Frage an Christian R.M. Lucks von Ingrid E. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Hallo,
für mich wird die Frage der Volksabstimmung immer wichtiger!
Sie gibt eine Lösung für den Unmut der BürgerInnen, die sich endlich als eigenverantwortlich Handelnde einbringen wollen.
Ich verstehe das als ein Grundrecht.
Wie stehen Sie dazu?
MfG
I. E.
Moin Frau E.,
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich bin grundsätzlich der Auffassung, dass die Begründer unseres
Grundgesetzes mit der Entscheidung für eine Repräsentative Demokratie, die richtige Wahl getroffen haben. Politik ist ein System zum Verhandeln von Interessen für eine Gesellschaft. Dies geschieht in repräsentativen Demokratien durch gewählte Vertreter, die sich für mehrere Jahre für diese Aufgabe zur Verfügung stellen, von der Mehrheit der Bürger gewählt oder nicht gewählt werden und sich nach Ablauf der Wahlperiode wieder zur Wahl stellen oder nicht.
Dies hat sich insbesondere in Deutschland bewährt. Durch die starke Verschränkung und Verflechtung der politischen Ebenen erfolgt eine sehr starke Kontrolle der Politik. Die führt zu einer sehr konsensorientierten Politik, die sich für Deutschland bewährt hat, auch wenn man nicht immer mit den Ergebnissen zufrieden ist. Unsere auf dem Grundgesetz basierende Demokratie ist das fairste, am längsten und verlässlichste funktionierende Politischen System, das wir in Deutschland je erlebt haben. Insbesondere die alltäglichen Entscheidungen, die die gewählten Regierungen treffen, sind so auch praktikabel und verlässlich. Dies gilt insbesondere bei Fragen, bei denen derzeit auch keine Plebiszite zugelassen sind, wie dem Haushaltsrecht.
Ich bin jedoch der Auffassung, das zu bestimmten Grundsatzfragen Volksabstimmungen auch auf Ebene des Bundes sinnvoll sein könnten. Jedoch nicht in jeder Sachfrage, wie es Ihr Verein "Mehr Demokratie e.V." verlangt. Schon gar nicht zu alltäglichem Regierungshandeln, was ja durch Internet-Abstimmungen theoretisch möglich wäre. Über eine moderate Absenkung des Quorums von Plebiziten bin ich ebenfalls bereit zu diskutieren. Aber ein Quorum macht meiner Meinung nach Sinn.
In Zeiten von Sozialen Medien, Propaganda, Falschmeldungen (#FakeNews) und Empörungswellen (#shitstorms), die auch durch fremde Mächte oder bestimmte Interessengruppen initiiert und dominiert werden (können), bestünde bei generellen Volksabstimmungen zudem die Gefahr, dass durch spontane Stimmungen in der Öffentlichen Meinung Entscheidungen getroffen werden. Das würde die Kontrolle der Politik nicht verbessern, sondern sie aushebeln.
Unsere Demokratie ist nicht perfekt. Sie lebt schliesslich auch von den in ihr aktiven Menschen, die sich einbringen und für Ihre oder andere Interessen einsetzen. Das Problem ist nicht die mangelnde Mitbestimmung am politischen System, sondern dass sich in Deutschland zu wenige Menschen am politischen System beteiligen, so wie Sie und ich es tun. Nur ca. 1,6% der wahlberechtigten Bevölkerung ist in politischen Parteien engagiert. Darin liegt der Kern des Problems. Denn das Grundgesetz delegiert die Aufgabe der politischen Willensbildung in Artikel 21 an die Parteien: "1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. (...)"
Ich teile daher Ihre bzw. die Auffassung ihres Interessenvereins "Mehr Demokratie" nicht, dass Volksabstimmungen "(...) eine Lösung für den Unmut der BürgerInnen [sind], die sich endlich als eigenverantwortlich Handelnde einbringen wollen."
Nein, Demokratie lebt vom mitmachen! Wer unzufrieden
Mit der Politik ist, sollte sich einer Wählergemeinschaft, Partei, Nichtregierungsorganisation oder anderen Interessengruppen anschließen und hier durch seine/ihre Stimme und Argumente dazu beitragen, dass sich Meinungen in politisches Handeln und Gesetze umwandeln. DAS ist ein Grundrecht, welches aber dazu verpflichtet, sich selber einzubringen (Eigenverantwortung). Dazu sind in Deutschland leider zu wenige Menschen bereit.
Dennoch glaube ich: Volksabstimmungen zu bestimmten Sachfragen könnten eine Bereicherung für das politische System sein. Sie sind aber nicht das Allheilmittel und nur begrenzt sinnvoll. Um das zu ermöglichen, muss ein entsprechendes Gesetz eingeführt werden, um diese Möglichkeit der Beteiligung in bestimmten Sachfragen zu ermöglichen. Das würde ich auch unterstützen.
Mit freundlichem Gruß,
Christian Lucks