Frage an Christian Lindner von Lucie S. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Lindner,
obwohl Sie einer Partei angehören, der ich nicht unbedingt meine Stimme geben würde, schätze ich ihr Engagement in vielen Themenbereichen, verfolge Ihre Interviews sowie Auftritte und teile häufig auch ihre Meinung.
Jedoch erschüttern mich einige Ihrer kürzlich formulierten Aussagen sehr, insbesondere die Anmaßung, Hartz IV Empfänger zu generalisieren und Ihrer Behauptung, dass die Steuerzahler hauptsächlich Menschen finanzieren, die nicht arbeiten wollen.
Das ist nicht richtig. Für Sie ein Beispiel: Ich pflege meine 93-jährige Großmutter privat zuhause. Das ist ein 24 Stunden Job. Nebenbei gehe ich auf ein Abendgymnasium, um mich weiterzubilden. Dies macht es aber beinahe unmöglich, noch einer Arbeit nachzugehen, um meinen Lebensunterhalt zu sichern. Ich habe jetzt das große Glück, Unterstützung aus der Familie zu erhalten. Unsere Großmutter hat viel für dieses Land geleistet, es ist allen ein Anliegen ihr einen schönen Lebensabend zu bereiten.
Hier fängt für mich die Problematik jedoch an. Ich bin mit vielen Menschen vernetzt, die aus weitaus weniger gut situierten Familien stammen und die ohne Hartz IV keine Möglichkeit hätten, ihr älteres Familienmitglied angemessen zu versorgen. Und bitte sagen sie nicht, dass es dafür Unterstützung der Pflegekasse sowie die Rente des betreffenden Menschen gibt. Das reicht vorne und hinten nicht. Die Unterstellung von Einzelfällen lasse ich ebenfalls nicht gelten. Unsere Gesellschaft wird immer älter und der Bedarf nach angemessener Pflege immer größer, das ist im privaten Bereich nicht anders als in Krankenhäusern.
Was ich damit sagen möchte: Es gibt viele, SEHR VIELE Menschen, die trotz Bezug von Hartz IV wichtige und sehr notwendige Arbeit für die Gesellschaft leisten. Und das Pflege-Beispiel nun ist nur eines von vielen.
Jetzt zur Frage: Haben sie jemals mit auch nur einem Hartz IV Empfänger gesprochen? Und könnten Sie Ihre Wortwahl zu überdenken?
Sehr geehrte Frau S.,
vielen Dank für Ihre Nachricht.
Generalisierung ist nicht meine Absicht. Meine Aussagen bezogen sich auf Vorschläge von Herrn Habeck. Dieser fordert ja, eine Art bedingungslose Garantiesicherung zu schaffen und damit das Prinzip Fördern und Fordern aufzugeben. Nach ihm sollen stattdessen Sozialleistungen auch an diejenigen Bedürftigen gezahlt werden, die gar nicht arbeiten wollen, obwohl sie sich um Arbeit oder Weiterbildung bemühen könnten. Zudem soll diese Garantiesicherung vollständig auf Sanktionen verzichten.
Dass die meisten Leute sich anstrengen, der Situation zu entkommen, zeigt ja schon die geringe Nutzung der Sanktionsmöglichkeiten durch die Jobcenter, die nur ca. 3% der Empfänger betreffen. Solidarisch sein heißt für mich auch, Leistungen des Staats nur so lange in Anspruch zu nehmen, wie sie wirklich benötigt werden.
Ich bezweifle nicht, dass auch aus Hartz IV-Bezug heraus wichtige und notwendige Arbeit geleistet wird. Ihr Fall macht übrigens deutlich, dass gerade in der Pflege die bisherigen Regelungen unzureichend sind.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Lindner