Frage an Christian Lindner von Anna S. bezüglich Digitale Agenda
Sehr geehrter Herr Lindner,
Nach meinem Verständnis ist ein Hauptanliegen der FDP die Digitalisierung, die verstärkte Nutzung und der Ausbau digitaler Infrastruktur in allen Bereichen des Lebens. Gleichzeitig ist aber ein wohl noch größeres Anliegen der FDP die Freiheit des Marktes, zu der entscheidend beiträgt, dass Monopole vermieden und Wettbewerb ermöglicht werden.
Die aktuelle Situation ist aber doch die, dass einzelne, insbesondere US-amerikanische, Unternehmen die verschiedenen Branchen der digitalen Welt letztlich für sich in Anspruch genommen haben. Konkurrenz wird strukturell unterbunden, beispielsweise durch das Aufkaufen potentiell vielversprechender Mitbewerber, etwa durch Facebook. Die Dominanz dieser Unternehmen ist ein noch größeres Problem, bedenkt man, wie viel manipulatives Potential soziale Plattformen bieten oder wie wichtig eine vor Angriffen geschützte Infrastruktur ist.
Wie stehen Sie zu diesem Widerspruch und was unternehmen Sie, um ihm entgegenzuwirken? Wie lässt sich Digitalisierung in Einklang bringen mit den Werten unserer Demokratie und einem freien Markt?
Auf das Thema aufmerksam gemacht hat mich ein Artikel der Süddeutschen Zeitung (Nr. 160, Dienstag, 14. Juli 2020, S. 9), in dem das Grundsatzpapier „European Public Sphere – Gestaltung der Digitalen Souveränität Europas“ (www.acatech.de/european-public-sphere) vorgestellt und diskutiert wird. Mich würde auch interessieren, wie Sie zu den in diesem Grundsatzpapier vorgetragenen Forderungen stehen.
Vielen Dank für Ihre Antwort!
Mit freundlichen Grüßen,
A. S.
Sehr geehrte Frau Schmitt,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage und den Hinweis auf den interessanten Artikel.
Digitalisierung, individuelle Freiheit und marktwirtschaftliche Ordnung schließen sich nicht aus. Im Gegenteil ermöglicht Digitalisierung an vielen Stellen individuelle Freiheit (beispielsweise in der Kommunikation) und erhöht die Transparenz am Markt (zum Beispiel durch Vergleichs- und Bewertungsportale).
In der Tat nehmen wir aber wahr, dass es bei den jeweiligen Anbietern der Dienste häufig zu Oligopol-Strukturen kommt und einzelne Marktteilnehmer (wie etwa Facebook, Amazon, Microsoft etc.) eine enorme Marktmacht auf sich konzentrieren. Machtkonzentrationen bei einzelnen marktbeherrschenden Unternehmen können wettbewerbsgefährdend sein und damit die gesellschaftliche Wohlfahrt mindern - und jenen Unternehmen auch einen unverhältnismäßigen Einfluss auf die Entwicklung unserer Gesellschaft geben. Die Größe der Unternehmen allein sollte aber in ihrer Behandlung nicht ausschlaggebend sein. Wichtig ist, den Missbrauch dieser Stellung gegenüber Wettbewerbern und Kunden zu vermeiden. Um dies zu gewährleisten, haben wir bereits eine Reihe von rechtlichen Werkzeugen, die uns erlauben einzugreifen, wenn Marktkonzentration zu problematischen Resultaten führt. Die wichtigsten Instrumente sind in diesem Zusammenhang das Kartellverbot und das Missbrauchsverbot. Im Rahmen einer modernen Wettbewerbspolitik sollten diese gestärkt werden. Mit ihnen kann, falls nötig, rechtlich gegen Unternehmen vorgegangen werden. Dass auch die großen Tech-Konzerne nicht über dem Recht stehen, hat jüngst das Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum sogenannten transnationalen "Privacy Shield" - nach einer Klage des renommierten Datenschutzaktivisten Max Schrems gegen Facebook - wieder unter Beweis gestellt. Aufgrund derartiger Urteile beginnen US-Amerikanische Cloud-Anbieter wie Google, Amazon, oder Microsoft nun zunehmend, Datenzentren in Europa aufzubauen. Dazu habe ich mich übrigens persönlich gerade sehr intensiv mit Max Schrems ausgetauscht. Das Gespräch wird ab Ende September als Podcast zu hören sein: https://www.christian-lindner.de/podcast
Klar ist: Europa muss eigene Standards setzen, damit sich die Digitalwirtschaft in den kommenden Jahren in Einklang mit marktwirtschaftlichen Prinzipien entwickelt und die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger vergrößert, statt sie durch die Konzentration von Marktmacht einzuengen. Ein "digitaler Protektionismus", wie ihn die Trump-Administration in den USA gegenüber China (Stichwort "TikTok") betreibt, kann dabei allerdings keine Lösung sein. Umso wichtiger ist es, starke Rahmenbedingungen zu schaffen, damit auch in der Digitalwirtschaft internationale Märkte offengehalten werden können.
Freundliche Grüße
Christian Lindner