefragt wird: „Wann kommst du endlich nach Hause?“, der wird die Heimkehr noch sehnlicher herbeiwünschen und sich häufiger die Frage nach dem Sinn und Unsinn dieses Krieges stellen. Er wird seinen Auslandseinsatz eher in Frage stellen, als derjenige, der die Stimmung zu Hause gar nicht mitbekommt. Der freie und ungestörte Internetzugang fördert nicht die Kampfmoral, er dämpft diese.
Genau, weil der Kontakt mit Alltagsnormalität den militärischen Ablauf stört, wird er in jeder Armee streng kontrolliert.
Freier Internetzugang im Auslandseinsatz ist kein Privileg. Jeder deutsche Mitarbeiter einer Durchführungsorganisation der Entwicklungszusammenarbeit hat ihn. Die hohen Offiziere haben ihn. Warum wird dieses Recht ausgerechnet jenen verweigert, die ganz unten in der Hierarchieebene stehen?
Wenn es nach dem Willen der Kriegsparteien im Bundestag oder der Generalität geht, sollen aus Soldaten Mörder gemacht werden. Viele von ihnen sind völlig naiv, bevor sie sich auf den Auslandseinsatz einlassen. Aber der Krieg verändert sie. Deshalb sind Soldaten auch potentielle Verweigerer, Deserteure und Kronzeugen gegen den Wahnsinn des Krieges.
Hier setzt die Linke an. Widerstand und Verweigerung setzen Reflektionsprozesse beim einzelnen Soldaten voraus. Sie setzen voraus, dass sie sich nicht nur isoliert in der Militärmaschinerie aufhalten. Sondern, dass sich mit anderen Soldaten unterhalten, aber auch und vor allem mit Menschen, denen sie ihre Zweifel und Unsicherheiten erzählen können. Das können Ehepartner oder die eigenen Eltern sein. Wer seinen Nächsten über die ungeschönte Realität berichten kann, trägt selten zur Glorifizierung eines Krieges bei.
Darum ging es im Kern in unserem Antrag. Wir vergessen darüber nicht, dass die Hauptlast des Krieges nicht die einfachen deutschen Soldaten, sondern die afghanischen Familien tragen. Deshalb waren ich bei den Opfern des Kundus-Bombardements im Jahr 2009 und haben über deren Schicksal auf ungezählten Veranstaltungen gesprochen. Wir haben 2010 im Bundestag die Namen der afghanischen Opfer hochgehalten und wurden deshalb aus dem Saal verwiesen. Wir haben dazu die Proteste gegen die Afghanistankonferenz in Bonn im Dezember 2011 mit organisiert. Und wir haben stets gegen die Verlängerung des ISAF-Mandats gestimmt, in dessen Rahmen die Bundeswehr sich am Krieg in Afghanistan ausübt. Der Antrag für das Recht auf eine umfassende, unkontrollierte und kostenlose Betreuungskommunikation fügt sich ein in diese Aktivitäten, die allesamt gegen den Krieg und seine Logik gerichtet sind.
Mit freundlichen Grüßen,
Christine Buchholz