Frage an Christian Lindner von Marco R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Lindner,
ich kann Ihre Position zu Corona Impfungen nicht wirklich verstehen:
Im Interview mit dem Focus vom 10.12.2020
(Link: https://www.focus.de/politik/deutschland/focus-online-interview-lindner-lehnt-sonderrechte-fuer-geimpfte-ab-keine-zwei-klassen-gesellschaft_id_12755496.html)
werden Sie folgendermaßen zitiert:
"Wir wollen keine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Sonderrechte für Geimpfte und diejenigen, die die Krankheit schon durchlebt haben, lehne ich ab."
In einer aktuellen Nachricht mit der Überschrift:
"Lindner dringt auf Ausübung der Grundrechte für Geimpfte"
Link(https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/innenpolitik/id_89403236/fdp-chef-lindner-fordert-gebt-geimpften-die-grundrechte-zurueck-.html)
werden Sie folgendermaßen zitiert:
"Man könne die Freiheitsbeschränkungen schlecht in Kraft lassen, bis die letzte Person, die geimpft werden möchte, sich hat impfen lassen."
...und weiter...
"Wir respektieren, dass jemand sich nicht impfen lassen will, dann sind aber auch individuell Konsequenzen zu tragen."
Wie bringen Sie denn die beiden Aussagen zusammen?
Sie wünschen zunächst keine Sonderrechte für Geimpfte um eine Zwei-Klassen-Gesellschaft zu vermeiden, aber drei Monate später möchten Sie Freiheitsbeschränkungen für Geimpfte möglichst schnell aufheben? Bitte erklären Sie mir den Widerspruch.
Vielen Dank.
Sehr geehrter Herr Rosenkranz,
vielen Dank für Ihre Nachricht. Als Politiker behalte ich mir vor, meinen Standpunkt zu ändern, wenn mich andere Argumente mehr überzeugen. Gerne stelle ich Ihnen die Gedankengänge dar, die zu meiner Meinungsänderung geführt haben.
Grundsätzlich muss feststehen, dass von Geimpften keine Infektionsgefahr ausgeht. Das ist die Grundprämisse für die weiteren Überlegungen.
Die Frage nach den Rechten Geimpfter ist eine schwierige ethische Abwägung, die sozialen Sprengstoff birgt. Wichtig ist mir dabei, dass es nicht um „Sonderrechte“ oder „Privilegien“ geht, sondern um derzeit eingeschränkte Grundrechte. Selbstverständlich gelten die Grundrechte aber für alle – unabhängig vom Impfstatus. Wir sprechen hier maximal von einer Übergangszeit. Für mich – ebenso wie für den Ethikrat - überwiegt: Die derzeitigen drastischen Freiheitseinschränkungen sind mit dem Gesundheitsschutz begründet. Wenn von Geimpften keine Infektionsgefahr mehr ausgeht, kann das für diese Personengruppe keine Rechtfertigung sein. Hier weiter grundsätzlich Grundrechte einzuschränken wäre unverhältnismäßig. Auch aus Solidarität können die Freiheitsbeschränkungen nicht für alle gleich aufrecht erhalten werden: Unser Grundgesetz verlangt, dass wesentlich Ungleiches ungleich behandelt wird – und nicht „Gleichheit im Elend“. Es wäre nicht angemessen, mit der Beendigung der Grundrechtseinschränkungen zu warten, bis auch der letzten Person ein Impfangebot gemacht wurde. Das würde absehbar Millionen von Menschen über Monate ungerechtfertigt von der Ausübung ihrer Freiheitsrechte abhalten.
Meinen Gedankengang habe ich auf Facebook (https://www.facebook.com/watch/?v=3018068621761099) und bei Instagram (https://www.instagram.com/tv/CK3jtEIJU0C) auch nochmal ausführlicher erklärt.
Der schleppende Impfprozess, ebenso wie die Gefahr, dass die Impfungen bei zukünftigen Mutationen nur eingeschränkt wirksam sein könnten, zeigt uns aber auch: Wir müssen unabhängig vom Impfen an einer Strategie arbeiten, die weitergehende Öffnungen für alle erlaubt. Unsere Bundestagsfraktion hat dazu einen Stufenplan vorgelegt: www.fdpbt.de/stufenplan. Das müssen wir mit weiteren innovativen Instrumenten kombinieren - zum Beispiel mit Schnelltests zum Eigengebrauch, Luftfiltern und einer verbesserten Corona-App. Auf diesem Weg könnten wir aus dem Lockdown ausbrechen und die derzeitigen Einschränkungen der Freiheit schrittweise abbauen.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Lindner