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Christian Lindner
FDP
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Frage von Peter E. •

Frage an Christian Lindner von Peter E. bezüglich Bundestag

Laut diverser Medien, u.a. Der Stern, hat die FDP dem Infektionsschutzgesetz zugestimmt. Einem Gesetz, das dem Ministerium für Gesundheit weitgehenden Spielraum bietet, ohne den demokratischen Filter des Parlaments zu nutzen. Damit hat das Parlament sich selbst entmächtigt, was zutiefst der Grundidee einer parlamentarischen Demokratie widerspricht. Und der Idee einer liberalen Partei, die eher für die Grundrechte eintreten sollte statt sie abzuwählen. Von der Partei von Gerhart Baum und Burkhard Hirsch, hätte ich dies nie erwartet und es erschüttert mich bis ins Mark, dass sowas passieren kann. Was hat euch dazu veranlasst so einen Schritt zu gehen?

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Ehlers,

von einer Entmachtung des Parlaments kann keine Rede sein. Selbst als Oppositionsfraktion übernehmen wir Freie Demokraten tagtägliche staatspolitische Verantwortung.

Zum einen nehmen wir unsere Rolle als kritisches Korrektiv im Deutschen Bundestag wahr: Bei der beschlossenen – und aus unserer Sicht ebenfalls gebotenen – Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes haben wir als Freie Demokraten erreicht, dass die Mitwirkungsrechte des Parlaments erheblich gestärkt wurden und dass das Gesetz ist auf ein Jahr befristet ist. Auch die verpflichtende Handyortung, die Minister Spahn ursprünglich vorschlug, konnte unter anderem durch uns verhindert werden. Zudem haben wir im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation schon zu einem frühen Zeitpunkt das zögerliche Verhalten der Bundesregierung kritisiert und mit unseren konstruktiven Konzepten zur Stärkung der Wirtschaft erkennbar zur Beschleunigung der Bereitstellung von Unterstützungsleistungen für Unternehmen beigetragen.

Zum anderen war es ein Gebot der Stunde, den historischen Maßnahmenpaketen zur Bekämpfung des Corona-Virus am 25. März 2020 zuzustimmen. Denn: Zu Beginn der Pandemie war wenig über das neuartige Virus SARS-CoV-2 oder die Lungenkrankheit COVID-19 bekannt. Da es bis dato keine wissenschaftlich gesicherte Gegenstrategie im Umgang mit dem Virus gab, wurde das öffentliche und wirtschaftliche Leben - entsprechend des Vorsichtsprinzips - heruntergefahren. Die Ausbreitung der Pandemie musste verlangsamt werden, um unser Gesundheitssystem nicht zu überfordern. Zustände wie in den Krankenhäusern in Bergamo mussten um jeden Preis verhindert werden.

Die tiefen Eingriffe in unsere Grundfreiheiten, die die Corona-Maßnahmen mit sich brachten, sind für uns Liberale geradezu unerträglich sind. Das habe ich bereits in der vereinbarten Plenardebatte zur Bewältigung der Corona-Krise - also am Tag der Verabschiedung der Maßnahmenpakete - deutlich gemacht (https://dbtg.tv/fvid/7435598). Schon damals war klar: Die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen muss jeden Tags aufs Neue gestellt werden. Der "Corona-Shutdown" darf keine Minute länger andauern als nötig. Die Einschränkung von Grundrechten muss im demokratischen Rechtsstaat schließlich begründet werden.

Gegenwärtig wird diese Frage der Verhältnismäßigkeit immer lauter. Denn die Lage ist heute eine andere als noch vor ein paar Wochen: Zum einen liegen neue wissenschaftliche Erkenntnisse über das Virus vor, zum anderen werden Versorgungslücken in unserem Gesundheitssystem sukzessive geschlossen. Das schwarz-gelb regierte Nordrhein-Westfalen erarbeitet mithilfe einer Expertenkommission bereits einen Fahrplan für ein schrittweises Zurückfahren der Restriktionen unter epidemiologischen Aspekten. Meiner Meinung nach brauchen wir eine solche Kommission zur Entwicklung einer risikoadäquaten und differenzierten Öffnungsperspektive auch auf Bundesebene.

Fest steht: Wir müssen in Szenarien denken, ein Zurück zu unserem Leben im Februar wird es nicht geben können. Aber statt wie bisher "hart" jeden Kontakt auszuschließen, müssen wir ihn schnellstmöglich wieder in Bildungseinrichtungen, Unternehmen, Geschäften und dem öffentlichen Nahverkehr auf intelligente Weise ermöglichen. Das können wir erreichen durch: flächendeckende und schnelle Tests auf Virus und Antikörper, eine vertrauenswürdige, datenschutzrechtlich unbedenkliche und freiwillige Smartphone-App zur Identifikation von Infektionsketten sowie durch ausreichend Desinfektionsmittel und Atemschutzmasken. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, wird man meiner Meinung nach die Einschränkungen regional bzw. für einzelne Gruppen lockern können.

Sie können sich also sicher sein: Wir Freie Demokraten werden auch weiterhin genau darauf achten, dass Kompetenzen des Parlaments nicht ausgehebelt werden und die Freiheitseinschränkung verhältnismäßig, vertretbar und auf Zeit gestaltet werden.

Mit freundlichen Grüßen
Christian Lindner

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