Frage an Christian Lindner von Sebastian A. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Lindner,
trotz großer Politikverdrossenheit in Deutschland, habe ich mich als junger Mensch entschlossen, der Politik offen zu begegnen und mein Recht auf freie Wahlen wahrzunehmen.
In den letzten zehn Jahren ist mir eines ganz extrem aufgefallen:
Ist eine Partei bei einer Wahl nicht erfolgreich, dann "müssen" unbedingt Konsequenzen gezogen werden. Es rollen Köpfe, das Parteiprogramm wird überdacht, etc.
Warum dies? Ist das Programm einer Partei nicht gut, nur weil es die Wähler bei einer Wahl nicht mehrheitlich gewählt haben? Haben die Personen an der Spitze einer Partei zwangsläufig etwas mit dem Ergebnis einer Wahl zu tun bzw. war deren Arbeit zwangsläufig schlecht?
Ist es nicht so, dass eine Partei umso mehr an Glaubwürdigkeit verliert, wenn sie ihre Fahne ständig in den Wind hält, anstatt an ihre eigenen Überzeugungen zu glauben und daran festzuhalten?
Auch Oppositionsarbeit kommt mir manchmal vor, wie pure PR Arbeit, egal wer in der Opposition ist ;-) Es grenzt ja schon fast an ein Wunder, wenn die Opposition mal keine Kritik an der Regierung für eine Entscheidung übt. Dieses Wunder kommt auch nur vor, wenn die Entscheidung der Regierung so populär ist, dass man es einfach nicht kritisieren kann, ohne sich selbst zu schaden.
Ist es nicht extrem hinderlich für unser Land, wenn man der Regierung ständig Steine in den Weg wirft, anstatt einen konstruktiven Beitrag zu leisten?
Ich meine, ich habe das Prinzip von Demokratie und Opposition, etc. schon verstanden. Nur habe ich das Gefühl, es wird in Deutschland von der Politik nicht richtig praktiziert.
Die Parteien sollten doch immer ihre Überzeugung vertreten und nicht der populärsten Meinung hinter herlaufen, um die meisten Wähler ab zugreifen. Anscheinend geht es unseren Politikern nur um Macht und Geld und nicht darum ihre eigenen Überzeugungen zu vertreten.
Wie sehen Sie das? Nehme ich da etwas falsch war oder verstehe ich etwas nicht richtig?
Liebe Grüße
Sebastian Angermeyer
Sehr geehrter Herr Angermeyer,
nach Stimmenverlusten, wie sie die FDP gerade in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erlebt hat, ist es - gerade auch aus Gründen der Glaubwürdigkeit - unerlässlich, nach den Gründen für die Niederlage zu forschen und eventuell bestehende Positionen kritisch zu hinterfragen. Das hat aber nichts damit zu tun, der öffentlichen Meinung hinterherzulaufen. Nehmen Sie als Beispiel die schreckliche Katastrophe in Japan: Die Ereignisse dort haben zu einem Umdenken der Menschen geführt. Hielt sich noch vor wenigen Wochen die Zahl der Befürworter und Gegner von Kernenergie in etwa die Waage, hat sich dieses Verhältnis rapide zu Gunsten der Kernenergie-Gegner verschoben. Das ist aufgrund der unvorstellbaren Ereignisse im Atomkraftwerk Fukushima nachvollziehbar. Nun sind Politiker jedoch nicht nur Politiker, sondern (in der Regel) auch denkende Menschen, die sich ebenfalls ihre Gedanken darüber machen, was in der Welt passiert. Sie können zu einer Neubewertung ihrer bisherigen Positionen gelangen, was dann Auswirkungen auf den Kurs der Parteien hat. Das hat nichts mit Opportunismus zu tun, sondern mit einem Wandel im Denken der Menschen, der sich auch in den Parteien widerspiegelt. Offen gestanden, ich fände es besorgniserregender, wenn der umgekehrte Fall Realität wäre und Parteien - egal was um sie herum passiert - dogmatisch an ihren einmal gefassten Beschlüssen festhielten.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Lindner