Frage an Christian Lindner von Jacob B. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Lindner,
was gedenken sie zu tun, um zu verhindern, dass Millionen jüngere Bürger das Vertrauen in die Bundesregierung und die Politik verlieren, wenn sie weiterhin Grundrechtseinschränkungen unterworfen sind, wohingegen andere bereits von diesen befreit sind, ohne dass sie diese Situation abändern könnten? Wie wollen sie mit einer drohenden Zweiklassengesellschaft auf Zeit und dem sozialen Sprengstoff, der diese in sich birgt, umgehen?
Mit freundlichen Grüßen
Jacob Brinkmöller
Sehr geehrter Herr Brinkmöller,
vielen Dank für Ihre Frage.
Die Rücknahme von Grundrechtseinschränkungen für vollständig Geimpfte und Genesene ist keine Angelegenheit der politisch-gesellschaftlichen Abwägung, sondern ein Gebot unseres Grundgesetzes. Im Staat des Grundgesetzes muss jeder individuelle Grundrechtseingriff begründet sein. Wo diese Begründung nicht mehr gegeben ist, muss auch die Beschränkung von Freiheits- und Bürgerrechten entfallen. Bei Geimpften und Genesenen wissen wir inzwischen, dass sie nicht mehr in relevantem Maße zum Infektionsgeschehen beitragen können und auch selbst einen hohen Schutz vor dem Corona-Virus genießen. Grundrechtseingriffe entbehren hier also einer notwendigen Grundlage. Dass für Geimpfte und Genesene Kontaktbeschränkungen aufrechterhalten werden und ihnen die Teilhabe am öffentlichen Leben verwehrt wird, ist mit unserem Grundgesetz schlicht nicht vereinbar.
Sehr wohl sind wir uns aber bewusst, wie groß die soziale Sprengkraft ist, die dieser Debatte innewohnt. Es ist bezeichnend, dass diese wichtige und sensible Debatte wochenlang von der Bundesregierung ausgeblendet und nun - viel zu spät als nötig - heruntergebrochen wird.
Klar ist schließlich auch: Grundrechte treten nicht erst mit einer Impfung in Kraft. Auch ein potenzielles Infektionsrisiko entzieht ihnen nicht einfach die Grundlage. Wo immer Beschränkungen nicht mehr zwingend notwendig sind und durch technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt mildere Mittel zur Verfügung stehen, müssen auch für nicht geimpfte Personen kontrollierte Öffnungen möglich sein. In den FDP-regierten Bundesländern Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ist die Außengastronomie schon seit Wochen in bestimmten Modellregionen geöffnet, sofern Gäste ein negatives Testergebnis vorweisen können. Dieser Weg hat sich bewährt, ein problematischer Einfluss auf das Infektionsgeschehen ist nicht erkennbar. Daher sollte außerhalb von Hotspots in ganz Deutschland gelten: Für Geimpfte, Genesene und negativ Getestete sollten Gastronomie, Hotellerie und Handel genauso wie Theater, Museen, Kinos und Sportstätten mit wirksamen Hygienekonzepten öffnen dürfen.
Darüber hinaus sind viele der vom neuen Infektionsschutzgesetz vorgesehenen Maßnahmen – insbesondere die pauschale Ausgangssperre – ganz unabhängig vom Impfstatus der Betroffenen nicht verhältnismäßig. Daher haben alle 80 Abgeordneten unserer Fraktion gegen das Gesetz eine Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe eingereicht.
Über unseren aktuellen Kurs in der Corona-Krise habe ich übrigens erst kürzlich mit der „Heilbronner Stimme“ gesprochen: https://www.christian-lindner.de/interviews/wir-wollen-teil-einer-modernisierungskoalition-sein
Seien Sie versichert, dass wir uns auch weiterhin mit aller Konsequenz für maßvolle und zielgerichtete Maßnahmen sowie den Schutz von Grund- und Freiheitsrechten einsetzen werden – sowohl für Geimpfte und Genese als auch für alle anderen Bürgerinnen und Bürger jeder Generation, wann immer bestehende Regeln nicht mehr verhältnismäßig sind.
Freundliche Grüße
Christian Lindner