Frage an Christian Lindner von Jochen H. bezüglich Staat und Verwaltung
Hallo Herr Lindner,
Am 18. 3. hat das Landegericht Bonn über die Cum-Ex-Geschäfte sein Urteil verkündet. Cum-Ex-Geschäfte sind illegal und strafbar. Es wurde ein Steuerschaden in Höhe von insgesamt mehr als 400 Millionen Euro für den deutschen Staat festgestellt. In der Kanzlei Shearman & Stirling, in der Stephan Harbarth zunächst Anwalt und dann Miteigentümer war, wurde der größte Steuerbetrug der deutschen Geschichte, der Cum-Ex-Milliarden-Trick, zur juristischen Reife gebracht. Dieser Mann soll Bundesverfassungspräsident werden? Das ist wäre Skandal.
Wie stehen Sie zur möglichen Wahl von Herrn Stephan Harbarth zum Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts?
Aus meiner Sicht wäre das ein unglaublicher Vorgang,praktisch:"Der Bock zum Gärtner gemacht".
Werden Sie ihn wählen?
mit freundlichen Grüßen,
J.Hahn
Sehr geehrter Herr Hahn,
haben Sie vielen Dank für Ihre Frage.
Die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts sind in Ihrer Rechtsprechung unabhängig und wachen über die Einhaltung des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschlands. An ihre Rechtsprechung sind alle übrigen Staatsorgane gebunden. Zwar hat die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts auch politische Wirkung, allerdings ist das Gericht kein politisches Organ und hält sich in seiner Rechtsfindung ausschließlich an das Grundgesetz. Fragen der politischen Zweckmäßigkeit dürfen für das Gericht keine Rolle spielen. Es bestimmt nur den verfassungsrechtlichen Rahmen, innerhalb dessen sich die Politik entfalten kann. Die Begrenzung staatlicher Macht ist ein Kennzeichen des modernen demokratischen Verfassungsstaates.
Die neuen Richterinnen und Richter kommen in einen Kontext hinein, der von denjenigen geprägt ist, die vor ihnen da waren. Es finden sich Arbeitsformen, Abläufe, Gepflogenheiten, Beratungsstile, Umgangsweisen vor. All das ist zwar änderbar, allerdings nicht sofort und nicht auf einmal. Für das Gericht ist es kein Novum, dass ein Richter, der vorher ein politisches Amt innehatte, nun das Amt des Präsidenten bekleidet (Ernst Benda, Roman Herzog und Jutta Limbach). Ernst Benda war immerhin Bundesinnenminister und wurde aus ex-post-Betrachtung ein hervorragender Verfassungsgerichtspräsident.
Die Amtszeit des gegenwärtigen Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Herrn Andreas Voßkuhle endet zum kommenden Monat. Es ist zwar nicht zwingend, aber üblich, dass der Vizepräsident zum Präsidenten aufsteigt. Für die Wahl des Präsidenten ist bei dieser Wahl der Bundesrat zuständig. Herr Stephan Harbarth ist ohne Frage erfahrener Jurist, der fachlich in jeder Hinsicht würdig für das Bundesverfassungsgericht ist. An seiner Neutralität zweifeln wir als Freie Demokraten im Deutschen Bundestag nicht.
Die Bedeutung der richterlichen Neutralität ist immens für unsere Demokratie, aber auch die Pluralität des Gerichts ist wichtig. Bei der Neutralität geht es um die Unparteilichkeit der Richter, bei der Pluralität um die Vielfalt der Gesichtspunkte. Die Pluralität ergibt sich aus den unterschiedlichen Berufsprägungen, aber auch aus unterschiedlichen Grundeinstellungen und Lebenserfahrungen. Das Risiko für die Neutralität ist bei ehemaligen Politikern nicht größer als bei allen anderen Richtern: Ein Richter, der zuvor an einem obersten Bundesgericht tätig war, kann jederzeit in Karlsruhe mit einem Urteil seines früheren Gerichts konfrontiert werden, an dem er mitgewirkt hat. Ein Professor kann eine Angelegenheit, die nun in Karlsruhe zu entscheiden ist, begutachtet haben.
Durch diese Pluralität der Richterinnen und Richter kann das Gericht eine ausgewogene und durchdachte Rechtsfindung durch die Beratungen gestalten. Herr Stephan Harbarth hat bereits durch die Entscheidung zur Hartz-IV Sanktionen bewiesen, dass er neutral über die Einhaltung des Grundgesetzes wachen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Lindner